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Heulsuse der Woche: Henryk M. Broder vs. NPD

Die NPD verwickelt sich bei ihrem Verbotsverfahren in Widersprüche und Henryk M. Broder findet es unfair, dass er wegen Beleidigungen aus einer Talkshow geflogen ist.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: Henryk M. Broder und sein Talkshow-Rausschmiss

Foto: imago | Metodo Popow

Der Vorfall: Henryk M. Broder wird aus einer Talkshow ausgeladen, weil er Claudia Roth mehrere Male beleidigt hat.

Die angemessene Reaktion: Die Tatsache akzeptieren.

Die tatsächliche Reaktion: Sich nicht entsinnen können, was zwischen ihm und der Politikerin vorgefallen ist.

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Eigentlich sollte der Journalist Henryk M. Broder ja am Mittwoch in der Talkshow Münchner Runde des Bayerischen Rundfunks sitzen. Das Thema: „Flüchtlingskrise: Schafft Merkel noch die Wende?" Wie er selbst kurz vor Sendungsbeginn auf dem Blog Die Achse des Guten schrieb, wurde er jedoch wieder ausgeladen.

Wieso lädt der Bayerische Rundfunk einen kurz zuvor eingeladenen Gast wieder aus? Viele Internet-Nutzer hielten nach der Veröffentlichung des Blogbeitrags zu Broder und kritisierten Claudia Roth und den BR. So twitterte auch der sehr rechte Rand der CDU, personifiziert durch Erika Steinbach, umgehend:

"Münchner-Runde: Claudia Roth lässt Henryk Broder ausladen" Es gibt nichts, was mich noch erstaunt! https://t.co/SSxcJfltXD
— Erika Steinbach (@SteinbachErika) 1. März 2016

Investigative Journalisten wären nicht investigativ, wenn sie nicht nachhaken würden. Auf Broders Rückfrage zum Grund der Ausladung antwortete ihm der BR: „Der Grund ist Claudia Roth". Die Mitarbeiterin konnte ihm den genauen Grund allerdings nicht nennen. Broder schreibt nun auf dem Blog: „Nun, ich schwöre es, zwischen Claudia Roth und mir ist nichts, rein gar nichts vorgefallen, außer dass ich einige Male geschrieben habe, was ich von ihr halte. Das ist mein gutes Recht. Ihr gutes Recht ist es, mit mir nicht an einem Tisch sitzen zu wollen."

„Rein gar nichts vorgefallen."—soso. Werfen wir einen Blick auf die Beziehung von Claudia Roth und Henryk M. Broder, finden sich einige Perlen der Beleidigungskunst: So bezeichnete Broder die Grünen-Politikerin nach den Geschehnissen um die Kölner Silvesternacht als „Doppelzentner fleischgewordene Dummheit, nah am Wasser gebaut und voller Mitgefühl mit sich selbst". Und ein halbes Jahr zuvor behauptete Broder, Claudia Roth hätte es „mit einer Mischung aus Dummheit und Selbstüberschätzung bis zur Vizepräsidentin des Bundestages geschafft."

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Muss eine Politikerin sich mit einem Journalisten im Rahmen einer Talkshow treffen, der sie derart beleidigt hat? Nein, das muss sie nicht. Damit handelte der Bayerische Rundfunk auch im Sinne der Talkshow: Denn nichts ist schlimmer und ermüdender, als wenn sich zwei verfeindete Menschen in einer Fernseh-Talkshow aufgrund ihrer persönlichen Beziehung streiten und dabei das eigentliche Thema außer Acht lassen. Henryk M. Broder ist oft mehr Provokateur als Journalist und politisierender Meinungsmacher, der mit seinen radikalen Texten gerne mal weit über das Ziel hinausschießt.

Heulsuse #2: Die NPD widerspricht sich ständig in ihrem Verbotsverfahren

Foto: imago | Stockhoff

Der Vorfall: Das Verbotsverfahren der NPD läuft.

Die angemessene Reaktion: Gut vorbereitet die partei-eigenen Positionen vertreten und argumentativ stützen.

Die tatsächliche Reaktion: Alles über den Haufen werfen und ungeordnet Gegenpositionen einnehmen.

Der dritte Verhandlungstag des Verbotsverfahrens der NPD ging gestern über die Bühne und mit rhetorischer Gewalt oder spitzfindiger Argumentation kann kein anwesendes NPD-Mitglied aufwarten. Eher im Gegenteil. Der NPD-Coverboy Frank Franz verstrickt sich mit Sätzen wie „Ein Volk definiert sich durch eine gemeinsame Sprache, Kultur und Geschichte" und dem anschließenden Zurückrudern: „Alle Staatsbürger haben dieselben Rechte."

Auch als Verfassungsrichter Peter Müller auf eine Broschüre der Jungen Nationaldemokraten verweist, in der „Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher sein können. Deutscher ist, wer Deutsche Eltern hat. Deutscher ist man von Geburt oder nicht, aber wird es nicht durch Annahme der Staatsbürgerschaft." geschrieben steht, kann sich Franz nicht entsinnen, diesen Satz schon einmal gelesen zu haben. Sätze wie „Integration ist Völkermord" seien laut Franz „plakative Sprache"—er wolle lieber von „ethnischer Kontinuität" als von Rassentheorie sprechen.

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Auch der Auswanderer und frühere NPD-Vorsitzende Holger Apfel, der mittlerweile eine Bar am Ballermann auf Mallorca betreibt, schaffte es nicht, seine Partei vor Gericht umfassend zu verteidigen. Er hätte als Vorsitzender nicht die „Richtlinienkompetenz" gehabt, die NPD zu einer „modernen Partei" zu verwandeln. Fragt sich nur: Wer, wenn nicht der Vorsitzende einer Partei hat die Möglichkeit, eine Partei maßgeblich zu verändern?

Wieso kann man die NPD nicht verbieten? Das Parteiprogramm verstößt gegen die Menschenrechte und NPD-Anhänger positionieren sich verfassungsfeindlich—jedoch reicht diese Grundlage vor Gericht nicht aus, um eine Partei zu verbieten. Die freiheitlich demokratische Grundordnung muss in Gefahr stehen und das kann man der Partei zumindest juristisch gerade noch nicht anhängen.

Man kann es mit einem lachenden und einem weinenden Augen sehen, dass man der immer weiter in der Bedeutungslosigkeit versinkenden, rechtsextremen Partei keine ernsthafte Gefahr nachweisen kann: „Was haben Kinderfeste und Hartz-IV-Beratung mit der Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu tun?", fragt Richter Müller in die Runde. Und trotz des Bemühens der Vertreter des Bundesrats, über Angriffe von Bürgerbüros und dem polizeilichen Schutz von Linke-Politikern die noch vorhandene Wirkungsmacht der NPD zu demonstrieren—der Richter bleibt kritisch.

Auf welchen Grundlagen darf eine Partei in unserem Jahrhundert also verboten werden? Das ist die große Frage, um die es in diesem Gerichtsverfahren geht. Reicht geistige Brandstiftung aus? Ist es sinnvoll, eine derart geschrumpfte Partei zu verbieten? Freiheit wird eingeschränkt, um Freiheit zu bewahren? Die NPD hat aktuell noch 5.400 Mitglieder und von den 230.000 lokalen Mandaten in Deutschland gerade mal 360. Es geht also vor allem um das Suchen nach Relevanz einer untergehenden Partei. Und mit den Köpfen Apfel und Franz auch um das Suchen nach Positionen, die sich nicht ständig gegenseitig aushebeln.

Letzte Woche: Kristjan Knall schreibt ein Buch mit 111 Gründen, Berlin zu hassen, und ein paar Unbekannte werfen in Leipzig einen Schweinekadaver auf das Gelände einer Moschee—auf dem Bauch steht „Mutti Merkel".

Der Gewinner: Die Moschee-Feinde.