Politik

Wie Bayern Klima-Aktivisten mit einem Antiterrorgesetz bekämpft

Ein junger Mann hat seine Hand in München auf den Stra

Sie hatten ihre Hände in der Münchner Innenstadt auf die Straße geklebt, um gegen die Klimakrise zu protestieren. Jetzt sitzen die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation in einer Zelle – nicht weil sie für Straftaten verurteilt wurden, sondern vorbeugend. Einige von ihnen sollen bis Dezember im Gefängnis bleiben.

17 Protestierende sind derzeit in München in Haft. Die jüngste Person ist 19 Jahre alt. Möglich macht es das strengste Polizeigesetz Deutschlands: das bayerische Polizeiaufgabengesetz. Der Polizeiforscher Roman Thurn erklärt, warum man in Bayern so autoritär handelt und er den Protest der Letzten Generation für harmlos hält.

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VICE: In München haben Menschen für das Überleben der Menschheit protestiert. Dafür sitzen sie jetzt im Gefängnis. Ist das angemessen?
Roman Thurn:
Dass die Letzte Generation einen legitimen Grund hat, rechtfertigt vor den Gerichten meistens nicht die Form des Protests. Sie stehen in Verdacht, Ordnungswidrigkeiten und Straftaten begangen zu haben, auch wenn diese harmlos sind.

Aus dem Tatverdacht wurde aber bisher keine Straftat. Denn es gab keinen Gerichtsprozess. Die Polizei sperrt Menschen ohne Verurteilung für einen Monat ein. Ist Bayern zu einer kleinen Autokratie innerhalb Deutschlands geworden?
Das würde ich so nicht sagen. Aber die Sicherheitspolitik ist in Bayern auf jeden Fall autoritärer als in anderen Bundesländern. Andere Bundesländer erlauben es nicht, Menschen vorbeugend einzusperren. Eigentlich ist die Präventivhaft zur Terrorabwehr gedacht.

Doch nun wehrt man keine Terroranschläge ab, sondern Klimaproteste. Wie kann das sein?
Das Gesetz wird hier zweckentfremdet. Schon vor Jahren, als das Gesetz erneuert wurde, hatten Kritiker davor gewarnt. 

Normalerweise nimmt die Polizei Tatverdächtige fest. Das Gericht entscheidet in einer Verhandlung, ob tatsächlich eine Straftat vorliegt. Gelten in Bayern die Gewaltenteilung und andere rechtsstaatliche Regeln nicht mehr?
Im Polizeiaufgabengesetz steht, dass die Polizei etwa dann Menschen in Gewahrsam nehmen kann, wenn “Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit” zu erwarten sind. Wann das der Fall ist, bestimmt die Polizei. Zwar muss auch ein Richter zustimmen. Aber ob das in der Praxis ausreicht? Ich weiß ja nicht. Auch eine Präventivhaft muss verhältnismäßig sein. In München könnte man die Haftdauer der Klimaaktivisten nun bis zu insgesamt drei Monaten verlängern.

Wie geht das?
Nun, gerade sind die Aktivisten 30 Tage lang inhaftiert. Die Polizei wirft ihnen Nötigung sowie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz vor und hat sie angezeigt. Die Präventivhaft soll die Protestierenden davon abhalten, bald wieder diese mutmaßlichen Taten zu begehen. Aber was, wenn sie nicht nur innerhalb der nächsten zwei Wochen wieder protestieren, sondern innerhalb der nächsten zwei Monate? Die Polizei könnte ihre Haft weiter verlängern – ohne Gerichtsprozess und ohne Urteil. Das kann nicht im Sinne der Rechtsstaatlichkeit sein. Und es ist sicher nicht verhältnismäßig.

Ein Mann mit Glatze, Bart und schwarzem Pullover schaut ernst in die Kamera.
Roman Thurn, 33 Jahre, ist Polizeiforscher und Mitglied am Institut für Protest- und Bewegungsforschung | Foto: privat

Wie kann die Polizei überhaupt wissen, dass jemand in Zukunft eine Tat begehen wird?
Bei der Letzten Generation halte ich es für sehr plausibel, dass sie wieder Straßen blockieren werden. Das haben sie ja angekündigt. Die Frage ist eher, ob die Präventivhaft gerechtfertigt ist – das bezweifle ich stark. Ein Berliner Richter hat vor Kurzem angezweifelt, dass diese Form des zivilen Ungehorsams überhaupt eine Straftat ist.

Mit dieser Einschätzung ist der Richter unter Juristen in der Minderheit.
Das stimmt. Doch seine Haltung zeigt: Die Sache ist umstritten. Andere Formen abweichenden Verhaltens sind im Straßenverkehr akzeptierter. Denken wir etwa an Menschen, die in der zweiten Reihe parken und so Staus verursachen oder Krankenwagen blockieren. Wenn so was passiert, empören sich Leute nicht so sehr. 

Was sagt diese Aktion über die Bayerische Polizei?
Die Aktion sagt eher etwas über das politische Klima in Bayern. Die Proteste der Letzten Generation sind vergleichsweise harmlos. In Frankreich ist es viel üblicher, Straßen zu blockieren. Denken wir zurück, wie Lkw-Fahrer die Autobahnen blockiert haben wegen der hohen Spritpreise. Die französische Bevölkerung rechnet damit und ist nicht so entrüstet wie die deutsche. Einige deutsche Politiker haben den Protest der Klimaaktivisten mit Terror und Geiselhaft gleichgesetzt. Das zeigt, wie dieser vielleicht lästige, aber harmlose, zivile Ungehorsam gesehen wird.

Sie halten die Aktionen für harmlos?
Ich persönlich finde weder die Forderungen noch die Protestform der letzten Generation sonderlich radikal. Sie sind eher reformistisch. 

Warum?
Die Aktivisten wollen das 9-Euro-Ticket zurück und ein Tempolimit von 100 Stundenkilometer. Das reicht womöglich nicht einmal, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Sich an eine Straße zu kleben oder Bilder mit Kartoffelbrei zu bewerfen, ist auch nicht sonderlich radikal.

Dennoch sperrt die Polizei die Aktivisten dafür ein. Das ist im Rahmen des geltenden Rechts.
Ja, die Polizei hat die Macht zu definieren, was eine Gefährdung ist. So darf sie festlegen, wer in Präventionshaft genommen wird. Dennoch sollte man die Verhältnismäßigkeit einer solchen Haft besser abwägen. Denn es ist schon autoritär, wie in Bayern mit den Klimaprotesten umgegangen wird.

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