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Vor zwei Tagen ist etwas geschehen, das uns aufmerksam gemacht hat. Die Wiener Band The Boys You Know ließ über Facebook ein wütendes Statement ab, und auch eine andere Band war an selber Stelle nicht besonders glücklich. Das Ziel des Ärgers war Youtube.
Videos by VICE
Bei Calim und bei The Boys You Know ist ungefähr dasselbe passiert: Youtube hat Videos der Bands mit dem Verweis auf die Nutzungsbedingungen, insbesondere auf den Abschnitt G, gelöscht.
Screenshot der Nutzungbedingungen von Youtube.
Das ist natürlich verklausuliertes Techniker-Deutsch. Aber der eigentliche Vorwurf wiegt schwer: Die Bands hätten Klicks gekauft.
Klicks auf Youtube kaufen geht relativ einfach. Es gibt eigene Anbieter dafür und auch auf eBay wird man sehr schnell fündig:
Screenshot: VICE.
Auch wenn fast alle Angebote darauf verweisen, Klicks nur so zu generieren, dass es die Youtube-AGBs nicht verletzen würde, verstößt es natürlich trotzdem gegen die Nutzungsbedingungen. Das ist ja auch verständlich: Das Unternehmen und die großen Channels lukrieren mit Werbung mittlerweile eine Menge Geld (allein mit der Werbung um „Gangam Style” herum nahm man 8 Millionen ein), für Werbekunden ist ein Unternehmen, das seinen Traffic nicht mit realen Menschen macht, kein vertrauenswürdiger Partner.
Das Problem ist: Beide Bands schwören glaubhaft, niemals auch nur daran gedacht zu haben, Views zu kaufen. Gerade bei dem sehr liebevoll gemachten Stop-Motion-Video von Calim scheint es auch nicht so, als wäre das notwendig gewesen. Und auch die Zahlen von „Money” von They Boys You Know schienen jetzt nicht so, als hätten sie nicht auch auf normalem Weg zustande kommen können.
Eines der ursprünglich gelöschten Videos.
Wie kommt es eigentlich dazu, dass Videos, die nicht manuell gemeldet werden, der Löschung zum Opfer fallen? Wir haben bei Mounira Latrache, der Youtube-Pressesprecherin für die D/A/CH-Region, nachgefragt. „Unser Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Abrufzahlen von YouTube-Videos korrekt sind. Wir arbeiten hart daran, Abrufzahlen-Spamming zu verhindern. Wir nehmen Missbrauch unseres Systems oder künstliche Viewcounts sehr ernst und reagieren auf bewussten Missbrauch. YouTube arbeitet laufend daran solche Fälle mit neuer Technologie zu verhindern. Partner die sich zu unrecht beschuldigt fühlen haben jederzeit die Möglichkeit Beschwerde dagegen einzulegen.”
Der Reihe nach. Youtube hat einen Algorithmus, der auffällige Ausschläge meldet. Wenn der anschlägt, wird das Video von einem Mitarbeiter geprüft. Der Youtube-Algorithmus ist natürlich ein Geheimnis und wird ständig adaptiert. Was man aber hört, sind plötzliche Ausschläge nach oben, zahlreiche Zugriffe aus ungewöhnlichen Ländern und natürlich rein technische Auffälligkeiten (regelmäßige Zugriffe in einem genauen Zeitabstand, kurzes Rein-und-Rausspringen in extremer Geschwindigkeit, kurzum: alles, was nach programmiertem Bot und nicht nach Mensch riecht) sind besonders verdächtig. Es braucht wohl bei Videos mit einer relativ geringen Zahl an Views auch gar nicht mal so viele auffällige Zugriffe. Das Gerücht, dass Videos von Major-Labels aufgrund ihrer Vereinbarungen mit Youtube besser vor Löschung geschützt sind, klingt logisch, kann aber auch einfach ein Gerücht sein. Die Dienstwege werden wohl kürzer und die Kulanz höher sein als bei kleinen Bands, deren Account im Grunde nicht anders behandelt wird als ein privater User.
Auszug aus dem Mail, mit dem Youtube über die Löschung informiert.
Die Einsprüche gegen die Löschung wurden in beiden Fällen abgelehnt. Man kann davon ausgehen, dass es Manipulationen gegeben hat. Gehen wir mal davon aus, dass es Calim und The Boys You Know wirklich nicht waren. Wer war es dann?
Im Gespräch mit The Boys You Know kommt ein ziemlich schwerer Vorwurf auf: Major-Labels würden Views für erfolgreiche Videos von Independent-Musikern kaufen, damit diese gelöscht werden. Das hätte jemand aus dem internen Kreis eines Majors der Band bestätigt. Puh. Harter Tobak. Hört man sich bei den Major-Labels unter der Hand um, bekommt man immer dieselbe Antwort: Man könne die Hand nicht für die anderen Majors ins Feuer legen, das eigene Unternehmen mache sowas aber sicher nicht. Ein Argument, das aber immer wieder auftaucht, ist eigentlich recht überzeugend: Österreichs Majors haben vergleichsweise winzige Budgets, vor allem in dem Bereich, in dem Bands wie Calim oder The Boys You Know überhaupt als Konkurrenz gelten könnten. „Ich bin froh über jeden Cent, den ich für meine eigenen Bands ausgeben kann. Für so einen Blödsinn werfe ich sicher kein Geld raus”, heißt es bei einem Major. Hier steht Aussage gegen Aussage, etwas genaues weiß man nicht.
Auch dieses Video wurde zwischenzeitlich gelöscht.
Völlig unabhängig davon berührt der Fall aber ein Grundproblem: Kann ich verhindern, dass man mir mit gekauften Klicks schadet? Sei es ein Konkurrent oder ein eifersüchtiger Ex? Kurze und unbefriedigende Antwort: Nein. Ich kann nicht verhindern, dass jemand Views für mein Video kauft, ohne es mir zu sagen. User können Auffälligkeiten bei ihren eigenen Video-Views sofort an Youtube melden. Das ist bei großen Channels wie Noisey realistisch, bei kleineren Bands aber wohl eher schwierig.
Bei allem Verständnis für den Kampf gegen gekaufte Klicks ist das eine Lücke, die echt scheiße ist. Bands stecken viel Arbeit, Zeit und Herzblut in ihre Videos. Es ist eine Genugtuung zu sehen, wie die Views nach oben klettern, dass deine Arbeit bemerkt und geschätzt wird. Und es tut weh, wenn das auf einmal weg ist. Zumal es im Moment zwar Alternativen zu Youtube gibt, die aber alle relativ unter der Wahrnehmungsgrenze arbeiten und nicht Google gehören.
UPDATE:
Youtube hat sich offenbar heute (27.10.) bei The Boys You Know entschuldigt, wie die Band auf Facebook bekannt gab. Auch wenn es knapp 3,5 Monate nach der Aufregung war—immerhin.
Jonas telefoniert mittlerweile eigentlich gerne mit Pressesprechern. Er ist auf Twitter: @L4ndvogt
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