Italiener machen den besten Wein, die beste Pasta, das beste Brot, den besten Kaffee, die beste Pizza … ja, sie machen in der Küche eigentlich alles am besten. So wurde es mir jedenfalls als Italienerin von Klein auf eingetrichtert. Dabei haben einige unserer Kochtraditionen ihren Ursprung ganz woanders und haben eher zufällig ihren Platz in Italien gefunden. So auch der Cappuccino. Im Gegensatz zur gängigen Meinung wurde er nicht in Italien erfunden.
Gianni Tratzi ist Besitzer der Beratungsfirma Mezzatazza, die sich auf Cafés spezialisiert hat. “Sowohl der Name als auch das Getränk Cappuccino scheinen von den Kapuziner-Mönchen zu kommen”, sagt er. Die Kaffeespezialität habe ihren Ursprung in den edlen Wiener Kaffeehäusern des 18. Jahrhunderts, wo das schwarze Gebräu mit Zucker, Sahne und Gewürzen gemischt wurde. “Das Getränk ist heute noch als Wiener Kaffee bekannt”, sagt Tratzi. “Der Name Cappuccino hingegen ist international und meint das Getränk mit aufgeschäumter Milch.”
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Natürlich lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, wer den Cappuccino erfunden hat, aber laut Tratzi wird die Kreation in mehreren Büchern einem Kapuzinermönch namens Marco d’Aviano zugeschrieben, der im 17. Jahrhundert in Österreich lebte. “Ihm soll in Wien ein sehr bitterer Kaffee serviert worden sein, den er dann mit Zucker und Sahne rettete”, sagt Gianni Tratzi. “Die Bedienung merkte sich das Rezept des Mönchs und von da an wurde das Getränk als Kapuziner serviert.”
Manuel Terzi, Besitzer des Caffé Terzi in Bologna, kennt eine andere Geschichte zur Entstehung des Cappuccinos. “1683 belagerte das türkische Heer Wien”, sagt er. “Ein polnischer Soldat mit dem Namen Jerzy Franciszek Kulczycki, oder eingedeutscht Georg Franz Kolschitzky, gab sich als Türke aus, ging durch die feindlichen Linien und brachte in Erfahrung, dass Unterstützung für die belagerten Wiener unterwegs war.”
Laut der Legende half Kolschitzky damit Österreich, den Krieg zu gewinnen. “Als Belohnung bekam er Säcke voller Kaffee, die das türkische Heer zurückgelassen hatte, und eröffnete das erste Wiener Kaffeehaus, wo er das Getränk mit Milch und Honig süßte”, sagt Manuel Terzi. Kolschitzky wird von manchen sogar als Erfinder des Croissants bezeichnet. Ein echtes Universalgenie.
Laut Gianni Tratzi wurde das erste halbwegs mit dem heutigen Cappuccino vergleichbare Getränk in den Zwanziger Jahren im Caffé dei Ritti in Florenz serviert, als es auch die ersten industriellen Kaffeemaschinen gab. Die Firmen von damals – Cimabli, Marzocco, Victoria Arduino oder Pavoni – sind bis heute bei Espresso-Fans bekannt und beliebt. “Das waren aber immer noch nicht die Espresso-Maschinen, die wir heute haben”, sagt Tratzi. “Sie waren eher so was wie Schnellkochtöpfe mit einem Ventil für Dampf und einem für Wasser.” Was die Maschinen allerdings schon hatten, war ein Dampfstab, einen Vorläufer des Milchaufschäumers.
Aber auch geschmacklich hatten diese frühen Cappuccinos noch einen weiten Weg vor sich. Mit dem feinen, vollmundigen Espresso, wie wir ihn heute kennen, hatte der Kaffee im Cappuccino noch wenig gemein. Es war vielmehr ein leicht angebranntes Espressokannengebräu mit aufgeschäumter Milch. In den 1940ern wurde dann aber die Espressomaschine mit Siebträgern erfunden und der moderne Espresso mit seiner festen Crema war geboren.
Haben die beiden Experten ein paar Ratschläge für den perfekten Cappuccino? Gianni Tratzi richtet sich nach dem klassischen Rezept, das auch von der Specialty Coffee Association gelehrt wird. Die Organisation repräsentiert Tausende Menschen in der Café-Industrie. Das Rezept geht so: ein Teil Kaffee (also ein Espresso), zwei Teile Milch und ein Teil aufgeschäumte Milch, “also ein sehr dünnes und feines Gemisch aus Milch und Luft, die beim Erhitzen in die Flüssigkeit eingearbeitet wird”, sagt Tratzi. Der Schaum sollte außerdem zwischen einem und anderthalb Zentimetern dick sein. Serviert werden Cappuccinos bei einer Temperatur von “zwischen 65 und 70 Grad in einer bis zum Rand gefüllten Tasse mit 150 bis 170 Millilitern Fassungsvermögen.” Ganz wichtig: “Obendrauf sollte eine Kaffee-Corona mit einem weißen Kreis in der Mitte zu sehen sein.”
Das hat nicht nur ästhetische Gründe. Die Zubereitungsart bedeutet, dass die Milch und der Kaffee perfekt miteinander vermischt sind. Das Getränk wird dann von Anfang bis Ende dieselbe Textur und denselben Geschmack haben. Wenn der Cappuccino von oben komplett weiß aussieht, “werden die ersten Schlucke zu sehr nach Milch schmecken und der Kaffee darunter wird stärker sein”, sagt der Café-Berater.
Laut Manuel Terzi ist genau das der Grund, warum kunstvolle Cappuccino-Kreationen vielleicht beeindruckend aussehen, aber nicht wirklich gut schmecken. “Cappuccinos sollten gleichförmig sein im Gegensatz zu einem Flat White zum Beispiel, der geschichtet ist”, sagt er. “Je komplexer das Design, desto weiter ist es vom traditionellen italienischen Cappuccino entfernt.”
Und wo wir schon bei Traditionen sind: In Italien ist der Cappuccino fast ausschließlich ein Frühstücksgetränk. Auch wenn Italienerinnen und Italiener gerne nach dem Mittagessen und dem Abendessen Kaffee trinken, dürftest du verächtliche Blicke ernten, wenn du in einem italienischen Restaurant nach dem Essen einen Cappuccino bestellst.
Als ich Gianni Tratzi danach frage, überrascht mich die Antwort des Kaffeepuristen dann aber doch. “Als Getränk nach einer Mahlzeit kann ein Cappuccino ziemlich gut sein, aber vielleicht ist die große Tasse ein bisschen zu viel”, sagt er. “Vielleicht passt da ein Cortado besser, das sind 100 bis 110 Milliliter mit einem Espresso-Shot und etwas weniger aufgeschäumter Milch, was auch den Geschmack des Kaffees besser rausbringt.”
Und was ist mit Milchalternativen? Manuel Terzi mahnt zur Vorsicht bei Cappuccinos mit Milch auf Pflanzenbasis. “Das große Problem ist, dass sie sich durch das fehlende Eiweiß nicht gut aufschäumen lassen”, sagt er. “Die einzige, die diese feine Balance zwischen Geschmack und Textur hinbekommt, ist Quinoa-Milch.” Gut zu wissen.
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