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Die tragische Geschichte von Venus Angelic, YouTubes Lolita-Königin

Der YouTube-Star Venus Angelic ist von zuhause ausgerissen, und ihr YouTube-Account ist mittlerweile gesperrt. Das menschgewordene Püppchen, das für ihre piepsige Stimme und ihr besonnenes Lächeln bekannt ist, brannte Anfang des Jahres mit ihrem älteren Ehemann nach Tokio durch. Ihre Flucht löste online eine Flut an Kommentaren sowie einen sehr hässlichen und in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streit mit der Person aus, die vielleicht gleichzeitig auch Venus’ größter Troll ist: ihrer Mutter.

Vielleicht könnt ihr euch noch an die ersten „lebenden Puppen” erinnern, deren Stil sich nicht wirklich an Barbies, sondern vielmehr an viktorianischen Porzellanpuppen orientierte und im Gegensatz zu heute weder das extreme Ausmaß an Schönheitschirurgie noch die offen zur Schau gestellte Sexualität beinhaltete. Venus Palermo alias Venus Angelic war vielleicht eine der bekanntesten Vertreterinnen dieser ersten Welle. Sie trat unter anderem in der britischen Morgensendung Daybreak und in der Dokureihe My Strange Addiction auf, in der sie sich in wallenden Kleidern mit Unterrock und klassischen Spangenschuhen, den Mary Janes, und ihrem übernatürlich sanften Lächeln präsentierte.

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Schon im zarten Alter von 15 Jahren konnte Venus auf ihrem YouTube Kanal 28.000 Abonnenten und über 8 Millionen Klicks verzeichnen. Mit 19 knackte sie die Marke von einer Million Abonnenten. In letzter Zeit haben die Videos des sonst so fröhlichen Mädchens einen leicht dramatischen Touch angenommen.

Margaret sprach in den Videos offen darüber, wie sie Venus vor ekligen, alten Männern beschützt

Laut ihren Erzählungen auf Instagram begann Venus 2014, als sie 17 war, ihren sechs Jahre älteren Fan Manaki Okado aus Japan zu daten. Sie trafen sich zuerst online, doch schließlich kam es auch zu einem persönlichen Treffen. Manaki stattete Angelic einen Besuch ab und wollte dabei auch ihre Mutter Margaret Palermo kennen lernen. Ende letzten Jahres heirateten die beiden dann, und Venus ging mit Manaki nach Japan.

Dies führte zu einer öffentlichen Fehde zwischen den beiden Frauen, die sich bis heute online einen Schlagabtausch mit Videos wie „How I Ran Away From Home” oder „Hacked By My Mom” liefern, in denen Venus behauptet, dass Margaret Zugang zu ihren Social Media Konten hätte und diese mit falschen Kommentaren gegen sie verwende.

Ich kontaktierte also sowohl Venus als auch Margaret, und Venus schilderte mir per E-Mail (über einen neuen Account, den ihre Mutter nicht gehackt hat) ihre Perspektive auf die ganze Geschichte. Ich fragte sie, was sie dazu bewegt hatte, den Konflikt mit ihrer Mutter in ihren Videos zu thematisieren und auf diese Weise auszutragen. Sie antwortete:

Ich habe mich nicht bewusst dafür entschieden, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Mein Leben ist seit Jahren öffentlich. Meine Fans hätten es sofort gemerkt, wenn ich plötzlich Videos und Fotos aus einer anderen Stadt gepostet hätte und hätten sich vielleicht Sorgen gemacht. Um dem und anderen Gerüchten vorzubeugen, habe ich darüber geredet und die aktuelle Situation erklärt.

Selbst unter anderen Online-Berühmtheiten hat Venus schon immer für Kontroversen gesorgt. Die in der Schweiz geborene Deutsche, die in London lebte, begann schon mit 13 Jahren, auf YouTube Videos von sich zu posten und erlangte mit gleichermaßen merkwürdigen wie wundervollen Videos, darunter gelegentlich auch fragwürdigen Schönheits-Tutorials, große Berühmtheit. Der Stil von Venus, vor allem in ihren ersten Videos, zehrt in großen Teilen von der Lolita-Subkultur, einem Look, der ursprünglich aus der japanischen Street Fashion hervorgegangen war und durch Zeitschriften wie Gothic & Lolita Bible und Marken wie Angelic Pretty and Baby oder The Stars Shine Bright zum Mainstream wurde.

Seit Venus aber von zuhause weggerannt ist, hat sich die Beziehung der beiden um 180 Grad gedreht.

Über die Jahre hinweg hat es den Anschein gemacht, als würden Venus und ihre Mutter als eingespieltes Team vor und hinter der Kamera zusammenarbeiten: Margaret sprach in den Videos offen darüber, wie sie Venus vor ekligen, alten Männern beschützt und wie sie mit den kurzen Filmen Geld verdienen. Sie erwähnte auch, dass Venus zuhause unterrichtet wird, fünf Sprachen spricht und davon träumt, eines Tages in Japan zu leben.

Seit Venus aber von zuhause weggerannt ist, hat sich die Beziehung der beiden um 180 Grad gedreht. Über den Konflikt wird auf unterschiedlichen Plattformen berichtet, doch eine wirklich zuverlässliche Quelle gibt es nicht—siehe die Einträge im Forum Pretty Ugly Little Liars, unter dem Instagram-Hashtag „PrayforVenus” und auf der Encyclopaedia Dramatica.

Venus und ihre Fans beschuldigen Margaret, im Namen von Venus auf ihrem Instagram-Account zu posten, während die Mutter wiederum Manaki beschuldigt, ihre Accounts zu stalken und zu hacken. Zuvor hatte Venus schon auf Instagram eine Reihe von Posts eingestellt, in denen sie sich gegen weitere Anschuldigungen wehrt: einer heißt da zum Beispiel „I’M NOT AN ANIMAL ABUSER“, und im nächsten räumt sie Gerüchte aus, denen zufolge sie an einer Essstörung und dem Asperger-Syndrom leide sowie Alkoholikerin sei.

Mit jedem Video werden die Vorwürfe aber auch extremer: Venus redet in ihren Videos jetzt schon davon, ab und zu von ihrer Mutter geschlagen worden zu sein und Margaret wohl mit Selbstmord gedroht hätte.

Ist es tatsächlich die Rebellion eines Teenagers, worum es hier geht?

Margaret postete ihrerseits auf ihrem eigenen YouTube-Kanal Videos wie „VenusAngelic Marriage Story” und „Responding to Horrible Accusations and the Runaway of VenusAngelic“, in denen sie sich Venus’ Online-Erfolg auf die eigenen Fahnen schreibt: „Es war nicht sie, die viral gegangen ist, das war mein Foto, das ich gemacht habe und mein Make-up, die viral gegangen sind”. Später schrieb sie unter ein Instagram-Bild eines Flughafen-Frühstücks die folgende Nachricht an Venus: „Du hattest alle Freiheit der Welt… aber jetzt erkenne ich, dass rebellische Teenager anscheinend glauben müssen, dass es etwas gibt, WOFÜR und WOGEGEN sie kämpfen müssen—selbst wenn es nichts dergleichen gibt.”

Ist es tatsächlich nur das, worum es hier geht—die Rebellion eines Teenagers? Oder ist es vielleicht einfach ein sehr lukratives Online-Geschäft, in aller Öffentlichkeit auf diese Weise auseinander zu gehen?

Auf YouTube gibt es bereits etliche Videos, in denen Fans auf den Streit reagieren, und Venus’ Instagram-Follower unterstützen sie mit hunderten von Nachrichten. Pretty Ugly Little Liars (PULL) dagegen, ein Forum, in dem gerne mal Japan-begeisterte Blogger, sogenannte „weeaboos“, verarscht werden, stellt Venus als verheultes Mädchen mit einem Halsband mit der Aufschrift „MOM” dar.

Der Bereich über Venus Angelic hat in dem Forum bei Weitem die meisten Posts zu einer Einzelperson, aktuell über 17.000 Einträge. Es wurden für die Venus-Angelic-Threads sogar eigene Regeln aufgestellt, um den Fall „Venus vs. Margaret” entsprechend zu diskutieren. Einige meinen, dass Margaret dem Forum unter dem Deckmantel falscher Accounts beigetreten ist. Die Mitglieder stehen vereint auf Venus’ Seite: „Wer auf diesem Thread aktiv ist und Margaret verteidigt, ist unweigerlich dumm und widerlich… Wenn jemand aus was auch immer für Gründen ihre Partei ergreifen will, soll er das doch bitte woanders tun.”

In ihrer E-Mail ließ mich Venus wissen, dass sie sich darauf freue, mehr Zeit zu haben, um weitere Videos zu drehen, in denen auch ihr Ehemann Okado erscheinen soll. Auch schrieb sie, dass es sie getröstet habe, in den Medien darüber zu sprechen:

Ich fühle mich besser. Zwar habe ich keine Familie, keine Mutter, keinen Vater, keine Geschwister, und auch keine Großeltern… aber ich habe jemanden gefunden, der genauso tickt wie ich, und nicht zu vergessen sind da noch meine unglaublich tollen Fans!

Venus ist immer noch YouTubes selbsternannter „Guru of Cute”, bewegt sich nun aber immer mehr in Richtung Realität und lässt die Purikura-Fotoautomaten und ihre zuckersüße, bunte Welt hinter sich.

Einerseits ist Venus nun also völlig auf sich gestellt und muss sich ohne Unterstützung durch den großen Haufen unzensierter Kommentare kämpfen. Andererseits sollte sie ganz gut darauf vorbereitet sein: Sie ist in einem besonders spezifischen Bereich der Öffentlichkeit aufgewachsen, der auf Zugänglichkeit und Interaktion beruht, und ihre Fangemeinde hat sich mittlerweile in ein Netzwerk der Unterstützung verwandelt. Venus selbst schrieb:

Die Videos zu drehen war nicht leicht, aber auf eine gewisse Art war es auch sehr beruhigend, einfach in die Kamera zu sprechen. Ohne die unterstützenden Worte meiner Fans wäre ich nicht so zuversichtlich. Im Gegensatz zu mir haben sie die Fähigkeit, von außen zuzusehen und die Situation objektiv zu bewerten.

Während das Phänomen der menschlichen Puppen mittlerweile extrem bizzare Züge annimmt, gewinnt Venus langsam Abstand von der Szene. Ihr Instagram-Account ist immer noch ein Schauplatz des Kawaii, doch in letzter Zeit sieht man sie in ihren Videos in schlichterer Kleidung und mit deutlich weniger Make-Up. Sie macht weiterhin regelmäßig Videos, bewegt sich nun aber immer mehr in Richtung Realität und lässt die Purikura-Fotoautomaten und ihre zuckersüße, bunte Welt hinter sich. Ihr YouTube-Kanal wurde unterdessen aufgrund von Copyright-Verletzungen gesperrt. Venus’ Fans gehen davon aus, dass Angelics Mutter dahinter steckt:

Es war wahrscheinlich noch nie einfach, unter den Augen der Öffentlichkeit aufzuwachsen, und das erst recht nicht, wenn die eigenen Familienmitglieder zu Trolls und die Fans zur Familie werden. Doch diese Welten zu hinterfragen, ist ein Beweis für eine gewisse Reife: Selbst wenn sie immer noch wie eine lebende Puppe aussieht, sehen wir nun vielleicht eine Venus Palermo, die sich endlich ein wenig erwachsener verhält