Drogen

Das Gesundheitsministerium könnte versehentlich LSD-Derivate legalisiert haben

Ein Chemiker hält ein Glas hoch mit der Pro-Drug 1V LSD

Seit Jahren schon spielen die Anbieter von LSD-Derivaten und die Behörden Katz-und-Maus. Immer wenn ein LSD-ähnliche chemische Verbindung verboten wird, haben die einschlägigen Onlineshops längst eine neue Pro-Drug von LSD im Angebot.

Wie jetzt herauskam, ist dem Bundesgesundheitsministerium bei der letzten Überarbeitung des Neue-psychoaktive-Substanzen-Gesetzes womöglich ein Missgeschick passiert. Durch einen Interpunktionsfehler im Gesetz könnte das Ministerium bereits verbotene LSD-Derivate wieder legalisiert haben. Wir haben bei einem Händler von LSD-Derivaten nachgefragt, ob bei ihnen jetzt Feierstimmung ausgebrochen ist.

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Was sind LSD-Derivate?

Aber zunächst ein kleiner Chemie-Exkurs: Unter einer Pro-Drug versteht man eine Substanz, die erst durch die Verstoffwechselung, also erst im Körper, zu einem aktiven Wirkstoff wird.


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Im Falle von LSD-Derivaten bedeutet das: An die chemische Grundstruktur von LSD werden im Labor einfach ein, oder mehrere zusätzliche, aber wirkungsarme Stoffgruppen angehängt. Das können zum Beispiel Ethyl- , Methyl- oder Alkylcarbonyl-Gruppen sein. Die Auswahl an Möglichkeiten ist groß. Hergestellt werden solche Derivate meist von Lizard Labs, einem Labor in Holland, welches auf die Entwicklung solcher Stoffe spezialisiert ist.  

Durch die angehängten Stoffgruppen verändert sich die chemische Strukturformel von LSD soweit, dass die Substanz nicht mehr vom Betäubungsmittelgesetz erfasst wird. Man kann sie also legal verkaufen. Gleichzeitig werden diese zusätzlichen Stoffgruppen als erstes im Körper abgespalten, wenn man die Substanz konsumiert.

Übrig bleibt dann LSD. Zumindest in der Theorie. Ob am Ende auch die Wirkung dieselbe ist, weiß man nicht so genau. Denn zu solchen sogenannten Research Chemicals gibt es in der Regel keine wissenschaftlichen oder toxikologischen Daten. Dazu sind die Substanzen schlicht zu neu. “Das Fehlen solcher Daten ist hoch problematisch”, warnt deshalb zum Beispiel Esther Neumeier vom Institut für Therapieforschung in München, “sowohl für Konsumierende selbst, die weitgehend unbekannte Risiken eingehen, als auch für Maßnahmen der Harm Reduction wie etwa Safer-Use-Tipps.”

Anders als LSD, das schon seit 1938 bekannt ist und über Jahrzehnte in zahlreichen Studien erforscht wurde, hat man neue Research Chemicals weder hinsichtlich ihrer Wirkung noch in Bezug auf mögliche unerwünschte Nebenwirkungen wissenschaftlich untersucht. Wer sie nimmt, macht sich also selbst auch immer ein Stück weit zum Versuchskaninchen.

Das Geschäft mit den Pro-Drugs

Einer der ersten, der trotzdem damit anfing, LSD-Derivate online zu vertreiben, war Ilja Reimche. 2015 gründete Reimche den Online-Shop 1plsd.de. Was er dort verkaufte, war zunächst das, was auch in der URL seines Onlineshops steht: 1P-LSD. 

Ein Jahr später, also 2016, kam zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz, kurz NpSG, hinzu. Die Behörden wollten damit effektiver gegen Herstellerinnen und Hersteller neuer synthetischer Drogen vorgehen, die im Betäubungsmittelgesetz nicht aufgeführt sind. Per Verordnung kann die Regierung im NpSG ganze Stoffgruppen verbieten statt nur wie im BtMG einzelne Substanzen.

2019 war es dann so weit: Die Stoffruppe, zu der 1P-LSD gehört, wurde auch verboten. 

“Wir wussten, dass das passieren würde”, sagt Reimche am Telefon. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, bei dem auch die Bundesopiumstelle sitzt, hatte bereits 2017, also zwei Jahre zuvor, angekündigt, dass es den Verkauf von 1P-LSD beobachten würde. “Als 1P-LSD dann illegal wurde, hatte unser Lieferant längst 1CP-LSD im Angebot.” Was dann eben wieder legal war.

Der fatale Bindestrich

Und nach 1CP-LSD kam 1V-LSD. Denn, wie gesagt: Die Möglichkeit, durch das Anhängen von Stoffgruppen, ein Derivat herzustellen, sind zahlreich. 

1V-LSD wiederum wollte das Bundesgesundheitsministerium, das diesen Entwicklungen letztlich immer hinterherhinkt, eigentlich bei der bis dato letzten Änderung des NpSG im Oktober 2022 in die Liste aufnehmen. Aber dabei ging – wie nun herauskam – offenbar etwas schief. 

Wie die Legal Tribune Online berichtete, haben der Strafrechtler und Kriminologe an der Uni Heidelberg, Sebastian Sobota, die Chemikerin Annika Klose und der Materialwissenschaftler Lukas Mirko Reinold herausgefunden, dass Lauterbachs Ministerium offenbar bei der letzten Änderung ein Fehler unterlaufen ist.

Und damit geht’s jetzt wirklich ins allerkleinste chemische Detail. Der Fehler ist nämlich einfach ein Bindestrich, wo eigentlich ein Komma hätte stehen müssen. Bereit?

“Konkret geht es um 5.2.a) der Anlage zum NpSG”, schreibt Strafrechtsanwalt Sobota auf Nachfrage. Der komplette Beitrag der Autoren wird erst in der im März erscheinenden Ausgabe des Fachblattes Strafverteidiger veröffentlicht, liegt VICE aber vor. 

“Der Verordnungsgeber hat dort in ‘Alkylcarbonyl (bis C10)-Cycloalkylcarbonyl- (Ringgröße C3 bis C6)’ einen Bindestrich statt eines Kommas eingebracht.” Es geht um den Bindestrich nach (bis C10).

“Der Bindestrich hätte bereits nach ‘Alkylcarbonyl’ gesetzt werden müssen”, schreibt Sobota weiter. “Diese falsche Interpunktion hat inhaltliche Auswirkungen, weil ein Bindestrich zwischen den beiden Teilen eindeutig eine Gesamtgruppe ausdrückt, während mutmaßlich zwei einzelne Gruppen gemeint waren. In chemischer Hinsicht ist die formulierte Stoffgruppe ‘Alkylcarbonylcycloalkylcarbonyl’ etwas anderes als: ‘Alkylcarbonylgrupppe’ oder ‘Cycloalkylcarbonylgruppe’. Das hat zur Folge, dass zahlreiche LSD-Derivate, die schon verboten wurden, nicht mehr erfasst sind.”

Ein Mini-Fehler also, der laut Sobota dazu führt, dass seit Oktober 2022 eine Reihe von LSD-Derivaten – offenbar versehentlich – vom Bundesgesundheitsministerium nachträglich legalisiert wurden beziehungsweise nicht in der Liste stehen und entsprechend auch nicht illegal sind – darunter auch 1V-LSD.  

Legal oder illegal, das ist hier die Frage

Das Bundesgesundheitsministerium dagegen dementiert die Auslegung des Strafrechts-Anwalts. “Diese Darstellung ist falsch”, schreibt das Ministerium in einer eigens versandten “Richtigstellung”. Es gebe zwar einen Interpunktionsfehler in der Verordnung. Unbeabsichtigt sei ein Bindestrich verschoben worden. Der redaktionelle Fehler im NpSG habe aber keine Auswirkungen auf die geltende Rechtslage. “Der Verkauf von LSD-Derivaten wie 1V-LSD bleibt weiterhin verboten.”

Strafrechtsanwalt Sobota bezweifelt, ob das wirklich der Fall ist. Der redaktionelle Fehler führe zu einer Generalamnestie für alle Verstöße gegen Paragraf 4 des NpSG, die sich auf den Umgang mit den genannten Tryptaminen – darunter fallen die LSD-Derivate – beziehen und noch nicht rechtskräftig abgeurteilt worden sind. “Bereits Verurteilte könnten einen Gnadenantrag stellen”, sagt er gegenüber Legal Tribune Online.

Was diese Panne zeigt, ist wie komplex der sich immer weiter ausdifferenzierende Drogenmarkt und damit auch der Wettlauf um die Verbote von neuen psychoaktiven Substanzen geworden ist. Das NpSG gleicht in seiner Struktur einem Chemielehrbuch. Um es zu verstehen, muss man erstmal einen Chemiker fragen. Entsprechend steigt also auch im Bundesgesundheitsministerium offenbar nicht mehr jeder einwandfrei durch.

Deshalb fordert Strafrechtsanwalt Sebastian Sobota in seinem Beitrag das Bundesgesundheitsministerium dazu auf, die von ihm aufgedeckte Panne als Anlass zu nehmen, um den Umgang mit neuen psychoaktiven Stoffen grundsätzlich zu überdenken. Durch das Verbot der in ihren Nebenwirkungen besser erforschten “klassischen Betäubungsmittel” – in diesem Fall LSD – werde der Markt für immer neue und potenziell gefährlichere psychoaktive Substanzen erst geschaffen. Diese Verbotspolitik erzeuge also vor allem weitere hausgemachte Probleme. 

Ilja Reimches Online-Shop, den er mittlerweile nach eigenen Angaben an Freunde abgegeben hat, verkauft mittlerweile längst ein neues LSD-Derivat: 1D-LSD. Er selbst, sagt er, sei nur noch beratend tätig. 

“Wir werden selbstverständlich beobachten, wie das weitergeht”, sagt Reimche. “Wir haben keine kriminelle Energie, insofern werden wir auch nur Produkte verkaufen, bei denen wir sicher sind, dass sie legal sind.” Er könne sich aber vorstellen, dass es andere Online-Shops gebe, die 1V-LSD jetzt wieder ins Sortiment aufnehmen. “Meines Wissens hat der Lieferant davon noch eine ganze Menge auf Lager”, sagt er. 

Das Bundesgesundheitsministerium hat angekündigt, den “redaktionellen Fehler zügig berichtigen” zu wollen. Ein erneuter Beschluss des Bundesrates sei dazu – anders als von Strafrechts-Anwalt Sobota in seinem Beitrag behauptet – “nicht erforderlich”. 

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