Ein Mann, der jahrelang vor der Polizei auf der Flucht war, steht mit dem Rücken zur Kamera im Halbdunklen
Fotos: Gaby Schütze
Drogen

Wie es sich anfühlt, jahrelang von der Polizei gejagt zu werden

"Ich ging zur anderen Seite des Lagers und öffnete die Tür zum Treppenhaus – wo ein Zugriffsteam des LKA mit gezogenen Waffen um die Ecke bog."
FF
aufgeschrieben von Florian Friedman

Als die Bullen mich aus dem Bett brüllten, und ich Sekunden später in Unterhose und Handschellen an die Wand geschubst wurde, empfand ich nur eines: Erleichterung. Zwei Jahre Flucht setzen einem zu. 

Vielleicht wollte ich, dass die mich packen. Eigentlich ist das der einzige Grund, der Sinn ergibt. Warum sonst wieder nach Deutschland einreisen? Warum in dieselbe Stadt ziehen? In Bosnien war ich sicher.

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Aber was auch immer mich dazu getrieben hat, Tatsache ist: Nach zwei Jahren Flucht stand ich nun in einem Übergangsheim für Wohnungslose, und ein Bulle, der mich nach Waffen abtastete, fragte: "Was ist denn los mit Ihnen? Sie sind ja tiefenentspannt." Und ich dachte bloß: "Geil, der Scheiß hat ein Ende."

Ich machte keine Faxen, fauchte niemanden an, obwohl ich nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst wurde. Es war nur wichtig, das Beste aus dem Scheiß zu machen. Ich kann bis heute kaum glauben, dass ich denen überhaupt so lange durch die Lappen gegangen bin. 


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Angefangen hatte das alles 2015, lange bevor die Bullen bei mir einritten: Ich hatte in einer Lagerhalle in Norddeutschland, die über eine Scheinfirma angemietet worden war, auf spanisches Marihuana gewartet. Es stand eine Lieferung mit einem Straßenverkaufswert von rund einer Million Euro an. Ein LKW sollte zwei als Glasvasen deklarierte Paletten Ware anliefern. Der tatsächliche Inhalt: 121 mit insgesamt 135 Kilogramm Cannabis gefüllte Vakuumbeutel und ein per Autobatterie betriebenes Handy, über das sich der Standort des Weeds checken ließ. 

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Es war ruhig im Lager. Alles wie immer. Aber ich hatte trotzdem ein ungutes Gefühl, weil die Lieferung schon drei Tage vorher hätte eintreffen sollen, mir aber keiner so recht sagen wollte, was schiefgelaufen war. Statt des Brummens des LKWs hörte ich neben der Laderampe dann schnelle Schritte und auf dem Hof bremsende PKWs. 

Ich ging zur anderen Seite des Lagers und öffnete die Tür zum Treppenhaus – wo ein Zugriffsteam des LKA mit gezogenen Waffen um die Ecke bog. Mir fiel nichts anderes ein, ich spielte den ahnungslosen Lagerarbeiter: "Moin, was ist denn hier los?" Das Herz schlug mir bis in den Schädel. 

Die Bullen schrien: "Polizei! Hau ab da, Mann!" Weil ich abgewetzte Kleidung trug und eine Wollmütze aufhatte, wirkte ich anscheinend nicht wie der Drogenbaron, den die Bullen hier erwarteten. Von den Beamten zur Seite gewinkt, blieb mir Zeit, in die Toilette zu gehen, alle E-Mails von meinem Telefon zu löschen, den Handy-Akku zu entfernen und meinen Schlüssel zum Lager unter die Klobürste zu legen. 

Vor einem Reifenhaufen steht eine Person in Jeans, dunkler Winterjacke und Handschuhen

Als ich wieder im Treppenhaus stand, war das LKA schon weitergezogen. Ich sah noch, wie jemand von einer Baustelle hinter dem Gebäude ein Teleobjektiv auf die Laderampe der Lagerhalle richtete. Wenige Minuten später saß ich in der S-Bahn – zwei Tage danach war ich in Bosnien.

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Ich dachte natürlich, dass die sofort in meiner Bude einfliegen. Dabei hatten die zu dem Zeitpunkt keine Ahnung, nicht von mir und auch nicht von der Organisation. Die wussten nur, dass da Weed auf den Paletten war und dass die Lieferung aus Spanien kam.

Was ich erst viel später herausfand: Die Jungs in Spanien, wo das Gras angebaut wurde, hatten Amateurfehler gemacht. Die Spedition bekam von denen eine falsche Hausnummer und konnte die Paletten deshalb nicht anliefern. Nachdem der Chef des Speditionsunternehmens tagelang vergeblich versucht hatte, jemanden von der Scheinfirma zu erreichen, öffnete er die Holzkisten auf den Paletten, staunte nicht schlecht und rief die Polizei. 

Eine Gmail-Adresse wirkt schon unprofessionell, doch das kann man sich bei einem kleinen Unternehmen noch vorstellen. Vielleicht auch, dass eine Firmenwebsite fehlt. Die Jungs hatten das Telefon aber immer nur an, wenn sie mussten. Die Spedition erkundigte sich mehrmals nach einer Umsatzsteuernummer, erhielt aber nie eine Antwort. Zu viele Ungereimtheiten.

Ich war damals schon ewig in diesem Milieu unterwegs. Wer im falschen Viertel aufwächst und die falschen Freunde hat, kann da so reinrutschen. Erst kifft man nur, doch irgendwann, wenn einen die Lehre ankotzt und andere Wege verbaut scheinen, denkt man sich: Warum nicht selber etwas von dem Weed verticken? Erst kleine Mengen, aber wenn du zuverlässig bist, kommst du auch an Kontakte mit besseren Preisen. 

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Wer in großem Stil verkauft, kennt das Gefühl, verfolgt zu werden. Was ich dann auf der Flucht spürte, war also eigentlich nichts Neues. Natürlich beschattet einen die Polizei, aber auch die Konkurrenz will dich drankriegen. Irgendwelche Hater haben sogar mal mein Auto beschossen. Das war eine richtige Jagd auf mich. Einer von denen stand vor mir auf der Straße und wollte mich aufhalten. Ich bin aber voll auf ihn zugefahren, und er musste zur Seite springen. Aus Frust darüber, dass ich entkommen bin, hat er mir hinterhergeschossen. Ich denke, er wollte eigentlich die Reifen treffen. Drohungen. 

Kugeln bedeuten Krieg, aber ich habe mich für Frieden entschieden. Nach den Schüssen aufs Auto war ich eine Weile raus aus dem Geschäft und im Ausland. Einer von den richtig großen Gaunern hat mir gesagt: "Warte ab, die zerfleischen sich selbst." Und so ist es auch gekommen. Der Neid hat sie zerfressen. Sogar innerhalb der eigenen Familie sind die sich an die Kehlen gegangen.

Man hat als Gauner immer Angst, dass man beobachtet wird. Irgendwie ist das aber auch ein Kick. Durch die Angst bist du viel vorsichtiger. Das war auf der Flucht nicht anders. Der Blick geht ständig in den Rückspiegel. Du merkst dir Nummernschilder, schaust öfter über die Schulter als andere, gehst zu Zeiten aus dem Haus, zu denen man nicht mit dir rechnet. Du fragst dich: Welche Personen, die du nicht kennst, tauchen plötzlich am selben Tag an mehreren Orten auf, an denen du auch bist? Ich habe den Spieß dann manchmal umgedreht und zurückobserviert, habe mich versteckt und Fotos von deren Autos gemacht.

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Aber du weißt natürlich: Ewig kannst du das nicht durchziehen. Klar, im Moment pumpt das Adrenalin durch deine Adern, du hast Action, und die Kohle stimmt. Man ringt mit sich selbst: Hab ich da noch Bock drauf? Doch das Geld lockt. Nur: So wie es reinkommt, ballert man es auch wieder raus. 

Ich hatte nie Paranoia, trotzdem ist die Angst stärker geworden. Durch Leute, die involviert waren. Ich habe gesehen, wie die arbeiten. Wie am Telefon gesabbelt wurde, wie die anderen sich mit einschlägigen Leuten zum Essen trafen. So etwas wurde von mir immer abgelehnt. Mit Gaunern habe ich nicht gefeiert, keinen Sport gemacht und so weiter. Man kann auch alles in einem Park besprechen, dafür muss man nicht zum Italiener. Meine Attitüde war: Ich bin ein Soldat, der einen Job zu erledigen hat.

So ganz stimmt das aber auch nicht, was ich gerade über das Gefühl, verfolgt zu werden, erzählt habe. Als ich in Bosnien saß, war etwas anders. Die Freiheit fehlte. Ich konnte nie locker lassen, war total angespannt. Ich wusste, ich kann nicht mal nach Kroatien, weil das EU ist. Zwar hatte ich es geschafft, Kommunikation nach Deutschland herzustellen und zu erfahren, was ungefähr abgelaufen war. Ich wusste aber nicht, ob die Infos sicher sind und ob ich den Leuten vertrauen kann. Es gab auch Spuren, die zu mir führten. Fingerabdrücke in der Halle.

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Eine Person in dunkler Winterjacke und mit Handschuhen steht in einem schummrig beleuchteten Parkhaus

Ich konnte in Bosnien eigentlich tun, was ich wollte. Aber ist das Freiheit? Oder anders herum: Ist es wirklich so schlimm, nicht tun zu können, was man will? Ich kann auch kein Wasser in Wein verwandeln. Das kümmert mich nicht. In meiner Situation bestand das Üble darin, dass ich gezwungen wurde, zu machen, was ich nicht wollte: Ich wollte nicht da unten bleiben.

Das hat sich anders angefühlt als früher. Während meines Gaunerlebens in Deutschland hatte ich auch Angst, aber ich war frei. Gefangen zu sein und gleichzeitig die Panik im Nacken zu spüren, dass da jederzeit etwas droht – so etwas fuckt einen ab. Ich hatte mein Leben verloren. Meine siebenjährige Beziehung mit meiner Freundin ging auch in die Brüche. Das war alles total dunkel.

Dazu kam Enttäuschung. Denn die Leute aus dem Business, auf die ich mich immer verlassen hatte, meldeten sich nicht. Auch nicht über Dritte. Das lief später im Knast genauso. Nicht mal über einen Anwalt bekam ich Nachrichten. Was sonst Standard ist. Mir hätte gereicht, zu hören: "Halt die Klappe, halt durch – da holen wir dich schon wieder raus." Menschen sind Ratten.

Nach ein paar Monaten auf dem Balkan dachte ich: "Scheiße, ich kann mich nicht mein Leben lang verstecken. Probier es mal. Fahr mal zurück. Vielleicht bist du durchs Raster gerutscht."

Wie ich später in den Akten lesen konnte, hatten die Bullen mich da schon total auf dem Zettel. Telefone wurden angezapft – von meiner Familie, aber auch von den Jungs in Spanien. Die Plantagen, die in spanischen Lagerhallen betrieben wurden, hat man mit Helikoptern überflogen. Die konnten über Wärmebildkameras sehen, was abging. In Deutschland wurde wohl auch ein V-Mann in die Organisation eingeschleust. Der hat über mich aber nur Quatsch erzählt. Zu den Zeitpunkten, an denen er mich angeblich getroffen haben will, war ich gar nicht in Deutschland. 

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Die Behörden wussten nicht, dass ich in Bosnien lebte. Weil für Österreich zuerst die Rechte fehlten, um mein Mobiltelefon zu orten, hatten sie mich dort verloren. Meine genaue Route kannten sie nur bis Passau.

Nach zwei Jahren habe ich es dann halt probiert. Zurück in meine Stadt, ohne Kohle, ohne Wohnung. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis ich gepackt wurde.

Drei Jahre habe ich bekommen. Davon saß ich drei Monate in Isolationshaft, angeblich wegen Verdunklungsgefahr. Erst als mein Anwalt mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte drohte, bin ich da rausgekommen. Ich habe versucht, das Positive an der Iso zu sehen. Ich konnte immer alleine duschen, musste meinen Tabak mit niemandem teilen. Ich hatte Ruhe. Trotzdem dreht man durch.

An einem Tag in der Iso – ich hatte nicht mal etwas zu lesen – lag ich auf dem Bett und musste lachen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Der Gedanke war: Du bist im Knast, aber du bist das erste Mal frei. Ohne Ablenkung, nur mit dir selbst. Alles hat sich zusammengefügt. Ich dachte: "Du warst doch sowieso planlos. Das ist der richtige Zeitpunkt."

Mein Leben als Krimineller ist heute vorbei. Ich bereue nicht, was ich gemacht habe, denn ich wusste, was ich tat, und kannte den Preis. Aber jetzt gehe ich einen besseren Weg. 

Als ich in der Lagerhalle dem LKA entwischt bin, dachte ich, dass ich frei bleibe, wenn ich abhaue. Das war falsch. Freiheit ist Kopfsache.

Die Identität des Protagonisten ist der Redaktion bekannt. Seine Schilderungen haben wir anhand von Gerichtsunterlagen verifiziert. Um seine Identität zu schützen, haben wir einzelne Namen und Orte anonymisiert.

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