Popkultur

Die deutsche Oprah Winfrey ist zurück – und ich feiere es

Arabella Kiesbauer war die erste Identifikationsfigur für Schwarze im deutschen Fernsehen.
Die Schwarze Moderatorin Arabella Kiesbauer kommt zurück nach Deutschland, das Bild zeigt, wie sie einem Bodybuilder lächelnd an den Bizeps fasst
Foto: IMAGO / Jens Koehler

Im Juni 1995 bekam die Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer einen Briefumschlag. Mit Blümchen drauf und einer Bombe darin. Kiesbauer war noch unterwegs zum Studio. Ihr Nachmittags-Talk Arabella lief gerade seit einem Jahr und sie war auf dem besten Weg, eine deutsche Oprah Winfrey zu werden. 

Einer Mitarbeiterin von Pro7 gefielen die Blümchen auf dem Briefkuvert, eine weitere öffnete deshalb den Umschlag, er explodierte. Die Mitarbeiterin wurde dabei verletzt, so berichtete DER SPIEGEL damals.

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Die Bombe war Teil einer Anschlagsserie eines Neonazis. Aber es folgte keine Debatte über Rassismus in Deutschland, keine solidarischen Kundgebungen, kein "Black Lives Matter". In den paar Medienberichten über den Anschlag kam das Wort "Rassismus" nicht vor, Kiesbauer wurde mal “dunkelhäutig” genannt und manchmal "farbig", aber "Schwarz" war sie nur in der Meldung der internationalen Agentur AP.


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Arabella Kiesbauer ist jetzt 52 Jahre alt. Sie war seit über zehn Jahren nicht mehr im deutschen Fernsehen zu sehen. In Österreich ist sie ein Star, moderierte Bauer sucht Frau und einige Castingsendungen. Im Herbst 2021 nimmt der Sender TLC zwei Shows mit ihr ins Programm: Arabellas Crime Time – Verbrechen im Visier und Arabellas Crime Time – Chaos vor Gericht. Die deutsche Oprah Winfrey kommt also zurück. 

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Wer in den späten 90ern und frühen 00er Jahren in Deutschland Fernsehen geschaut hat, kennt Arabella Kiesbauer aber gar nicht, weil sie Opfer eines rassistischen Anschlags war, sondern von den Nachmittagen, an denen man als Schlüsselkind nach der Schule beim Bratkartoffelessen den Fernseher angemacht hat. Von 1994 bis 2004 kam Arabella genau dann auf Pro7.

Also schoben wir die Hausaufgaben noch ein bisschen auf und schauten stattdessen Menschen zu, die voller Energie die große Studiotreppe von Arabella herunterstürmten, um an einem sehr unkomfortabel aussehenden Stehtisch zu erzählen, warum sie "Jammerlappen" waren oder sich ihre Achselhaare gern besonders lang wachsen ließen. In den Bauchbinden hießen sie so:  

Sebastian, 32, unwiderstehliches Lächeln

Muna, 28, “Ich mache keine Kompromisse”

Petr, 37, zerschlägt 10 Eisblöcke

Philipp, 21, findet Dessous affig

Zwischendurch lief Werbung für Ariel, Radeberger und den Partnertreff (Rufnummer 0190-272829). Arabella war nicht die einzige Nachmittags-Talkerin – und auch nicht die erste. Da waren noch Sonja, Vera am Mittag und Nicole – Entscheidung am Nachmittag. Aber keine war so Oprah wie Arabella, die die Queen des Trash-Talk genannt wurde. Wobei sie heute in Interviews sagt, dass ihr lieber gewesen wäre, einfach nur Queen of Talk zu sein. Ohne Trash.

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Stimmt ja auch. Niemand würde Oprah Winfrey als Trash-Talk-TV bezeichnen, auch wenn ihre Show gleichermaßen etwas von Menschenzoo hat: Familiendramen und seltsame Obsessionen, Betrüger, DNA-Tests, Fetische und Tränen. 

Arabella Kiesbauer schrieb drei Bücher. In Mein Erfolgs-Programm von 1998 beschreibt sie, wie sie sich fit hält und wie wir alle so erfolgreich sein können wie sie – "ohne Stress". In Nobody is perfect von 1999 schreibt sie über ihre Talkshow-Gäste. Erst über zehn Jahre nach dem Anschlag schreibt Kiesbauer ein Buch, in dem es auch ums Schwarzsein und Rassismus geht: Mein afrikanisches Herz von 2007. Das Attentat, sagt sie in Interviews, war der Anlass für das Buch, auch wenn es so lange zurücklag.

Natürlich sollte man Menschen im Nachhinein nicht zu Ikonen machen, die sie nicht waren. Aber Arabella war eine. Allein schon durch Anwesenheit: als Schwarze Frau, die jeden Nachmittag zeigte, was Deutschland auch ist. Und das ganz ohne, dass jemand irgendwo prominent einen "Diversity"-Stempel platzierte. 11,5% der Deutschen schauten ihr im Schnitt zu.

Kiesbauer trug manchmal eine Weave, manchmal Bantu Knots, oft einen kurzen oder längeren Afro, Perücken oder geglättete Haare. In der Tagesschau stand so bis heute noch niemand vor der Kamera. Mit klassischen Schwarzen Frisuren. Auch 17 Jahre nach dem Ende von Arabella nicht.

Auch Kiesbauer hatte ganz sicher genügend problematische Momente. So wie in der Sendung zu Machos: "Ein Macho – das ist ja nichts Negatives, gerade bei den Südländern – kann dieser Mann treu sein?" Ihr vorzuwerfen, in den 90ern nicht "woke" genug gewesen zu sein, wäre aber auch unfair. Wer nicht mal Britney Spears "I’m a Slave 4 U" mitgesummt hat, werfe den ersten Stein. 

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Kiesbauer und das Team der Sendung hatten damals das Gefühl, Fernsehen für junge Leute zu machen. Themen aufzugreifen, die sonst keiner brachte. Immer habe sie sich gewehrt, wie die Konkurrentinnen mit Laiendarstellern zu arbeiten, um die seltsamen Protagonisten noch etwas kurioser zu skripten, sagt Kiesbauer in Interviews.

Arabella griff Themen auf, für die sich Medien noch heute auf die Schulter klopfen, weil sie damit Tabus brechen: von Zoophilie bis Tourette, von Körperbehaarung bis Polyamorie, von Fatshaming bis Rassismus. Ja, Rassismus! So 2020!  Es gibt viel zu wenige Arabella-Clips auf YouTube. Aber in einem davon spricht Torch, 24, Bauchbinde "Fremd im eigenen Land" davon, wie es ist, wenn "Pädagogen und Polizisten" rassistisch sind:

"Es ist ein Teil von unserer Geschichte, wie wir aufgewachsen sind, weil es ein Teil der Deutschen Geschichte ist."

Schwarze Moderatorin, Schwarzer Interviewgast. Wann haben wir das bitte zum letzten Mal im Fernsehen gesehen? Kiesbauer kehrt zurück zu einer Zeit, in der die  Hauptnachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender noch immer fast ausschließlich von Weißen Menschen moderiert werden. 

Schwarze Moderatorinnen versteckt die ARD im Nachtprogramm und im Internet, nur bei heute darf seit ein paar Wochen die Schwarze Moderatorin Jana Pareigis in der Hauptsendung moderieren.

Das Nachmittagsfernsehen der Privatsender ist heute ein bisschen anders als zu Zeiten von Arabella. Ein großer Teil des Programms wird mit Laiendarstellern bestritten. Die Themen – Zoophilie bis DNA-Tests – sind wahrscheinlich gleich geblieben.

Arabella Kiesbauer spricht mittlerweile viel über Rassismus – und sie wird oft dazu gefragt. Sie sagt dann, dass es heute nicht besser ist als in den 90ern, eher schlimmer. "Früher kam Rassismus wenigstens noch per Brief ohne Absender", sagt sie. Heutzutage unterschreiben die Rassisten ihre Mails.

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