Hände tauschen Geld aus, im Hintergrund sieht man Menschen, die eine Klausur schreiben. Im Internet findet man unzählige Angebote von Menschen, die Klausuren für andere schreiben. Wir haben mit zwei Ghostwritern von Klausuren gesprochen
Collage: VICE || Hände mit Geld: IMAGO / Panthermedia || Leute an den Tischen: IMAGO / Science Photo Library
Menschen

So leicht ist es, sich im Internet eine gute Klausur zu kaufen

"In zwei oder drei Jahren werden Arbeitgeber lauter Leute vor sich haben, die nichts können." – Hans, Ghostwriter

Hans und Jürgen sind 23 und 26 Jahre alt, studieren Informatik und Mathematik, wohnen im gleichen Haus und betreiben gemeinsam ein Business: Sie schreiben Klausuren für andere Studierende

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Das Phänomen scheint groß zu sein. Seit Corona schreiben viele Studierende ihre Prüfungen nur noch online. Nur wissen die Unis in den meisten Fällen nicht, wer sich da wirklich einloggt. Auf eBay Kleinanzeigen finden sich Hunderte Gesuche nach Ghostwritern für Klausuren. Einschlägige Websites bieten den Service offen an.

Wir haben mit Hans und Jürgen darüber gesprochen, wie man Klausuren-Ghostwriter wird und wie viel man damit verdient.


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VICE: Ihr schreibt Klausuren für andere, seid ihr Genies oder wie geht das?
Hans:
Wir sind schon beide sehr, sehr gut in unseren Fächern. Heute Nachmittag schreibe ich zum ersten Mal eine Klausur, für die ich vorher ins Lehrbuch schauen muss. 
Jürgen: Ich arbeite seit vier, fünf Jahren an der Uni als Tutor. Ich betreue Übungsgruppen, korrigiere Übungsblätter und Klausuren. Irgendwann hat man so viele Aufgaben gesehen, dass man eine Klausur einfach runterschreiben kann.

Wie kamt ihr auf die Idee, das zum Service auszubauen?
Jürgen:
Zuerst war da ein Kumpel, der Hilfe bei einer Mathe-Klausur brauchte. Beim Kaffee sind wir dann zusammen die Klausuraufgaben durchgegangen. Hinterher haben wir gemeinsam gefrühstückt.

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Hat er dafür bezahlt?
Hans
: Er hat zum Dank einen Kasten Bier ausgegeben.

Und wie kamt ihr auf die Idee, eure Exzellenz zu Geld zu machen?
Jürgen:
Der nächste Schritt war dann, dass ein Typ aus unserem Haus gefragt hat, ob jemand ihm bei einer Aufgabe helfen könne. Also haben Hans und ich sie für ihn gelöst. 

Und hat der dafür bezahlt?
Jürgen:
Er hat mir kurz darauf 40 Euro über PayPal geschickt.
Hans: Wir wussten gar nicht, dass die Ausgabe aus einer Klausur war. Aber hinterher fiel uns auf, dass er schon seit Längerem immer mal wieder in der Gruppe nach Hilfe gefragt hatte. Er war wohl schon länger auf der Suche nach Ghostwritern. Später kam er auf uns zu und fragte, ob wir das nicht häufiger machen wollten, größer und gegen mehr Geld. 

Macht ihr euch nicht auch strafbar?
Jürgen:
An keiner Uni steht in den Regeln, dass man nicht für jemand anderen Klausuren schreiben darf. Auch Abschlussarbeiten zum Beispiel. Strafbar machen sich nur die, die diese Arbeiten abgeben. Trotzdem wollen wir nicht, dass rauskommt, dass wir das machen.

Warum?
Jürgen:
Weil unsere Unis es nicht gerne sehen würden, wenn ihre Studierenden anderen helfen zu betrügen. Unis können Studierende auch wegen schlechten Benehmens exmatrikulieren.

Und wie schützt ihr euch?
Jürgen:
Zum Beispiel stellen wir uns dir als Hans und Jürgen vor. Wir nutzen eine anonyme E-Mail-Adresse, eine Telefonnummer, die sonst niemand kennt, und ein Paypal, das nicht auf unseren Namen läuft. 
Hans: Man müsste sich schon sehr anstrengen, um uns zu finden. Dafür bräuchte die Polizei einen Durchsuchungsbefehl bei den Leuten, für die wir die Klausuren schreiben. Fraglich, ob die so weit gehen würde.

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Wenn eure Kunden sich strafbar machen, sind die sicher extrem vorsichtig.
Hans:
Den meisten ist das völlig egal, die unterschätzen das Risiko komplett. Einer hat mir mal den Zugang zu seinem Uni-Account gegeben: E-Mail, Passwort, Matrikelnummer. Die schicken uns Geld über ihr persönliches PayPal, nennen uns ihre Unis, Namen, Telefon- und Matrikelnummern. 

Wie findet ihr eure Kundinnen?
Hans:
Meistens auf eBay Kleinanzeigen. Da sind Hunderte Gesuche nach Ghostwritern drin. Wir schreiben die Leute dann an.
Jürgen: Der Typ aus unserem Haus vermittelt uns auch Kontakte. Der hat sich da ein richtiges Geschäft aufgebaut und zweigt sich bei jeder Vermittlung eine ordentliche Provision ab .

Wie viel Geld macht ihr damit?
Hans:
Wir machen das erst seit letztem Semester. Unsere Pauschale ist 100 Euro pro Stunde. 
Jürgen: Ich habe mit 20 Klausuren etwa 4.000 bis 6.000 Euro verdient.

Welche Klausuren bringen am meisten Geld?
Jürgen:
Wir machen oft Hausaufgaben für Leute, die an einer Hochschulen studieren. Die sind meistens sehr leicht. 
Hans: Da kann man beim Frühstück in einer Stunde 300 Euro machen. Universitäten sind viel aufwändiger. 

Wer beauftragt euch denn am häufigsten?
Hans:
Leute aus Wirtschaftsstudiengängen. BWL, VWL und so weiter. Statistik für Wirtschaft, Stochastik für Wirtschaft, Mikro- und Makroökonomie. Für die scheint die Welt einfach käuflich zu sein.

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Habt ihr auch Stammkunden, die immer wiederkommen?
Jürgen:
Ein Typ hat letztes Semester eine Klausur bei uns in Auftrag gegeben und sich danach für alles angemeldet, was möglich war. Als er gemerkt hatte, dass er nicht mehr lernen musste, hat der locker 40 bis 50 von regulären 30 Credit Points gemacht. Beziehungsweise wir haben das gemacht. Der hat dieses Semester auch schon wieder angefragt.

Das heißt, Leute, die es sich leisten können, können sich ihr Studium jetzt easy kaufen.
Hans:
Klar. Nur Leute, die das Geld haben, können das machen.
Jürgen: Und die studieren besonders oft Wirtschaft. Aber das Problem ist ja noch größer.

Inwiefern?
Jürgen:
Das alles ist unfair gegenüber denen, die vor zwei Jahren die gleichen Klausuren geschrieben haben. Ich musste mich damals noch voll reinhängen.
Hans: Außerdem werden Arbeitgeber in zwei oder drei Jahren lauter Leute vor sich haben, die nichts können.

Das muss doch auch für die Unis ein Problem sein. Kriegen die das nicht mit?
Jürgen:
Doch. An meiner Uni hatte die letzte Mathe-Klausur einen Schnitt von eins Komma irgendwas. In den Jahren davor lag der bei drei Komma irgendwas – ist also zwei ganze Noten gestiegen. Die Veranstalter lachen darüber, aber ich glaube, da ist jedem klar, was eigentlich passiert. 

Aber sie machen trotzdem nichts.
Jürgen:
Eine westdeutsche Uni hat vor einer Klausur mal ein Informationsblatt ausgeteilt. Darin ging es auch um Ghostwriting. Dass die Uni wisse, dass es die Angebote gibt, dass sie das nicht toleriere und dass man sich als Studi strafbar mache, wenn man das macht. Aber das dient nur der Abschreckung. 

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Keine konkreten Sicherheitsvorkehrungen?
Hans:
Manchmal muss man seine Webcam anmachen. Dann helfen wir aber einfach über WhatsApp. Es kriegt keiner mit, wenn wir die Lösungen per Chat aufs Handy schicken, das neben dem Computer liegt.
Jürgen: Bei Informatik-Klausuren ist meistens eine Aufgabe dabei, bei der man irgendwo die Matrikel-Nummer einsetzen muss. Das verhindert, dass Leute das anonym in Auftrag geben. 
Hans: … und dass die Lösungen einfach so rumgeschickt werden. Jeder, der Freunde und ein Handy hat, löst eine Klausur nämlich gemeinschaftlich in einer Chatgruppe.
Jürgen: Eine Möglichkeit wäre natürlich, die Klausuren jetzt dreimal so schwer zu machen. Aber das wäre dann ja auch unfair gegenüber denen, die es noch selbst versuchen. 

Im März sollen die Pandemie-Beschränkungen wegfallen. Was macht ihr, wenn die Klausuren wieder in Präsenz stattfinden und eure Aufträge wegbrechen?
Hans:
Ich finde das nicht so schlimm. Ich bin nicht auf das Geld angewiesen. Wir sind bald fertig mit unserem Studium, dann haben wir sowieso richtige Jobs.
Jürgen: Vielleicht ist das sogar gut. Wir helfen ja gerade Leuten, den Abschluss zu kriegen, die es eigentlich nicht verdient haben. Wenn jemand im Drittversuch ist und ohne uns von der Uni fliegen würde, dann wäre das vielleicht auch besser. 
Hans: Aber das vergisst man schnell, wenn man 300 Euro dafür kriegt.

Das heißt, ihr wisst, dass ihr etwas Falsches tut, und ihr braucht das Geld nicht. Warum macht ihr es dann?
Jürgen:
Gute Frage. An unserer Uni würden wir jedenfalls keine Klausuren für andere schreiben.
Hans: Also ich würde nicht wollen, dass jemand nur meinetwegen seinen Abschluss bekommt. Dem würde ich keine Klausur schreiben. 
Jürgen: Wir können wohl nicht schönreden, was wir machen. Wahrscheinlich muss man es so ausdrücken: Es geht hier nur ums Geld.

Robert hat seine Klausuren noch alle selbst geschrieben. Auch auf ​​Twitter und Instagram findet ihr seine Werke. Folgt VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.