Fällt euch echt nichts Besseres ein, als Schimpfwörter auf Kosten von Homosexuellen zu machen, ihr Schwindligen? Nichts Treffenderes, als jemanden Sohn einer Sexarbeiterin zu nennen? Ihr Auslaufmodelle, ihr Vollkoffer, ihr Gfrasta. Alles, was ihr draufhabt, ist die Beleidigung von Minderheiten oder ihr ruft einfach nur ein Wort für Vulva—ziemlich einfallslos, ihr Perverslinge.
Ingke Günther kann es besser.
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Ingke Günther, 1968 geboren, sitzt in ihrem Atelier in einem Dorf in der Nähe von Frankfurt—irgendwo im Nirgendwo. Seit zwölf Jahren sammelt die Künstlerin Schimpfwörter. “Die Befreiung der Worte aus der Ödnis der Textlandschaft” steht in schwarzen, ausgestanzten Lettern auf einem Karton gegenüber ihres Schreibtisches. Sie schaut darauf, während sie Schimpfwörter mit rosa-farbenem Garn auf weißen Karton stickt, A4, erzählt sie mir am Telefon. 2.138 Wörter hat sie in ihrer Sammlung. Sie stehen alphabetisiert in 26 schwarzen Archivkisten in einem Nebenraum.
Worte, die im Alltag zwischen “Arschloch”, “scheiße” und “Wichser” untergehen. Und warum? Weil ihr Wiaschtlsira und Universaldilettanten zu faul für majestätische Verbalkloake seid. Kreative Tattoos und witzige Verwendungszwecke und WLAN-Namen könnt ihr, aber wenn es um Schimpfwörter geht, seid ihr in den 50ern steckengeblieben und beschimpft andere als homosexuell? Ihr Einedrahra.
Wenn Ingke Günther neue Worte in ihre Sammlung aufnimmt, achtet sie zwar nicht darauf, ob die Worte politisch korrekt sind. Aber sie will eine “Mischung zwischen neckisch und derb”. So stehen Wortgebilde mit Fotze zwischen Friedhofsgemüse und Fickfrosch. Ihr größtes Problem ist unsere Einfalt: “Es gibt so viele Schimpfworte mit Genitalien, dass es langweilig wird”, sagt sie. Als Günther letztens im Martin-Gropius-Bau, ein Ausstellungshaus in Berlin, durch die Gänge lief, sah sie die übliche Schmiererei: “Fotze”, schlecht gesprayt in Schwarz. Sie griff zu ihren Buntstiften und schrieb Worte wie “Torfkopp” daneben. Sie streicht nicht durch, sie erweitert. Sie verbietet niemandem den Mund, aber zeigt, dass wir so viel geiler schimpfen könnten.
Jeder schimpft, und das war schon immer so. Mein Großvater ruft “Kruzifix”, Merkel soll öfter “scheiße” sagen, als es anständig ist und der ehemalige FPÖ-Landesparteiobmann Hilmar Kabas bezeichnete den damaligen Bundespräsidenten Klestil sogar als Lump. Kurz darauf dementierte Kabas die Vorwürfe und meinte, er habe Klestil als “Hump” oder “Dump” bezeichnet und erfand damit zwei völlig neuen Schimpfwörter.
Im Duden der lustigsten Schimpfwörter schreibt Autor Heiko Linnemann sinngemäß im Vorwort, dass das keine neue Erscheinung sei—sondern, dass wahrscheinlich schon Urmenschen und Neandertaler auf Dumme, Lahme und Dicke geschimpft haben. “Die Erniedrigung ist (…) eine anthropologische Konstante.”
Für die Psyche sind Schimpfwörter ein gewaltfreies Abführmittel. Die Aggression auf das Ketchup-Sackerl, das einfach nicht aufgeht; den verpassten Flug; die Mutter mit altklugen Ratschlägen; die Freundin, die nicht zurückkommen wird; den Typen, der dich bei der Führerscheinprüfung hat durchfallen lassen; die Schwarzkappler; oder die neue Freundin von dem Typen, in den du immer verliebt warst. Es muss raus. Als tiefes Grummeln steigt die Wut hoch und katalysiert sich in Worten.
Reinhold Aman, der wohl bekannteste Malediktologe—also Schimpfwortforscher—, der seit Jahrzehnten Beleidigungen in verschiedenen Sprachen untersucht und das International Journal of Verbal Aggression herausbringt, spricht von drei Fluch-Typen. Die Familienbeschimpfer, die Gotteslästerer und die Prüden.
Die Familienbeschimpfer, im Süden Europas gut vertreten, haben es auf deine Mutter abgesehen; die Gotteslästerer sagen in etwa: “O Gott, hör auf, mich ins Gesicht zu schlagen mit deinem Schwanz, der voller Scheiße ist, weil du gerade Jesus gefickt hast” (sorry an dieser Stelle, vor allem wenn du christlich bist—das ist ein Beispiel osteuropäischer Schimpfkultur aus einem Interview mit Aman und keine Aussage der Redaktion); die Prüden reagieren sich mit Worten ab, die mit Sex und Ausscheidungen zusammenhängen—also zum Beispiel “Fuck”, “Scheiße”, oder “Leck mich am Arsch”.
Bevor ein Wort allerdings herausflutscht, klopft das Korrektiv an. “Das sagt man nicht”, hören wir, seit wir zum ersten Mal “Scheiße” vor unseren Eltern gesagt haben. Dabei macht es überhaupt keinen Sinn, alle Beleidigungen zu tabuisieren. Wie und warum wir tabuisieren, wirkt völlig random. In einer Statista-Studie fanden die Befragten etwa “ficken” anstößiger als “schwul” (als Schimpfwort). Seit wann ist “ficken” ein Schimpfwort? Und warum sollte es weniger anstößig sein, als Homosexuelle abzuwerten?
Vielleicht ist es so wie mit allen verbotenen Dingen: Manche Leute denken, hinter der Grenze “böse Schimpfwörter” sei alles ungefähr gleich schlimm. Aber wir sagen ja auch nicht: Stehlen ist verboten, und wenn du es doch machst, ist völlig egal, ob du einen Kinderriegel mitgehen lässt, wie mein Kollege letztens, oder eine Bank ausraubst. Es ist eben schon ein Unterschied, ob ich euch Ärsche mit Worten beleidige, die zeigen, dass ich in meiner analen Phase steckengeblieben bin—oder ob ich über Minderheiten oder Sexarbeiterinnen abschätzig urteile.
Die Argumente dafür, “Hure”, “Spast” und “schwul” als Schimpfwörter zu benutzen, sind immer ungefähr dieselben.
“Die Wörter haben sich eben etabliert” – Ja, und das heißt, sie sind gut?
“Die nennen sich doch selbst so” – Ja, aber heißt das, wir dürfen diese Worte als Schimpfwörter benutzen? Wir benutzen ja auch nicht Jude als Schimpfwort, obwohl Juden sich selbst Juden nennen.
“Wenn ich dich Chia-Fresser eine Zeitgeistnutte nenne, hat dieses Wort ja nichts mehr mit Sexarbeiterinnen zu tun” – Keine Ahnung, bei Chia-Fresser musste ich selbst lachen.
“Fotze klingt eben einfach besser als politisch korrekte Beschimpfungen” – Ist das nicht einfach faul?
Es geht nicht um Regeln, die irgendwer festsetzen soll, aber wir haben eine Verantwortung für das, was wir sagen. Schimpfwörter wandern über Straßen, wir bilden sie ständig neu. Es ist unsere Entscheidung, welche wir benutzen und erfinden. Also seid halt einfach ein bisschen weniger einfältig, ihr Aufpudler und Baambrunza.
Neue Schimpfworte landen vielleicht irgendwann auf Ingke Günthers Schreibtisch. Die Schimpfwörter-Sammlung ist ein Projekt, das sie nicht beenden will. “Immer wieder dachte ich: So, jetzt reicht es”, sagt sie. “Aber dann habe ich wieder neue Wörter gehört, gelesen oder zugeschickt bekommen.” Gestickt in rosa-farbenem Garn wird sie—glaubt Ingke Günther—noch ihr Leben lang neue Worte in die Kisten im Atelier legen.