Music

Wir haben Menschen gefragt, welche Songs sie nur noch schwer ertragen können

Foto: Infrogmation (Own work) [GFDL or CC BY 2.5], via Wikimedia Commons

Jeder hat mindestens einen Song, den er sich nicht mehr anhören kann. Diese eine allzu bekannte Melodie, bei der sich dein Hals zuschnürt und sich deine Augen mit Tränen füllen, sobald sie irgendein rücksichtsloser Trottel bei der Hausparty anmacht oder sie im Shuffle-Modus läuft. Vielleicht erinnert dich das Lied an deine erste große Liebe mitsamt dem anschließenden Herzschmerz. Vielleicht hat es deine Oma bei der Gartenarbeit gepfiffen, bevor sie starb. Vielleicht war es auch der letzte Song, den du gehört hast, bevor dir deine Eltern gesagt haben, dass sie sich scheiden lassen und dein Vater in diese fürchterliche Einzimmerwohnung am Stadtrand ziehen musste, wo er seine Zeit mit Biertrinken und Weinen verbrachte. Egal warum, wir alle haben musikalische Geister und manche von ihnen verfolgen uns bis an unser Lebensende.

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Es gibt Gründe, warum Lieder uns auf unangenehme Weise anheften. “Aus der Gedächtnisforschung wissen wir, dass Lebhaftigkeit und Intensität einer Erfahrung in Erinnerungen zusammenfließen. Und die Kodierung deines Hirns funktioniert effizienter, wenn du eine hochintensive Erfahrung durchmachst”, sagt Tuomas Eerola, Musikprofessor mit dem Forschungsschwerpunkt Musikwahrnehmung an der britischen Durham University. “Je stärker die externe Assoziation ist, desto leichter ist es für dein Gehirn, die Erinnerungen wieder abzurufen. Es tut das, um eine weitere, ähnliche Erfahrung überleben zu können. Wenn du einen Schock bekommst oder in einer gefährlichen Situation landest, können von da an die gleichen Auslösereize auftauchen.” In anderen Worten: Wenn du mal wieder zum Candlelight-Mix von DJ Sammys “Heaven” rumflennst, dann ist das nur dein Hirn, das dir einen Gefallen tun will. 

Vor diesem Hintergrund habe ich ein paar Menschen gebeten, die Songs mit uns zu teilen, die sie nicht länger hören können. Manchmal musst du dich dieser Musik einfach stellen, damit es dir besser geht.

BELDINA – “WHAT CAN I SAY”

Ich war etwa sechs Monate mit diesem Typen zusammen und unglaublich in ihn verknallt. Niemand sah mich jemals so wie er. Er hat ständig “What Can I Say” angemacht – gegen Ende unserer Beziehung immer öfter. Eines Tages ist er dann aufgestanden, um zur Arbeit zu fahren, hat meine Wohnung verlassen und ist nie wieder zurückgekehrt. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Über zwei Wochen wusste ich nicht, wo er war und keiner unserer gemeinsamen Freunde wollte mir etwas sagen. Wie sich schließlich herausstellte, war er zu seinem Ex-Freund zurückgegangen. Wenn ich jetzt diese ersten Zeilen höre, bekomme ich jedes Mal das gleiche Gefühl der totalen Verlassenheit und des gebrochenen Herzens. Ich habe wochenlang zu diesem Song geheult. Wenn ich auf den Text achtete, hatte ich das Gefühl, als hätte er versucht, mir etwas zu sagen, aber nicht den Mut gehabt, es in Worte zu fassen.

— Benjamin, 25

BLACK KIDS – “I’M NOT GONNA TEACH YOUR BOYFRIEND HOW TO DANCE WITH YOU (THE TWELVES REMIX)”

Als ich 15 war, sagte mir eine Freundin, dass sie zum ersten Mal Mepehdron ausprobieren wolle. Ich brachte also ein paar Pillen mit zu ihr nach Hause, damit wir sie an einem Sonntagnachmittag nehmen konnten. Das Mephedron war sehr stark und wir tanzten energisch zu diesem Twelves-Remix eines Songs von Black Kids auf Repeat in ihrer Küche herum und schnitten Grimassen. Ihr Vater kam früher nach Hause und sie rastete total aus und schrie mich an, ich solle mich im Schrank verstecken. Als er gerade nicht hinsah, musste ich mich aus dem Haus schleichen. Ich glaube jedoch, er merkte, dass sie high war und dass ich sie in Schwierigkeiten gebracht hatte, da sie danach nie wieder mit mir sprach. Wenn ich den Song jetzt höre, bekomme ich immer verschwitzte Hände und fühle mich extrem verängstigt. Es ist wirklich merkwürdig. Ich versuche ehrlich gesagt ihm einfach aus dem Weg zu gehen.

— Polly, 24

DAFT PUNK – “ONE MORE TIME”

Als ich 13 war, beging die beste Freundin meiner Schwester Selbstmord. Es war meine erste Erfahrung mit dem Tod, Beerdigungen und dem ganzen Zeug. Einer ihrer Lieblingssongs war “One More Time” und sie spielten ihn, als der Sarg ins Grab gelassen wurde. Alle lieben dieses Lied und es wird immer in total fröhlichen Situationen gespielt. Für mich ist das Lied aber unglaublich schmerzvoll. Irgendwie läuft es immer bei Silvesterpartys in Clubs und in mir ist dann einfach alles so “URGH!”. Aber ich will ihn nicht für andere Menschen ruinieren, also erinnere ich mich einfach daran, dass es in drei Minuten vorüber sein wird. Das Gedächtnis ist so ein Arschloch.

— Ashleigh, 28

EAGLES – „HOTEL CALIFORNIA”

In meiner Studentenzeit habe ich im Sommer die Nachtschicht in einem 24-Stunden-Supermarkt gemacht. Ich arbeitete in der Kühlwarenabteilung und verbrachte meine Zeit damit, Joghurt, Fleisch, Käse und so weiter einzuräumen (eine verrückte Zeit, ich weiß). Wie auch immer, irgendein blödes Arschloch (der Manager) hatte den Eagles Klassiker “Hotel California” die ganze Nacht auf Repeat gestellt. Ich spreche hier von 22:30 Uhr abends bis 6:30 Uhr morgens, also geschlagene acht Stunden. Er hatte sogar noch den Raum mit der Anlage darin abgeschlossen und den Schlüssel versteckt. Das Gitarrensolo wird mich bis ans Ende meiner Tage verfolgen. 

— Jez, 36

HOWARD SHORE – “CONCERNING HOBBITS”

Ich liebe Herr der Ringe wirklich und “Concerning Hobbits” von Howard Shore war früher mal mein “Happy-Song” – also das Lied, das ich anmachte, wenn ich besonders gut gelaunt war. Doch mein Ex-Freund spielte es in unserer vierjährigen Beziehung immer, wenn er Mist gebaut hatte oder ich sauer auf ihn war. Er benutzte das Lied, damit er wieder gut bei mir dastand. Nach unserer Trennung konnte ich es jahrelang nicht mehr hören, weil es für mich erstens mit Trauer oder Wut und zweitens mit ihm verbunden war. Wir nervig ist das bitte?

— Lily, 29

ABBA – “DANCING QUEEN”

Als Kind habe ich “Dancing Queen” von Abba geliebt. Meine Eltern sagten mir, dass es der erste Song war, zu dem sie bei ihrem ersten Date getanzt haben. Meine Mutter war damals 17, was perfekt zum Text passt: “Young and sweet, only 17”. Dann verstarb meine Mutter ziemlich plötzlich nach kurzem Kampf an Lungenkrebs. Beim Trauergottesdienst spielten sie in der Kirche “Dancing Queen”, um ihren Tanz in den Himmel zu symbolisieren. Das war der Moment, in dem ich schlagartig verstand, dass sie tot war und nie wieder zurückkommen würde. Seit diesem Tag kann ich dieses Lied nicht mehr hören, ohne dabei an die Beerdigung und die Kirche zu denken. Ich kann mir ohne Probleme das komplette Greatest-Hits-Album anhören, aber diesen Song muss ich immer überspringen. Er ruft einfach Erinnerungen hervor, denen ich noch nicht gewachsen bin und vielleicht nie gewachsen sein werde. Letztes Wochenende war ihr Geburtstag. Sie wäre 48 geworden.

— Zoe, 25

JEAN GRAE – “KEEP LIVIN’”

Es gibt durchaus ein paar Lieder, die ich mir kaum noch anhören kann. Als meine Eltern sich scheiden ließen – ich war zehn – versuchte ich meine Mutter zurückzugewinnen, indem ich ihr das neuerworbene Exemplar von Daniel Bedingfields “If You’re Not The One” meines Vaters präsentierte. Und an dem Tag, an dem ich mir die neue Wohnung meiner Freundin ansehen wollte, fand ich jemand anderes in ihrem Bett. Ich bin nach Hause, machte “Behind the Bunhouse” von den Mystery Jets an und quälte mich mit der Vorstellung, wie ihre Zunge liebevoll über einen besseren und wichtigeren Körper fährt. “Honey, why did you go behind the bunhouse?”, dachte ich mir. “Didn’t you know how much else I had to give?”

Am allerschwersten ist es für mich allerdings, “Keep Livin’” von Jean Graes anzuhören. Ich hörte den Song zum ersten Mal, als ich seit sechs Monaten in London lebte – wieder mit gebrochenem Herzen, allein in einer Stadt ohne Freunde, bis auf die 15 Gramm Gras, die mir jeden Montagabend an die Wohnungstür geliefert wurden. Manchmal hörst du ein Lied und fühlst eine derartig innige Verbindung, als wäre es in deinem Bauch geschaffen worden und durch deine Augen nach außen geflossen. Graes Track spricht die kältesten und einsamsten Teile der Seele an. “I love nobody; alone in this world that’s how I came in it”; “I don’t love love; All the hurting is infinite”; “Been failing my health / I hardly even eat no more / My lunch is munchies from the corner store.”

Natürlich reichen die Emotionen, die in diesem Track versteckt sind tiefer als meine eigenen. Es ist eine Geschichte über das Leben im Block, basierend auf einem Sample von Scarfaces “My Block”. Aber es gibt keinen Song, der mich mehr anspricht: die kaputte Familie, die Taubheit und die Süchte, ihr zu entfliehen, die Paranoia, die selbst deine Liebsten umgibt und die Einsamkeit. Letztendlich gibt es aber auch eine Kehrseite. So, wie es keinen Schmerz ohne vorangegangenes Glück gibt, kann es keine Erlösung ohne Verzweiflung geben. Wenn ich mir diesen Track wieder anhöre, weiß ich, wie es einmal war und wie es auch sein kann. “You gotta move on, I know I’m doing it right, I’m still living hustling life … let’s keep livin’.”

— Ryan, 24

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