Terry Zwigoffs erste Dokumentarfilme

Terry Zwigoff ist ein Filmemacher, Mandolinenspieler und Plattensammler. Ich habe kürzlich mit ihm  über die Wiederveröffentlichung von Zwigoffs ersten beiden Filmen durch die Criterion Collection gesprochen. Beides sind grundlegende amerikanische Dokumentarfilme.

Louie Bluie (1985) ist ein Porträt des virtuosen String-Band-Musikers Howard Armstrong, dessen ehemaliger Künstlername den Titel des Films beisteuert. Armstrong—anziehend, derb und wahnsinnig talentiert—ist eine einzigartige Themengrundlage. Als Zwigoff ihn kennenlernte, war er ein alter Mann, der in armseligen Zuständen lebte, weit weg vom früheren Ruhm. Doch er besaß immer noch die Art von Elan, mit der nur wenige gesegnet sind. Ich bin dankbar, dass dieser Film zu neuem Leben erweckt wurde.

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Zwigoffs zweiter Dokumentarfilm war Crumb (1994). Wahrscheinlich kennst du ihn schon. Er ist nicht nur ein unangenehm intimes Porträt des Künstlers Robert Crumb, sondern auch seiner zwei kaputten und genialen Brüder Max und Charles. Einmal urkomisch, dann wieder auf lähmende Weise traurig, ist der Film zweifellos ein Klassiker. Die Neuausgabe kommt mitsamt geschnittener Szenen, mehreren Kommentaren der Macher, einer Reihe von Fotostills vom Dreh und einem Familienfoto der Crumbs. Zwigoff wohnt in San Francisco, und dort habe ich ihn vor ein paar Wochen angerufen.

Aus Louie Bluie.

Vice: Louie Bluie und Crumb haben zu einem gewissen Grad  Bezüge zu deiner Leidenschaft für alte Musik.
Terry Zwigoff:
Ich interessiere mich für das Zeug, seitdem ich so 1970 nach San Francisco gezogen bin. Mein Cousin hat hier gelebt. Er war so alt wie ich und wir waren schon unser Leben lang Freunde und haben immer schon ziemlich nah beieinander gewohnt. Er ging mit einem Mädchen aus, das glaube ich fürs Capp Street Community Center gearbeitet hat.  Dort wurde Kindern zu einem günstigen Preis Musikunterricht angeboten. Sie erzählte meinem Cousin, dass sie einen jährlichen Benefizverkauf veranstalten würden, etwa wie ein Flohmarkt, um Geld zu sammeln, und da war gerade ein dicker Haufen an uralten Platten reingekommen—mehrere tausend, meine ich. Zu der Zeit interesierten wir uns beide ein wenig für alte Platte, doch wir wussten noch nicht viel darüber. Also haben wir herumgestöbert. Bis heute erinnere ich mich daran, dass  da auch diese Mack Rhinehart und Brownie Stubblefeld-Platte war, die wohl um die tausend Dollar wert ist.

Toll!
Ja, das ist eine wirklich seltene Aufnahme. Letztendlich hat mein Cousin sie bekommen. Daneben gab es nichts wirklich Aufregendes. Wir haben nichts von Robert Johnson gefunden oder sowas. Doch es gab da drinnen ein paar solide Platten. Wir haben einen Haufen von ihnen mit nach Hause genommen und hörten sie an, und das war auf eine Art der Anfang unserer Gehörbildung. Erst hat es sich für uns seltsam und fremd angehört—nicht das Blueszeug, weil man ja die Rolling-Stones-Version des Blues hört, wenn man aufwächst, etwa “Love in Vain”. Doch der Jazz, auf den wir gestoßen sind… Ich konnte ihn nicht begreifen. Das war so ein allumfließender Sound um mich herum, der bei mir wenig Anklang gefunden hat. Es hat auf mich sogar eher bekloppt gewirkt.

War das dem alten New-Orleans-Jazz ähnlich?
Ein paar Sachen schon, doch manche waren eher Swing. Das Zeug aus den 20ern, welches letztlich volkommen meinem Geschmack entsprach, hat auf mich sehr comic-mäßig gewirkt. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich tatsächlich hingesetzt und es angehört habe, insbesondere das akustische Zeug aus den frühen 20ern, wie etwa die erste Aufnahme von Louis Armstrong oder King Oliver, ich habe mir wirklich angehört, was da los war, habe mir gedacht “Was spielt der Typ hier gerade für eine Phrasierung? Wie ist es arrangiert? Warum ist das gut?” Schließlich habe ich die Dinge zusammengesetzt. Das heißt, ich war erstmal nicht so davon begeistert, doch jetzt bin ich mir absolut sicher, dass es ein Teil der besten Musik ist, die jemals gespielt wurde.

Sie ist ein gewaltiger Teil deines Lebens geworden.
Ich erinnere mich, wie schon sehr früh Leute zu mir nach Hause gekommen sind, meine Sammlung gesehen und gefragt haben “Oh, was sind das für Platten?” Dann habe ich gesagt “Ich spiel euch was vor,” und dann hab ich sowas wie “Struttin’ With Some Barbecue” oder “Once in a While” von Louis Armstrong and His Hot Five aufgelegt—welche auch zwei meiner Lieblingssachen von ihm waren—dann sind sie einfach dagesessen und man konnte ihnen aus den Augen lesen, dass sie nur darauf warteten, dass das Ganze vorbei ist. Sie konnten es nicht aufnehmen. Sie konnten sich nicht darauf einlassen oder es verarbeiten.

Und dann ging es in deinem ersten Film um einen ziemlich wichtigen Vertreter dieser Art von Musik.
Nun, als ich Louie Bluie gemacht habe, habe ich jahrelang Mandoline und Ragtime gehört und gespielt, und es schien mir, dass die Leute diesen Film vielleicht mögen, ihn lustig und unterhaltsam finden würden und letzten Endes auch die Musik. Ich habe ihn immer für einen tollen Film gehalten, und ich war sehr gespannt. Als ich versuchte, ihn auf Filmfeste zu bekommen, dachte ich “Die Leute werden darauf abfahren!” (lacht) Doch die Wahrheit hat mich wieder eingeholt, nachdem etwa zwölf Leute zu einer Festivalvorführung kamen, sie gelangweilt waren und die meisten rausgegangen sind.

Das verstehe ich nicht. Ich könnte mir stundenlang dein Howard-Armstrong-Filmmaterial ansehen.
Der Film hatte Charakter, und die Rezensionen fielen sicher freundlich aus. Doch er hat nie ein Publikum gefunden. Er hat in jeder der großen Städte vielleicht eine Woche lang gespielt.

Die Criterion Collection war wohl ein sehr geeigneter Ort dafür.
Gott sei Dank gab es die, denn es hätte in ein paar Jahren tatsächlich keinen Film mehr gegeben. Das eigentliche Filmmaterial selbt war am Zerbröckeln. Meiner Annahme nach hatte das Zeug, das “Safety Film” genannt wurde, nie solche Probleme.

Das wohnt dem Namen wohl inne.
Ja, richtig. (lacht) Danke, Kodak. Und offenkundig basieren Fuji und all diese Filmbestände eh alle auf der gleichen Art von Aceton.

Hat nicht Martin Scorsese ein Rettungsprojekt für zerbröckelnden Filme ins Leben gerufen?
Ich weiß nicht. Aber ich habe ihm letztens eine Kopie von Crumb geschickt—eine 35mm-Version für sein Archiv. Ich hatte noch eine über. Nun, da Criterion das macht und sie erhält, hatte ich noch einige Filmrollen hier und dachte, naja, drei brauche ich nicht. Ich könnte sie genausogut verteilen.

Es gibt nicht viele noch geeignetere Leute, denen man eine Kopie eines deiner Filme geben könnte.
Er ist ein guter Mann. Ich habe ihn nur einmal getroffen, aber ich habe mich immer mit ihm ausgetauscht und er hat mir wahnsinnig seltene Filme ausgeliehen. Hast du je den Film Two Weeks in Another Town von Vincente Minnelli gesehen?

Nein…
Er ist unglaublich großartig, und er ist so surreal und bizarr. Es gibt nicht Vergleichbares. Edward G. Robinson spielt einen gequälten Filmregisseur, der sich im Bett hin- und herwirft, während er seine eigene Produktion bezweifelt. Kirk Douglas spielt auch mit. Es ist eine Art Begleitfilm zu The Bad and the Beautiful, doch ich mag ihn lieber.

Oh Mann, jetzt würde ich ihn wirklich gene sehen.
Hoffentlich bringt ihn eines Tages jemand heraus. Ja, ich liebe Criterion und viele der alten Filme, die sie gemacht haben, und ich dachte mir “Gibt es einen besseren Ort?” Ich war unglaublich geschmeichelt, als sie mich nach meinen gefragt haben.

Aus Louie Bluie.

Du hast Louie Bluie gemacht, weil du auf diese seltsame Aufnahme von Howard Armstrong gestoßen bist und wissen wolltest, welcher Typ dahinter steht.
Das trifft es genau. Aber es ging nicht nur um das Hören diese Platte, die auf mich so mystisch gewirkt hat. Es war auch die Tatsache, dass ich der Besitzer von einer von nur zwei Kopien davon war. Das ist für so ziemlich jede Platte ziemlich ungewöhnlich. Weißt du, es gibt von jeder Blind Lemon Jefferson oder Robert Johnson-Platte 30 Kopien. Die Seltenheit hat dem ganzen etwas zusätzliche Relevanz gegeben. Und ich hatte auch eine Obsession für die Sache, da ich versuchte das Lied zu lernen. Ich wollte meine Platte nicht abnutzen, also nahm ich das Lied auf Kassette auf und verlangsamte es dann. Dann habe ich all die Noten gelernt, doch es hat sich nach nichts angehört, als ich es gespielt habe, da Armstrong diese  unglaubliche Virtuosität besaß – eine umwerfende Technik, die nur schwer nachzumachen ist. Ich sehe Leute auf YouTube, die den Song spielen und es ist so, nun ja, die könnten genausogut Schreibmaschine schreiben, da sie keine Musik machen.

Richtig.
Deswegen wollte ich möglichst viele Informationen über den Typen heausfinden, so dass ich einen kleinen Artikel für das britische Musikmagazin Old Time Music schreiben konnte. Das gab es schon 20 Jahre, Plattensammler schrieben für sie. Typisch war ein Foto des Musikers aus den 20ern, seine Diskographie und eine kleine Biografie. Das wollte ich auch tun und ich nahm an, dass Louie Bluie schon tot war. Aber dann ging ich der Detektivarbeit nach, spürte ihn auf, und fand ihn lebend in Detroit. Als ich ihn traf, dachte ich “Jemand muss über diesen Typen einen Film machen.”

Und du hattest bis dahin noch keinerlei Erfahrung im Filmemachen.
Als ich am ersten Tag des Drehs aufgewacht bin, war ich völlig von Sinnen, mit solcher Panik, dass ich kotzen musste. Ich dachte “Jesus, okay, das ist also ein Stativ, und so sieht ein Film aus. Nun, auf was richte ich die Kamera, wie lange lasse ich sie laufen und wann wechsle ich die Perspektive?” Ich wusste weder was von Schnitt noch von Reportage. Ich filmte etwa eine Woche und als ich mein Vermögen verprasst hatte, ging ich zurück nach San Francisco. Zwei Freunde waren etablierte Dokumentarfilmer, die einverstanden waren mir zu helfen. Wir setzten die Aufnahme fort und eine von ihnen, Vickie, wurde die Redakteurin. Ich ging mit ihr die Aufnahmen durch und sie sagte “Weißt du, es wäre wirklich hilfreich gewesen, den Typen hier wegzuschneiden, während der andere redet.” Also habe ich noch mehr Geld gesammelt, ging zurück und habe die Aufnahmen fortgesetzt.

Ich war überrascht, als ich mir den Kommentar auf der DVD von Crumb angehört habe, indem es darum geht, dass ein paar Situationen von dir eingefädelt wurden. Das Ganze fühlt sich so natürlich an.
Ein paar Sachen muss man erst herrichten, um sie zum Laufen zu bringen.

Wie etwa Louie Bluie mit einer Aufnahme beginnt, wie Louis Armstrong sich rasiert. Das ist auf merkwürdige Art intim. Aber vielleicht war es einfach danach zu fragen, weil du ihm bzw. Crumb kein völlig Fremder warst.
Natürlich waren ich und Crumb alte Freunde. Wir waren seit 1972 beste Freunde, und als ich den Film begann, wusste ich schon viel über ihn. Ich kannte die gesamte Geschichte. Ich traf seinenVater, seine Brüder, ich sammelte ihre Werke… Ich wusste, wonach ich Ausschau halten musste. Mein Problem in Crumb war es einen Weg zu finden, wie ich diesem Film unsichtbar und kunsvoll diese Informationen zuführen und das Ganze arrangieren konnte. Es gab viele Sachen von ihm, von denen er wohl dachte, dass sie viel interessanter waren als das, was ich letztlich filmte.

Im Fall von Howard Armstrong hat es mir am meisten geholfen, mich drei Tage mit ihm und einem Kassettenrekorder hinzusetzen, ihn einfach laufen und Howard erzählen zu lassen. “Wo bist du geboren? Wie war dein Vater? Wo arbeitete er?” Diese Zeitzeugenbefragung hat er mit einem Haufen Anekdoten gespickt, die im Film vorkommen. Er hatte eine feststehende Menge von 24 Geschichte, die er schon tausende Male erzählt hatte-

Aber sie waren auch wirklich gut.
Oh ja, er hat viele Witze erzählt, ich habe sie aufgenommen und das hat mir bei den Aufnahmen geholfen. Ich habe nachgedacht, “Wie kann ich ihre Schwägerin noch einbauen? Sie haben diese sehr schöne Gospelmelodie gespielt, doch der Rest der Unterhaltung am Klavier ist so peinlich. Schaffen wir ihn raus, um mit ihr spazieren zu gehen.” Dann habe ich Howard beiseite genommen und gesagt “Hey…”

“Hey, Howard, erzähl ihr diese schmutzige Geschichte…”
Ja, über den Specht (lacht). Deshalb habe ich das manchmal gemacht. Erst war es komisch, da es so künstlich war. Meine ganze Annährung an den Film fand im Wesentlichen in seiner Wohnung statt und beschreibt die Einzelheiten seines Alltags.

Der Fred Wiseman in Howard Armstrong.
Ja. Und ich dachte, das wäre super, da er diese wirklich trostlose Existenz in dieser furchtbaren Detroiter Sozialwohnung führte. Noch in den 70ern, als ich da war, sah es wie ein Kriegsgebiet in Beirut aus. Und er hatte eine unverkennbare Wohnung. Er hatte sie mit all seinen Wandbehängen und Gemälden verziert. Seine Routine bestand aus dem morgendlichen Aufwachen und dem Einschalten einer beschissenen Spieleshow wie The Price Is Right auf seinem Neun-Zoll-Schwarzweiß-Fernseher, während er ein Leberwurstsandwich frittierte und versuchte, wach zu werden. Dann lebte er seinen Tag in der Sozialwohnung, und das war ziemlich bitter. Ich dachte “Gut, ich könnte den Kontrast zwischen seinem gegenwärtigen Leben zu dem romantisierten Aufwachsen im Süden aus meinem Kopf darstellen.” Aber eine Reihe von Umständen brachte mich davon ab. Erstmal und vor allem stand die Tatsache, dass ich keine Dreherlaubnis in seiner Wohnung bekam. Es war eine von der Regierung subventionierte Unterkunft.

Ein gewaltiger Straßenblock.
Ich dachte mir “Oh, Jesus Christus, was mache ich hier?” Also fotografierte ich die ganze Wohnung, jeden Winkel. Ein Freund besaß eine Lagerhalle in Chicago, die wir benutzen durften, und Howard erklärte sich damit einverstanden, sein gesamtes Wohnzimmer aus Detroit dort hinzubringen.

Oh mein Gott!
(lacht) Jepp, und so entsand ein Fake von seinem Haus. Ich wollte niemandem davon erzählen! Jetzt ist es OK, weil es 25 Jahre her ist, weißt du? Es ist eine sehr seltsame Dokumentation.

Ja.
Ich denke immer, dass man so 20 Jahre warten sollte, bis man einen eigenen Film kommentiert. Die ganzen Leute sind tot…

Und man steht wohl auch über einem Haufen Ego-Zeug.
Der Kommentar, den Coppola Jahre später nach dem Paten gemacht hat, war der großartigste Kommentar aller Zeiten – fast so toll wie der Film. Unglaublich, die Geschichten, die er zu erzählen hat.

Bist du mit Howard Armstrong in engem Kontakt geblieben, nachdem der Dreh vorbei war?
Ja, wir waren uns sehr nah. Wir habe etwa ein Jahr gemeinsam für den Film geworben – er, ich und sein Musikerfreund aus dem Film, Ted Bogan. Welches Festival auch immer den Film zeigte, ich versuchte auch die beiden dorthin zu bringen. Wir brachten einige dazu uns dabei zu helfen. Wir waren auf Hawaii, musizierten eine Woche und spielten Karten, als wir dort auf einem Festival waren. Und beim Telluride waren wir gemeinsam. Wenn der Film in einem Kino gezeigt wurde, wollten die Filmvorführer gelegentlich auch die beiden haben, und anschließend haben wir dann offene Konzerte gespielt. Also, ja, wir blieben eng beisammen. Ich beauftragte ihn, eine zweite Whorehouse Bible für mich zu erstellen.

Mann, das ist echt unglaublich, wie er die im Film durchblättert. Es ist eine selbstgemachte Zusammenstellung seiner Zeichnungen und persönlichen Sexgeschichten, alle handgeschrieben und ziemlich explizit. Hat jemand je seine Bücher veröffentlicht?
Ich versuchte sie zu veröffentlichen. Hugh Hefner war sehr daran interessiert. Er mochte den Film wirklich.Er lud mich mich mehrmals in die Playboy-Villa ein. Tatsächlich gefiel ihm auch Crumb. Er zeigte ihn an seinem freitäglichen Filmeabend. Er stellt seinen Freunden einen Film vor, diesen alten Persönlichkeiten wie Mel Torme-

Ah, der Velvet Fog.
Ja. Und dann drehst du dich um und siehst den Typ aus I Spy. Es war ein unwirklicher Abend. Doch Hefner war ein gerissener Typ.

Er bewies seinen Geschmack in so vielen Dingen, doch leider nicht mehr in den letzten Jahrzehnten.
Aber er besitzt einen gesunden Menschenverstand. Weiß sehr viel über Comics und Jazz. Als ich später ging, fragte er, “Was machst du jetzt?” Ich sagte “Woody Allens Produzent hat mich gerade angerufen und sie wollen, dass ich einen Dokumentarfilm über ihn mache, und ich bin großer Woody-Allen-Fan, deswegen würde ich das gerne machen.” Hugh Hefner sagte “Oh, das wäre toll. Doch wenn das doch nicht in Frage kommt und du mal eins unserer Playboy-Videos machen willst…” Zu der Zeit machten sie diese Playmate-Videos, und die verkauften sich gut. Die waren wöchentlich in den Top Ten des Verleih und des Handels. Ich hatte noch nie eins gesehen, also sagte ich nur “Oh, danke.” Er sagte “Hier ist eine Nummer. Ruf den Typen an wenn du interessiert bist. Uns würde es freuen, wenn du die machst.”

Und hast du angerufen?
Ja, aus Neugierde. Ich sagte “Ich muss zugeben, ich habe noch keinen von denen gesehen.” Deswegen schickte mir der Typ eine Kiste davon. Es waren sehr formelhafte Dinge, in denen man sah, wie das Playmate des Monats an einem Strand in SlowMotion mit hüpfenden Titten ein weißes Pferd reitet, 30 Minuten lang.

Oh ja, daran erinnere ich mich. Ich hatte es irgendwann mal geschafft, daran zu komen.
Richtig. (lacht) Also rief ich den Typen zurück und sagte “Zahlen die sich überhaupt aus?” Er sagte “Nicht wirklich, seitdem die jeder macht.” Ich sagte “Naja, ich könnte einen Film zum Spaß machen, doch ihr müsst sein, so dass ich ihn auf meine Art machen kann.” Er sagte “Ich halte Rücksprache mit Hef.” Dann bekam ich eine Antwort zurück wie “Nein, diese Filme sind unser Brotverdienst. Mit denen machen wir ein Vermögen. Wir können uns nicht leisten, an ihnen etwas zu ändern.”

Aber du wolltest nicht Vaseline auf die Linse schmieren und weiße Tücher filmen, wie sie durch den Wind wehen?
Ha. Nein. Die ganze Sache erinnerte ein bisschen daran, was die Aufnahmestudios in den 20ern mit den schwarzen Musikern gemacht haben. Es ist schwer, eine Aufnahme einer schwarzen String- oder Jugband zu bekommen, wie sie einen populären Song singen – oder etwas anderes als Blues – obwohl besonders die Popmusik zum Repertoire gehörte. Aber sie bekamen selten die Möglichkeit, sowas aufzunehmen. Es gab ein paar Einzelerscheinungen, doch meistens wollten sie, dass die Schwarzen wegen dem garantierten Umsatz weiterhin Blues spielen. Das Country-Zeug sollten die Weißen spielen. Doch in Wirklichkeit haben sich beide Seiten ein gutes Stück beeinflusst.

Aus Crumb.

Auf der neuen Crumb-DVD befindet sich eine schöne Kommentarspur von dir und Roger Ebert.
Weißt du, ich habe mir den Ebert-Kommentar nie angehört, seitdem wir ihn gemacht haben. Ich hätte es machen sollen, weil ich mich wahrscheinlich wiederholt habe. Habe ich das? Hast du dir auch meinen alleinigen Kommentar angehört?

Ja, es gibt dort aber nicht viele Wiederholungen. Einen Großteil der Zeit nimmt dich Ebert aus. Es ist interessant. Seine Kommentare sind meistens korrekt, aber manchmal gibt er psychologische Einschätzungen über die Leute im Film und du machst dich darüber lsutig.
(lacht) Tu ich das?

Du sagst dann, “Naja… so war es eigentlich nicht.” Doch eine Sache machte mich wirklich betroffen, sehr früh im Kommentar, als du sagst, dass du unter so grausamen, chronischen Rückenschmerzen gelitten hast, dass du dich, als der Film fertig wurde, dazu entschieden hast mit einem Gewehr unter deinem Kopfkissen zu schlafen, falls du dich auf einmal umbringen willst.
Ja, das tat ich. Ich entwickelte diese Rückenschmerzen und sie wurden einfach schlimmer und schlimmer. Ich bin zu Ärzten gegangen, wurde geröntgt und sie sagten “Es ist ein Bandscheibenvorfall, es wird nur schlimmer, Sie brauchen eine Operation…” Ich habe mich jahrelang ins Bett gelegt und mich nur zur Physiotherapie ins Krankenhaus geschleppt. Ich kam zu dem Punkt, an dem ich dachte, dass es so sinnlos war, dass ich mir ein Gewehr besorgte und den Mut mich umzubringen bekommen wollte. Ich meine, ich war von Freunden und Nachbarn abhängig, dass sie mir einmal am Tag eine Mahlzeit brachten.

Und du warst noch in schlechter Verfassung, als die Arbeiten für Crumb begannen?
Ich hatte quälende Schmerzen, besonders während der Szenen mit Charles Crumb, was die besten Szenen im Film sind und wahrscheinlich auch die ersten Aufnahmen waren, weil ich wusste, dass ich das auf die Reihe bringen musste. Aber ich erinnere mich, wie mich der Schmerz eines Tages quasi umgebracht hat. Ich fühlte mich, als würde jemand eine Lötlampe dranhalten. Zwischen den Aufnahmen habe ich mich auf dem Boden gelegt, um den Schmerz zu lindern. Im Liegen fühlte ich mich OK.

Wow. War es Charles und Robert bewusst, wie es um dich stand?
Ich habe es ziemlich gut versteckt. Leider wusste ich damals nichts über Schmerzmittel. Sonst hätte ich wohl Pillen eingeworfen, nur um auf den Beinen zu bleiben.

Es wäre wahrscheinlich ein anderer Film geworden, wenn du die ganze Zeit drauf gewesen wärst.
Stimmt! Irgendwann habe ich Howard Stern gehört und wie er über diesen John Sarno geschwärmt hat, der Sterns Rückenschmerzen geheilt hat. Also erkundigte ich mich nach ihm und der Typ rettete mein Leben. Tatsächlich habe ich gerade einer Frau das Leben gerettet, die unter der selben Sache litt. Sie besaß buchstäblich ein Gewehr und wollte sich umbringen. Sie sagte “Ich habe es meinem Freund, meiner Familie und jedem meiner Freunde erzählt, dass du mein Leben gerettet hast.” Ich sagte “Alles, was ich getan habe war dir zu raten, das Buch zu lassen Der Dank gilt nicht mir. Danke diesem Typen Sarno.”

Wie lief diese Behandlung kurz zusammengefasst?
Es geht darum zu verstehen, was den Schmerz eigentlich verursacht. Es ist ein echter Schmerz, kein eingebildeter, doch es kommt daher, dass man seinen Rücken die ganze Zeit steif hält, so dass der Kreislauf deine Muskeln nicht von Giften reinigt. Seine Theorie ist, dass es eher ein Problem des weichen Gewebes, der Muskeln und des Kreislaufs ist, als eines der Bandscheiben. Er sagt, dass man beginnt sich zu entspannen, wenn man von den Ärzten wegkommt, die einem die falschen Sachen erzählen. Ich weiß, dass es sich nach totalem Bla-Bla anhört.

Es hört sich wie The Secret bei Oprah Winfrey an oder sowas.
Ja. Es ist wie kompletter Unsinn, und glaub mir, ich habe aufgehört, meinen Unsinn mitzuteilen – aus Verzweiflung. Also dachte ich “OK, ich werde das mal ausprobieren und es wird auch nichts bringen.” Ich bin der zynischste und skeptischste Typ auf Erden. Doch es hat funktioniert.

Aus Crumb.

Hast du dann irgendwelche unerwarteten Einblicke in den Film bekommen, als du die Filme wieder gesehen hast?
Ja, eine Sache, die mich hochfahren ließ, war diese unglaubliche Reihe an Zufällen, die in beiden eine Rolle spielte. So etwa gibt es ein Foto in der Criterion-Ausgabe von Louie Bluie, wie ich die Darsteller und die Crew ins Long John Silver’s zum Lunch mitnehme. Und dann, zehn Jahre später, rede ich mit Charles und Robert nur noch über Treasure Island.

Ha, stimmt. Charles Crumb’s Leidenschaft für diesen Film ist gewaltig.
Und dann gibt es die ganze Geschichte, die zu Louie Bluie geführt hat, wie ich einen Zeitschriftenartikel für Old Time Music anfing und dann diese Frau Willie Seavers in einer Scheune in Tennessee trifft.

Die Frau von den Tennessee Ramblers. Im Film legst du einen Halt in diesem Laden ein, wo gerade irgendeine Band spielt, nur um zu sehen,was vor sich geht, und vielleicht Armstrong daran zu beteiligen.
Ja, sie war da drinnen und bemerkte Howard Armstrong, als wir ihn reinbrachten. Das letzte Mal hatte sie ihn 1930 gesehen, und das war das einzige Mal, wo sie sich getroffen haben. Sie hat sich an ihn erinnert, weil er solch einen Eindruck bei ihr hinterlassen hat.

Es ist toll, wenn die beiden miteinander spielen. Aber ja, stimmt, hört sich so an, als hätte eine unsichtbare Kraft deine Pläne unterstützt.
Ich nahm diese Zufälle so hin. Als wäre es eine Art Fügung, weißt du?

Sicherlich. Und ich kann nicht an Long John Silver’s denken, ohne an Charles Crumb zu denken. Er ist so eine wichtige Figur für den Film. Ich bin immer richtig von ihm bewegt, wenn ich den Film sehe.
Weißt du, ich musste wegen Charles bei einer Probevorführung die Zuschauerbewertungen ändern. Jeder wollte ihn aus dem Film raushaben. Als die 100 Bewertungen da waren, sagte ich “Ich nehm die mit nach Hause und schaue mir sie heute abend an.” Sie waren alle richtig negativ und wollten alle Charles und Maxon Crumb raushaben. Also habe ich in der Nacht 100 leere Karten bei Kinko’s drucken lassen und veränderte meine Handschrift mit verschiedenen Stiften und schrieb Kommentare wie “Mehr Charles!” Die gab ich meinem Produzenten. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen bei dem Gedanken.

Nein, das ist toll!
Ich musste es tun. Diese Probevorführungen sind kein Spaß. Es ist ein schreckliches System.

Hast du jemals Charles dazu bekommen sich an die Außenwelt zu wagen?
Nein, er verließ das Haus schon nie, als ich ihn 1974 das erste Mal traf. Und natürlich lebte der Film Treasure Island zwei Blocks weiter im örtlichen Kino wieder auf. Ein weiterer komischer Zufall. Wir erzählten ihm davon und er wollte wirklich hin, aber er konnte es einfach nicht. Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser eine Film im einzigen Kino der Stadt spielt, dass alte Filme zeigt? Er wurde dort wohl seit 40 Jahren nicht mehr gespielt.

Je mehr man Treasure Island in die Welt bringt, desto mehr bekommt man zurück.
(lacht) Das hoffe ich.

Wurde bei Charles etwas Bestimmtes diagnostiziert?
Eine Weile lang war er in der Psychiatrie,und er sagte mir, dass er dorthin zurück wollte, wenn seine Mutter stirbt. Er hat sein soziales Leben dort mehr genossen. Er konnte herumsitzen, Karten spielen und mit Leuten reden. Aber ich weiß nicht, we lange er dort verbracht hat oder wann das war. Er sprach für den Film darüber, aber aus irgendeinem Grund kam das nicht in den letzten Cut. Das war wohl, weil mein Produzent sagte “Das Ding ist so scheißlang. Man kann es nicht noch länger machen!”

Was waren die unmittelbaren Auswirkungen der Veröffentlichung der Dokumentation auf deine Freundschaft mit Robert Crumb?
Weißt du, das beeinflusste nichts. Man kann im Internet von einem Krach und einer Versöhnung lesen. Doch das ergibt keinen Sinn. Das größte Problem waren ein paar Momente, als Crumb mit fröhlicher Miene auf mich zukam, nachdem er zwei Wochen eine Kamera vor seinem Gesicht hatte, und sowas sagte wie “Wenn du nicht mein bester Freund wärst, würde ich sagen ‘Ich gehe mich mal frisch machen’ und du würdest mich nie wieder sehen.” Ich glaube er war etwas erschrocken über die große Aufmerksamkeit der Medien, als der Film rauskam. Zu dem Zeitpunkt war er glücklicherweise nach Frankreich gezogen, so dass er um das meiste rum kam. Ich erinnere mich an die Produzenten von Shows wie Jay Leno und David Letterman, die Crumb in ihren Shows haben wollten, und das war natürlich das Letzte, was er je getan hätte.

Ich war so glücklich, dass ich schon früh mit Sachen wie Zap Comix konfrontiert wurde. Der Name Crumb war damals in den frühen 80ern nicht wirklich geläufig. Jetzt ist er es meines Erachtens. Und er ist auch sehr etabliert, er arbeitet für den New Yorker und an seinem gewaltigen Genesis-Buch. Ich frage mich, wie viel dein Film mit diesem Übergang zu tun hatte.
Ihm wurden drei Millionen Dollar für seine Originalzeichnungen seines Book of Genesis angeboten. Er lehnte das natürlich direkt ab. (lacht) Dafür könntest du dir eine riesige Plattensammlung anschaffen, sagte ich ihm.

INTERVIEW VON JESSE PEARSON