Schmusen, kuscheln, vögeln, feiern – im christlich-konservativen Österreich finden seit diesem Jahr Sex-Positive-Partys statt. Das Hausgemacht-Kollektiv macht Schluss mit dem prüden Wiener Nachtleben – drei Mal schon verwandelten sie den Gürtel-Club Auslage mit der Eventreihe Zusammen Kommen in einen sexpositiven Tempel.
Zeit also, um sich mit den Veranstalterinnen und Veranstaltern zu treffen und mit ihnen über die Party in Wien zu sprechen. Da die Hausgemacht-Gruppe inzwischen 43 Personen zählt, haben wir uns auf eine Interview-taugliche Anzahl geeinigt. Mit zweien aus der Gruppe, Fredi Ferkova, ehemalige Redakteurin für Noisey, und Thomas Manhart habe ich mich im Bierbeisl Einstein verabredet.
Videos by VICE
Bei weißem Spritzer und Kräutertee haben wir eine Stunde lang über den Unterschied von Sex-Positive- und Swinger-Partys geredet, darüber, wie die richtigen Leute reinkommen und Creeps draußen bleiben und über die wirklich argen Geschichten am Tag nach den Partys.
Noisey: “Wien hat einen Stock im Arsch” – Fredi, das hast du in einem Beitrag in der Zeitschrift Wiener geschrieben . Habt ihr der Stadt diesen Stock mit euren Sex-Positive-Partys rausgezogen?
Fredi: Ich glaube, wir haben gezeigt, dass Wien nicht so prüde ist, wie alle glauben. Bevor wir unsere Partys gemacht haben, gab es in der Stadt – bis auf wenige Ausnahmen – eher klassische Club-Veranstaltungen. Wir haben gezeigt, dass es einen Teil in Wien gibt, der keinen Stock im Arsch hat.
Thomas: … und dass das ein gar nicht so kleiner Teil ist. Wir haben nicht daran geglaubt, dass das so explodiert.
Hattet ihr vor der ersten Party im Mai Angst, dass niemand kommt, außer vielleicht ein paar weirde Creeps?
Fredi: Das war definitiv die Angst des gesamten Hausgemacht-Kollektivs [lacht]. Wir haben ja auch mit maximal 50 Leuten gerechnet und sind davon ausgegangen, dass wir ein Minus machen. Und dass halt nur irgendwelche Vergewaltiger-Typen oder alte Creeps kommen. Deshalb haben wir von Anfang an gesagt, dass wir selektieren müssen.
Uns ist es lieber, es feiern 20 Leute auf dieser Party, aber die sind von uns gut durchgecheckt. Bei der letzten Party am 10. November hätten wir auch 400 Leute mehr reinlassen können, was wir nicht getan haben – einfach, weil wir auf der sicheren Seite stehen wollten.
Thomas: Wir wollen eine Offenheit vorleben, und zeigen, dass es auch anders geht. Es ist nicht jeder ein Sexualverbrecher, der solche Partys mag [lacht].
Fredi: Was uns aber wichtig ist: erstmal Vertrauen in den Menschen, statt Misstrauen. In Wien ist es oft so, dass man eher negativ auf fremde Leute zugeht – und wir versuchen das ein bisschen aufzubrechen.
Auf unsere Partys kommen 21-35-jährige Menschen aus allen Ecken – ob Studierende oder Leute aus der Fetisch-Szene. Auch bekannte Menschen aus Wien und solche, die sonst keinen Techno hören.
Wie kann man sich eine Sex-Positive-Party von euch eigentlich vorstellen?
Thomas: Für uns ist wichtig, dass wir eine strenge Tür haben. Wir wussten aber, dass es auch dann Probleme geben wird, weil Wien einfach keine strenge Tür gewohnt ist.
Fredi: Wir bekommen nach wie vor Hate-Kommentare – und ich versteh’s auch: Manche warten zweieinhalb Stunden in der Schlange und kommen dann nicht rein. Das ist schon scheiße.
“Bei Sex-Positive geht’s darum, einen Ort zu schaffen, an dem sich alle wohlfühlen.”
Thomas: In Berlin ist es gang und gäbe, dass die Leute zwei, drei Stunden vor dem Club anstehen und dann vielleicht nicht reinkommen. Aber in Wien kommt halt beinahe jeder in jeden Club. Wenn sie dann bei uns nicht reinkommen, schafft das manchmal Verwirrung. Die strenge Selektion ist aber wichtig. Bei Sex-Positive geht’s darum, einen Ort zu schaffen, an dem sich alle wohlfühlen – und das schaffen wir, glaube ich, bis jetzt ganz gut.
Fredi: Letztens hat ein Gast zu mir gesagt: “Fredi, es war wirklich so, dass du dich überall hinsetzten konntest, und alle haben mit dir geredet, als wären sie ewig mit dir befreundet.”
Alle haben aufeinander aufgepasst. Ein Gast ist zum Beispiel eingeschlafen und gleich war jemand da und hat gefragt, ob es ihm gut gehe. Das hängt auf jeden Fall mit der Selektierung zusammen.
Wie schaut bei euch der Dresscode aus? Oder ist das eher ein Undresscode?
Fredi: Manche Frauen tragen Korsett, andere Dessous, wieder andere sind oben ohne. Männer kommen in Ledergeschirr oder tragen normale schwarze Boxershorts. Es gibt Männer, die sich wie Frauen anziehen und Frauen, die sich wie Männer anziehen. Bei uns gibt es alles. Trotzdem sind die Gäste was das angeht immer nervös. Wir bekommen unzählige Anfragen: “Wie komm ich jetzt am besten rein, was soll ich anziehen?”
Und wie kommt man am besten rein?
Fredi: Wir haben das mittlerweile genau auf unserer Homepage definiert: Mit Kink, Lack, Leder und Latex werdet ihr keine Probleme haben. Außerdem werden wir jetzt auch eine Collage erstellen mit Dresscodes, die zu uns passen.
Thomas: Wir versuchen auch durch konkrete Fragen an der Tür zu kontrollieren, ob sich die Leute mit Sexpositivismus auseinandergesetzt haben.
Fredi: Und wenn man dann reinkommt, werden die Handykameras abgeklebt.
Thomas: Bevor es zum Feiern geht, checken wir aber nochmal das Outfit der Leute.
Sex-Positive-Partys sind keine Sex-Partys. Wie definiert ihr diesen Unterschied?
Fredi: Bei uns gibts zum Beispiel Orte zum Vögeln, das sind die Darkrooms. Auf einer Sex-Party vögelst du, wo du willst. Irgendwann ab 2.00 Uhr früh haben wir’s auch nicht mehr in der Hand, ob alle Klos belegt sind, aber grundsätzlich kommt die Mehrheit der Menschen zum Feiern. 80 Prozent haben überhaupt keinen sexuellen Kontakt. Weibliche Gäste sagen sogar, dass sie weniger bis gar nicht angegraben werden – das ist auf einer Sex-Party ziemlich sicher anders.
Thomas: Sex-Positive stammt ja auch aus der feministischen Bewegung in den 80er Jahren. Viele Leute, die unsere Partys nicht kennen, denken trotzdem zuerst an Sex.
Es steckt also auch eine politische Message hinter euren Partys.
Thomas: Auf jeden Fall. Sex-Positive steht auch für eine gesellschaftliche und feministische Aufklärung.
“Jeder Körper ist wunderschön, jeder Körper ist sexuell, jeder Körper hat seine Berechtigung.”
Fredi: Es kommen viele Typen, die cross-dressen, weil sie das mal probieren wollen. Daneben sind viele Paare da, aber auch Trans- und Inter-Personen. Jeder Körper ist wunderschön, jeder Körper ist sexuell, jeder Körper hat seine Berechtigung. Auf unseren Partys kann man das ausleben, in einem ungezwungenen Rahmen, wo es nicht nur um Sex geht, sondern um Sexualität an sich.
Viele sagen uns, dass sie auf unserer Party die beste Nacht ihres Lebens verbracht haben. Man ist also nicht auf einer weirden Sex-Party, wo man dann zwanghaft akzeptiert wird. Bei uns feiern alle Sexualitäten, Körperformen und Menschen zusammen.
Thomas: Dieses Miteinander-Gefühl ist wichtig. Es entsteht durch Akzeptanz, Achtsamkeit und Respekt.
Vice Video – “Die erste Virtual-Reality-Party der Welt”:
“In einer Zeit von Schwarz-Blau, von Verboten und konservativen Lebensrealitäten, wollen wir uns entkleiden und den Hedonismus leben.” So steht das auf eurer Hausgemacht-Homepage. Seht ihr euch auch als progressiv-politische Triebkraft in Wien?
Fredi: Ich glaube, ich kann für alle 43 Leute im Kollektiv mitreden und sagen: Wir hassen Schwarz-Blau, wir hassen den konservativen Zugang zum Nachtleben, zur Drogenpolitik, zur Sexualität, zu Frauen. Diese Party ist ein absolut konträres Sinnbild zur politischen Situation in Österreich. Jetzt erst recht! [lacht]
Wenn ich mit Leuten über eure Sex-Positive-Partys anspreche, kommen ganz oft die Fragen: “Wie läuft das drinnen eigentlich ab? Sind alle nackt? Welche Leute kommen hin?”
Thomas: Bei der ersten Party dachten wir, dass die Mehrheit vollständig angezogen kommt, aber dem war gar nicht so. Die große Mehrheit kam im Dresscode.
Fredi: Und die, die angezogenen da waren, sind wieder runter gekommen und haben sich ausgezogen, weil sie meinten: “Du kommst dir wie ein Vollidiot vor, wenn du dort angezogen bist.” Die Leute sind aber nicht unbedingt nackt. Sie sind einfach so, wie sie sich sexuell am wohlsten fühlen.
Thomas: Ich sehe die Party als guten Einstieg in dieses Thema. Vielleicht auch im Gegensatz zum Verein Die Schwelle, der eher Workshops im kleineren Kreis machen. Da hat man vielleicht mehr Hemmungen hinzugehen als zu uns, wo das Feiern und die Musik im Vordergrund stehen – nur eben mit dem Zusatz: “Ich kann mal ausprobieren, mich freizügiger anziehen und schauen, wie ich mich damit fühle.”
Du hast Die Schwelle angesprochen – ein Ort im 15. Bezirk, wo sexpositive Räume geschaffen und sexpositive Veranstaltungen und Workshops ausgerichtet werden. Wie unterscheidet ihr euch von denen?
Fredi: Die Schwelle bietet Workshops an, sie haben verschiedene Themen-Nächte, wo du dich im Rahmen dieses Themas ausprobieren kannst. Wir haben kein Thema. Bei uns kommt man zum Feiern.
Wenn du für dich selber ein Thema behandeln möchtest, also zum Beispiel Lack und Leder oder irgendwas mit Peitsche, dann ist das der Rahmen dafür. Aber es gibt bei uns keinen geschlossenen Raum, wo nur das behandelt wird. Du bist zusammen mit anderen Leuten, die etwas ganz anderes machen. Wir können so Komplexe auflösen und das ist wunderschön.
Thomas: Wenn wir merken, dass zu viele Heteros auf der Party sind, die ganz normale Unterwäsche anziehen, lassen wir eine Zeit lang andere Menschen rein. Damit mehr Schwule und Lesben drinnen sind und es ausgewogen ist.
Fredi: Ich möchte an der Stelle einen Shoutout an Die Schwelle machen. Bei unseren ersten zwei Partys haben die uns mit ihrem Wissen extrem unter die Arme gegriffen. Danke dafür!
Wie könnt ihr sicher gehen, dass es auf eurer Veranstaltung zu keiner sexuellen Belästigung kommt?
Fredi: Drinnen arbeiten an die 10 Leute als Awareness-Team – wir kommunizieren stark online und wir selektieren sehr hart. Bei der letzten Party war es leider so, dass einer Frau irgendetwas ins Getränk gemischt wurde. Das war nicht systematisch und betraf nur sie, ihr Freund war zum Glück dabei und hat uns sofort Bescheid gegeben.
Solche Dinge werden wir nie ganz ausschließen können, aber wir probieren wie gesagt, an der Tür konkrete Fragen zur Party zu stellen. Wir schauen darauf, dass wir neben einer ausgeglichenen Geschlechterverteilung auch eine ausgeglichene Dresscode-Verteilung haben. Fetisch-Leute sehen das Vögeln nämlich mehr als Selbstverständlichkeit.
“Wenn du irgendwas mit Lack, Leder oder Peitsche machen möchtest, dann ist das der Rahmen dafür.”
Thomas: Unser Awareness-Team macht außerdem einen großartigen Job. Sie schauen, ob Scherben im Darkroom liegen, sie fragen bei Leuten nach, ob alles passt. Und sie sind Anlaufstelle für Leute, denen etwas auffällt. Wir haben auf den Frauenklos Plakate mit Codewörtern hängen, damit man sich an das Awareness-Team oder an die Bar wenden kann, wenn eine unangenehme Situation vorkommen sollte.
Ihr habt auch Erfahrung mit anderen Sex-Positive-Partys in Berlin, zum Beispiel im Kit-Kat-Club. Was sind die größten Unterschiede zu den Partys in Wien?
Fredi: Wir sind vor allem auf Frauen ausgerichtet und wollen die 50-Prozent-Quote konsequent durchziehen. Wenn ein schwuler Mann in einen Darkroom feiern gehen will, dann kann er in die Grelle Forelle zu Meat Market gehen. Frauen haben da viel weniger Möglichkeiten.
Im Kit-Kat-Club in Berlin kannst du zum Beispiel auch im Anzug kommen, das hat mit dem dominanten Sadomaso-Ding zu tun. Ich finde das mega sexy, aber wir können das bei uns noch nicht zulassen, weil die Party in Wien noch zu neu ist. Da würden sich eventuell Frauen unwohl fühlen, deshalb müssen wir noch vorsichtig sein.
Thomas: Viele Leute sind die Selektion an der Tür und das Handykamera-Abkleben nicht gewöhnt. Im Gegensatz zu Berlin sind die Partys bei uns auch persönlicher. Wir gehen in der Schlange rum, schenken den Leuten Obstler aus, damit sie gute Laune haben.
Mittlerweile habt ihr drei Sex-Positive-Partys in Wien veranstaltet. Was hat sich in der Zwischenzeit verändert?
Thomas: Die Eingang- und Garderoben-Situation war bei den ersten beide Partys noch ein Riesen-Chaos. Damals waren kurz vor 23 Uhr schon viele Leute da, haben aber keine Schlange vor dem Club gebildet, sondern sind in einer einzigen Traube rundherum gestanden. Jeder wollte rein, alle haben gedrückt. Das war schon viel Arbeit für die Türsteher.
Fredi: Bei der zweiten Party hatten wir auch das Problem, dass Scherben im Darkroom gelegen sind. Du vögelst dort, Gläser fallen um …
Wir haben extra eine Location gesucht, die nicht so abgefuckt ist wie alle anderen Techno-Clubs in Wien. Die Auslage ist eigentlich perfekt. Nur benutzen die statt Plastikbechern Gläser, dass das ein Problem sein könnte, hatten wir zuerst überhaupt nicht am Schirm. Wir sind auch auf die Gäste angewiesen, die Scherben im besten Fall sofort an uns, die Bar oder die Türsteher melden.
Gibt’s irgendwelche argen Geschichten, die ihr von euren drei Partys mitbekommen habt?
Fredi: Ich bekomm das eigentlich immer erst im Nachhinein mit, wenn mir der Club davon erzählt. In den Darkrooms schauts natürlich am nächsten Tag aus … da muss die Putzkraft nachher zehnmal beichten gehen.
“Anscheinend gab es bei der ersten Party an den Wänden des Darkrooms auch Fäkalien wegen Anal-Sex.”
Am Ende der letzten Party waren zwei Frauen am Boden und haben rumgemacht. Zehn Typen sind um die herum gestanden und haben gewichst. Daraufhin ist unser Awareness-Team zu den Frauen hingegangen und hat gefragt, ob das konsensual sei – was es war. Auch so etwas kann man bei uns ausprobieren.
Thomas: Bei der letzten Veranstaltung stand ich draußen am Selektieren. Irgendwann kam ein Typ, den wir nicht reingelassen haben. Er ist total ausgezuckt, hat herumgeschrien und wollte uns vor die Tür pissen.
Fredi: Anscheinend gab es bei der ersten Party an den Wänden des Darkrooms auch Fäkalien wegen Anal-Sex.
Thomas: Nach unseren Partys scheint es immer After-Partys zu geben, zu denen wir interessanterweise noch nie eingeladen waren. Da soll es dann weitergehen, mit mehr Sex als Positiv.
Fredi: Und ein Kollektiv-Mitglied von uns hatte einen Vierer, was ich mir grundsätzlich kompliziert vorstelle, aber wurscht [lacht].
Wann gibt’s die nächste Sex-Positive-Party von Hausgemacht?
Fredi: Im Februar. Aber wir müssen die Location wechseln, die Auslage schließt. Momentan sind wir noch auf der Suche. Alle Locations, die zur Auswahl stehen und nicht zu räudig sind, sind viel größer – was für uns ein Problem ist, weil wir mit dem jetzigen Andrang schon überfordert sind. Das Club-Sterben in Wien ist real, es fehlen ganz einfach die passenden Locations. Daher ein Aufruf an alle, die eine gute Location besitzen: Meldet’s euch bei uns!
Thomas: Achtung Teaser: Bei einem großen Festival sind wir nächstes Jahr auch dabei. Aber darüber darf ich eigentlich noch gar nichts sagen [lacht].
**
Folgt Noisey Austria auf Facebook, Instagram und Twitter.
Folgt Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram und Spotify.
Folgt Noisey Deutschland auf Facebook, Instagram und Snapchat.