Über vier Millionen Abonnenten verfolgen auf seinem YouTube-Channel, was Simon Desue so treibt. Und gerade interessiert sich auch die Polizei für den 27-Jährigen. Am Freitag, den 4. Januar, klopften Beamte deswegen an seine Tür und durchsuchten anschließend seine Wohnung. Der Verdacht: Simon Desue, bürgerlicher Name Joshua Weißleder, könnte sich im Darknet Falschgeld besorgt und damit eingekauft haben – zumindest hat er das selbst auf YouTube in mehreren Videos behauptet.
Inzwischen ist klar: Das Geld, das die Polizei bei der Durchsuchung beschlagnahmt hat – insgesamt 9.850 Euro in 50-Euro-Scheinen –, ist nicht gefälscht. Das bestätigte die Polizei gegenüber Motherboard. Weißleder darf es demnach wieder abholen. Einem anderen Vorwurf muss er sich vermutlich trotzdem stellen: Vortäuschen einer Straftat. Denn in seinen Videos behauptet Weißleder ja, er hätte Falschgeld gekauft und ausgegeben.
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Die Story vom “Hacker-Laptop”
Weißleders Falschgeld-Geschichte, wie er sie auf YouTube erzählt, ist abstrus und voller falscher Darstellungen von Technik, Darknet und Hacking. Es geht um Mörder und um Männer in schwarzen Hoodies, vor denen Weißleder panisch in seinem Lamborghini flüchtet, weil sie ja Hacker sein könnten. Die Geschichte der Videos, die er zwischen dem 31. Dezember und dem 4. Januar seinem Kanal hochgeladen hat, geht so:
In einem ersteigerten Koffer findet Weißleder einen “Hacker-Laptop”. Mit der Hilfe seiner Zuschauer “errät” er das Passwort, danach findet er unter anderem eine Datei mit Links für das Darknet, “diesem Internet für Kriminelle”, wie er erklärt. Dort bestellt er 10.000 Euro Falschgeld und geht damit nach der Lieferung mit seiner Freundin und einer versteckten Kamera einkaufen bei Saturn. Am Ende jubeln die beiden auf dem Parkdach des Elektrogeschäfts wegen ihrer neu erstandenen Kaffeemaschine. Schnell verlassen sie den vermeintlichen Tatort, freuen sich, dass die Polizei sie nicht erwischt hat. Doch offenbar haben sie sich zu früh gefreut.
Denn was für die meisten Zuschauer klar als eine ersponnene Geschichte erkennbar sein dürfte, war für die Hamburger Polizei offenbarin Grund zu ermitteln und Weißleders Wohnung zu durchsuchen. “Durch die Videos ergab sich der Anfangsverdacht einer Straftat”, sagt ein Pressesprecher der Hamburger Polizei, Florian Abbenseth, zu Motherboard.
“Wenn es klingelt und jemand den Daumen vors Guckloch hält, dann weiß Simon schon: Das ist die Polizei.”
Weißleders Manager Daniel van Kampen sagt, er verstehe nicht, wie man die Story für wahr halten kann: “Jeder, der nachdenken kann, muss wissen, dass Simon nicht den ganzen Tag rumlaufen und Scheiße bringen kann”, sagt er. Und tatsächlich findet sich in der Beschreibung der Falschgeld-Videos – ebenso wie in vielen anderen auf Weißleders Kanal – zusätzlich ein Hinweis: “Die Personen und die Handlung des Films sind frei erfunden.” Ganz klein und ganz unten in der Videobeschreibung, aber die Hinweise sind da.
Laut van Kampen hat das Management des YouTubers das schon vor Längerem so beschlossen, auch wenn Weißleder selbst zuerst nicht überzeugt war. Der habe befürchtet, seine Fans würden ihm übelnehmen, dass vieles Fake ist. Van Kampen sagt, er glaube, dass die das sowieso wissen: “Mit diesen Markierungen sichern wir uns nur ab.”
Der Polizeisprecher sagt allerdings, die Hinweise könnten nachträglich eingefügt worden sein. Und auch ansonsten sei noch zu prüfen, ob die Hinweise so, wie sie unter den Videos stehen, ausreichen, um die Geschichten als Fiktion zu kennzeichnen, wenn Weißleder doch gleichzeitig “sehr mühevoll” im Video selbst versucht, alles echt wirken zu lassen.
Das Kalkül mit den Fake-Verbrechen
Die meisten Zuschauer dürften Weißleder die Falschgeld-Geschichte wohl nicht abgekauft haben. Viele weisen in den Kommentaren unter dem Video auf Unstimmigkeiten hin. Aber es gibt durchaus Abonnenten, die ähnlich leichtgläubig scheinen wie die Polizei. In einem der Videos bittet Weißleder seine Zuschauerinnen, Unterschiede zwischen vermeintlicher Blüte und Echtgeld in die Kommentare zu schreiben.
Tatsächlich stehen dort einige Hinweise von Menschen, die ernsthaft nach Unterschieden gesucht haben. Und auch andere Kommentatoren scheinen die Story zu glauben. “Du bist eine Schande”, schreibt einer. “Andere Leute arbeiten Tag und Nacht für einen Fünfziger und du bestellst 100 Fünfziger im Internet.” Und weitere schreiben, dass sie ihn gemeldet oder angezeigt haben.
Für Klicks vermischt Weißleder gerne mal Realität und Fiktion. In einem Video aus dem Sommer 2018 leuchtet er mit “dem stärksten Laserpointer der Welt” in der Hamburger Innenstadt umher, in einem anderen tut er so, als würde er eine Waffe finden. Beide Aktionen, die reale und die erfundene, führten laut seinem Manager zu Wohnungsdurchsuchungen durch die Polizei. “Es ist immer das gleiche Spiel. Wenn es klingelt und jemand den Daumen vors Guckloch hält, dann weiß Simon schon: Das ist die Polizei.”
YouTube oder RTL II – da gibt es wohl Unterschiede
Der Hamburger Polizeisprecher sagt über die Falschgeld-Videos, Weißleder habe sich “durchaus schon sehr viel Mühe gemacht, das als echt darzustellen”. Das machen allerdings auch Produzentinnen, Regisseurinnen und Schauspieler für Scripted-Reality-Shows im Fernsehen. Wenn ein besorgter TV-Zuschauer bei der Polizei anriefe – würde dann auch ermittelt?
Laut Abbenseth käme es dabei auf den konkreten Einzelfall an. “Da ist sicherlich eine Differenzierung erforderlich.” Hinter Scripted-Reality-Shows stünden Produktionsfirmen, ein TV-Sender und bezahlte Schauspieler. “Der Zuschauer weiß, dass die Fälle gestellt sind.” Die Polizei würde allerdings nicht zwischen Privatperson und YouTube-Influencer unterscheiden. “Sicherlich handelt es sich im konkreten Fall ja um einen erfolgreichen YouTuber. Das bedeutet aber nicht, dass per se alles fiktiv ist.” Und wenn alles nur erfunden war? “Dann muss geprüft werden, ob es sich dabei um die Vortäuschung einer Straftat handelt.”
Weißleder ist nicht der erste Hamburger YouTuber, der wegen seiner Videos Ärger mit der Polizei – und eventuell auch mit Richtern – bekommt. Im Oktober 2017 wurde ApoRed zu sieben Monaten auf Bewährung und 200 Sozialstunden verurteilt. Für ein Prank-Video hatte er Passanten eine Tasche zugeworfen, in der angeblich eine Bombe steckte. Und weil Leon Machère so tat, als würde er ein Graffiti an eine Hauswand sprühen (Vortäuschen einer Straftat) und als Polizist Passanten aufforderte, sich etwa auszuziehen oder die Hände hoch zu nehmen (Amtsanmaßung), hat das Gericht ihn im August 2018 zu einer Strafe von 37.500 Euro verurteilt..
Daniel van Kampen, der nicht nur Weißleder managed, sondern auch ApoRed, scheint der Meinung zu sein, dass seine Schützlinge ungerecht behandelt werden: “Staatsanwaltschaft und Polizei wollen einfach möglichst hart durchgreifen und so Angst verbreiten”, sagt er. Er vergleicht Prank-Videos auf YouTube mit alten Comedy-Sendungen wie “Comedystreet” von Simon Gosejohann.
Gosejohann tat für seine Sendung unter anderem in Innenstädten so, als hätte er Kanister mit giftigen Flüssigkeiten verschüttet – der Schock der Passanten wurde zum Lachen der Zuschauer. “Wenn jemand nach so einer Aktion sagt, dass es fürs Fernsehen ist, finden es alle lustig. Wenn es für YouTube ist, ist es plötzlich schlimm und eine Straftat.”
Der Sprecher der Hamburger Polizei widerspricht. Man könne nicht von einem “härteren Vorgehen gegen YouTuber” sprechen. “Maßstab für das polizeiliche Tätigwerden ist, ob der Anfangsverdacht einer Straftat vorliegt oder nicht.” Und das sein bei Weißleders Video eben der Fall gewesen.
Es scheint so, als müssten einige Gesetze und polizeiliche Routinen für YouTuber erst noch ausgearbeitet werden: Welche Pranks sind erlaubt? Wieviel Fiktion darf ein YouTube-Video enthalten und wie muss die Fiktion deutlich gemacht werden? Tatsächlich ist die grundlegende Frage eine andere: Was eigentlich unterscheidet das beinahe schon veraltete Reality- und Comedy-TV von dem, was jeden Tag in den YouTube-Trends landet?
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