Menschen

Eine Therapeutin erklärt, warum Fremdgehen nicht unbedingt Betrug ist

...und wie du deine Beziehung nach einem Seitensprung rettest.
Vincenzo Ligresti
Milan, IT
Hochzeitstortendekoration aus Keramik zerspringt, diese Expertin erklärt, warum Fremdgehen kein Grund sein muss, um eine Beziehung zu beenden
Foto: Getty/Sohl

Früher dachte ich immer, dass Menschen, die zusammenbleiben, obwohl einer den anderen betrogen hat, Loser wären. Aber über die Jahre habe ich verstanden, dass Beziehungen kompliziert sind. Natürlich tut Untreue schrecklich weh, aber es ist überhaupt nichts falsch daran, an einer Beziehung zu arbeiten, nachdem dein Partner dich enttäuscht hat – im Gegenteil. Das zeugt von Größe. Und wenn du bereit bist, richtig hart zu arbeiten, kann die Beziehung hinterher sogar noch schöner sein.

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Untreue kann einen heftigen Riss in einer Paarbeziehung verursachen, sagt Laura Duranti, Psychologin, Sexologin und Paartherapeutin. "Sie zerstört das eigene Selbstverständnis und das Vertrauen – und damit die Basis einer Beziehung." Natürlich gibt es verschiedene Formen von Untreue. Es ist ein Unterschied, einen Seitensprung zu verzeihen oder über eine Affäre hinwegzukommen, in die womöglich noch Gefühle verwickelt waren. Klar ist aber auf jeden Fall: Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung. Nur verschiedene Möglichkeiten.


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Wenn man betrogen wurde, sei es das wichtigste herauszufinden, warum der Partner einen hintergangen hat, sagt Duranti. Dazu sollte man ehrlich darüber reden, wie beide die Beziehung zum Zeitpunkt des Betrugs wahrgenommen haben. Wenn ihr beide der Meinung seid, dass eigentlich alles gut war, hat die Fremdgeherin oder der Fremdgeher womöglich narzisstische Tendenzen und ist generell nicht fähig, eine Beziehung zu führen. Wenn es eigentlich schon schlecht lief, hilft diese Erkenntnis oft dabei, die Motive für die Untreue zu verstehen.

Die meisten Menschen glauben, es sei alles in Ordnung, bis der Partner sie betrügt, sagt Duranti. Mit etwas Abstand sehen sie das dann oft anders. "Rückblickend sagen die Betrogenen oft, dass ihnen gar nicht klar war, wie unglücklich ihr Partner war. Oder noch schlimmer – sie wussten es, aber es war ihnen egal." In solchen Fällen seien beide für den Betrug verantwortlich, sagt Duranti.

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Wenn du zugeben kannst, dass du für die Situation mitverantwortlich bist, heißt das aber nicht, dass du dich deswegen selbst fertig machen sollst oder deinem Partner einfach so verzeihen. Es geht eher darum, empathisch zu sein und die Gesamtsituation zu verstehen. Klar, du bist verletzt, überfordert und verdammt sauer. Dein Partner sollte der Geduldige sein und sich anhören, was du ihm zu sagen hast. Aber wenn du wirklich weitermachen willst, solltest du dich konstruktiv mit deinem Gegenüber unterhalten. "Frag nicht nach Details", sagt Duranti. "Das bringt nichts und tut nur weh."

Nach einem Betrug wollen Menschen die Dinge gerne wieder so haben, wie sie vorher waren. Aber selbst, wenn man den Reset-Knopf drücken könnte, wärt ihr nur wieder an einem Punkt in eurer Beziehung, der für deinen Partner unbefriedigend war. "Wenn man einen Betrug einfach beiseite schiebt und nicht aufarbeitet wiederholt er sich. Man muss die Beziehung weiterentwickeln und ehrlicher machen."

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Duranti teilt das Weitermachen in zwei Schritte auf: Erst einmal muss man sich darüber klar werden, ob man die Beziehung grundsätzlich noch möchte. Und falls ja, ob man seinen Partner dann auch mit all seinen Fehlern akzeptieren kann. "Das klingt offensichtlich, aber oft haben sich Paare das gar nicht überlegt, bevor sie eine Therapie beginnen."

Danach ist das Ego dran. "Vergeben heißt nicht, dass man vergessen muss. Aber es verkleinert die Last", sagt Duranti. Am besten geht man mit Betrug so um, wie man auch andere negative Erlebnisse verarbeitet: als etwas, das nicht rückgängig gemacht werden kann, in die Vergangenheit gehört und das man nutzen kann, um zu verstehen, wie zerbrechlich Beziehungen sind.

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Wenn man die Probleme klar benannt hat, kann man die Verbindung zueinander neu aufbauen – Intimität, Raum für den einzelnen Partner und Raum für euch als Paar und eure Zukunft sind dann wieder möglich. Ihr müsst unbedingt auf derselben Seite stehen und euch fair behandeln, auch, wenn es eine große Versuchung ist, die Partnerin oder den Partner zu bestrafen für das, was er oder sie dir angetan hat.

Auch wenn in erster Linie ihr beide einen Umgang mit dem Betrug finden müsst, wollt ihr vielleicht trotzdem eure Freunde oder Familien um Rat fragen. Aber die können oft nicht damit umgehen, wenn wir verletzt wurden, und reagieren womöglich heftig. "Andere Menschen sehen nur, was wir ihnen zeigen", sagt Duranti. Und wenn man sich zum Beispiel früher nur ausgeheult hat, wenn etwas schief lief, verstehen sie nicht, warum du jetzt plötzlich diese Beziehung retten willst.

Wenn du im Affekt sagst, du kannst deinem Partner nicht verzeihen und möchtest Schluss machen und es dir dann doch anders überlegst, verwirrt das dein Umfeld. Duranti empfiehlt deswegen, direkt mit Therapeuten oder anderen unabhängigen Personen zu sprechen.

Leider gibt es wie überall im Leben keine Garantie. Jede Beziehung ist einzigartig – manche hakt man schnell ab, bei manchen dauert es länger und einige überwindet man nie. Um herauszufinden, wo man steht, kann man sich fragen, ob man dem Partner wieder voll vertraut. Kann dein Partner allein unterwegs sein, ohne dass du hinterher sein Handy durchsuchst?

Aber im Endeffekt musst du einfach ehrlich zu dir selbst sein. Wenn du dich ständig dabei ertappst, deinen Partner testen zu wollen, sei es besser die Beziehung zu beenden, sagt Duranti. Es könnte sonst toxisch werden. Und wenn wirklich alles zerbricht, sieh die Beziehung nicht als verschwendete Zeit. Du hast etwas über dich und die Menschen in deiner Umgebung gelernt.

Und immer daran denken: In einer Beziehung zu sein ist wie Autofahren – wer immer nur in den Rückspiegel schaut, fährt sicher gegen einen Baum.

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