Feministin, Gastarbeitertochter und VICE-Kolumnistin: Alexandra Stanić schreibt wöchentlich darüber, wie sie Politik, Rassismus und Sexismus erlebt.
Innerlich koche ich vor Wut. Da ist er wieder, der nächste unsolidarische und schlichtweg gemeine Tweet einer Weißen Frau, der sich gegen eine Women of Color richtet. Es soll nicht um die Verfasserin gehen, denn sie ist nur ein Symbolbild dessen, was dem feministischen Diskurs schadet. Ich verstehe nicht, warum sich Frauen – plakativ gesagt – auf die andere, die antifeministische, ungerechte Seite stellen. Warum unterstützen sie das Patriarchat, wenn es sie unterdrückt? Diese Ignoranz macht mich wütend.
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Die Ignoranz von Frauen, die Gendern als unnötig empfinden; die die metoo-Bewegung übertrieben nennen und die Gründe für Diskriminierung bei Betroffenen suchen. Diese Ignoranz haben sogar Frauen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, deren Feminismus aber so Weiß ist, dass ich Magenschmerzen davon bekomme. Sie bedenken nicht, dass ihre Lebensrealität als Weiße Frau von der einer Woman of Color abweicht. Eine Schwarze Frau ist nicht nur von Sexismus betroffen, sondern auch von Rassismus. Manche Frauen haben es schwerer als andere, deswegen ist intersektionaler Feminismus so wichtig.
Kürzlich bin ich, eher ungewollt als freiwillig, in eine Diskussion über sexistisches Verhalten von Männern geraten. Vor mir saß eine Bekannte, Anfang 50: Sie verstehe nicht, “dass sich Frauen immer wieder als Opfer darstellen müssen”. Sie meinte damit auch mich, mein letzter Instagram-Beitrag über sexuelle Belästigung hat sie beschäftigt. “Du bist doch so selbstbewusst, warum machst du dich selbst so klein?”, fragte sie. “Mir passiert das doch auch nicht”, sagte sie, als ich von den Sicherheitsmaßnahmen erzählte, die ich treffe, wenn ich nachts zu Fuß nach Hause gehe.
Sie sucht Fehler in meinem Verhalten, ihrer Logik nach “spüren” Männer meine Unsicherheit und machen mich deswegen ungut an. Plötzlich geht es nicht um das Fehlverhalten des Mannes, sondern um mein Auftreten und meine Reaktion. Wenn wir diesen Ansatz weiterdenken, sind Frauen auch selber schuld, wenn sie angegriffen und vergewaltigt werden: War der Rock zu kurz, der Lippenstift zu rot – der Hilferuf zu leise?
Sie habe sich nie von Männern schlagen lassen, sagte meine Bekannte resolut und gnadenlos. Ihre Worte tun weh, weil ich weiß, wie schwierig es für von Gewalt betroffene Frauen ist, sich aus einer Beziehung zu befreien. Wo bleibt ihre Empathie? Aber Menschen beschäftigen sich oft erst dann mit Missständen, wenn sie selbst betroffen sind. Damit meine ich zum Beispiel: FPÖ-Wähler gucken sich die Sozialpolitik ihrer vermeintlichen Heimatpartei dann genauer an, wenn sie die Kürzung der Mindestsicherung am eigenen Leib erfahren.
“Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn mir Männer hinterherpfeifen oder -rufen. Ich mag die Aufmerksamkeit.” Das erinnert mich an die Worte der österreichischen Schauspielerin Nina Proll, die sich schon 2017 gegen die metoo-Bewegung aussprach.
Es ist das gute Recht meiner Bekannten, Catcalling als Kompliment aufzufassen. Aber Frauen, die anderer Meinung sind, als “zu schwach” und “zu empfindlich” abzustempeln und ihnen ihre Erfahrungen abzusprechen: Dieses Recht hat sie nicht. Sie kann das Machtgefälle hinter Catcalling ausblenden, wenn sie besser damit lebt – nicht aber auch noch so viel Ignoranz von anderen Frauen erwarten. Noch einmal zu Proll: “Abhängigkeit liegt im Auge des Betrachters”, schrieb die Schauspielerin damals. Sarkastisch fordert sie, Sex gleich zu verbieten – und ich bin überrascht, dass wir da doch ähnliche Worte finden. Nur fordere ich kein generelles Sexverbot, sondern eines für Männer, die sich gegen Kondome wehren.
Sehen Frauen, die gegen feministische Ansätze sind, das Offensichtliche wirklich nicht oder wollen sie es einfach nicht sehen? Wieso stören sie sich nicht daran, dass man ihnen eine Rolle überstülpt, die sie nicht annehmen müssten? Wieso kochen sie nicht vor Wut?
Vielleicht weil sie diese Rolle bewusst und gerne annehmen – wir alle wurden sexistisch sozialisiert. Vielleicht sind sie mit dem Ist-Zustand ok oder privilegiert genug, gesellschaftliche Missstände ausblenden zu können. Ja, vielleicht profitieren sie sogar von den derzeitigen Strukturen.
Kann ich sie dafür verurteilen, dass sie ein anderes Leben führen als ich es tue?
Dafür nicht, nein. Aber ich kann und werde sie scharf kritisieren, wenn sie dem feministischen Diskurs schaden und das tun sie in dem Moment, in dem sie den Fehler bei Betroffenen suchen oder Fakten als Unsinn verbuchen. Die sprechen nämlich für sich: In Österreich ist jede fünfte Frau körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. In Deutschland ist jede vierte abhängig Beschäftigte nach eigenen Angaben am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden.
Ich bin in meinem Denken nicht “weiter”. Auch ich wurde sexistisch sozialisiert. Es hat mich viele schlaflose Nächte gekostet, bis ich eingesehen habe, wie ungerecht unsere Gesellschaft ist, wie viel falsch läuft. Der stetige Kampf gegen Diskriminierung, in welcher Form auch immer, macht müde. Manchmal denke ich, es wäre einfacher, all die Ungerechtigkeiten auszublenden. Aber dieses Privileg hat nicht jede.
Es geht also nicht nur um uns Einzelne, es geht darum, die Gesellschaft von Grund auf wachzurütteln. Das ist wohl der gravierendste Unterschied zwischen Feministinnen und ihren Gegnerinnen (generisches Femininum, Männer mitgemeint): Die einen wollen Veränderung, die anderen nicht. Um ehrlich zu sein lesen sich die meisten antifeministischen Takes, die sowohl die Tiefen des Internets als auch “Qualitätsmedien” bieten, wie ein Ego-Trip, der so auch von weißen, alten Männern stammen könnte. Sie erheben sich über andere, über Betroffene, die “zu schwach” sind, um sich alleine aus den diskriminierenden Strukturen zu befreien, die manche Feminismus-Kritikerinnen nicht einmal anerkennen. Für Einzelne mag das funktionieren, vor allem dann, wenn sie besonders laut über Feminismus schimpfen. Veränderung in der Gesellschaft werden sie nicht erreichen. Aber das wollen sie ja auch gar nicht.
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