Diese Zürcherinnen kleiden die Kids der Schweiz ein

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The Kids don't care

Diese Zürcherinnen kleiden die Kids der Schweiz ein

Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, warum gerade Jugendliche ihre Secondhand-Mode hypen.

Fotos zur Verfügung gestellt von Van Lo und Marché Noir Ihr Schlafzimmer musste My Van Le bereits aufgeben und ins Wohnzimmer verlagern. Dort wo einmal ihr Bett war, drängen sich jetzt randvolle Kleiderstangen. Unter dem Label "Van Lo" vertreibt die Zürcherin nostalgische Vintage-Mode – hauptsächlich aus den Neunzigern. Da My Van aber kein festes Ladenlokal hat, verkauft sie ihre Kleidung an Pop-up-Stores in Zürich oder veranstaltet mehr oder weniger spontan an Wochenenden Sales bei sich zuhause. Mit Jacken und Sweatshirts von Sergio Tacchini, Fila oder Ellesse ist My Van in der Schweiz faktisch ohne Konkurrenz, ihre Ware bestellt sie aus der ganzen Welt. An Wochenenden kommt es öfters vor, dass junge Leute bei My Van einfach vor der Türe stehen und sich durch ihre Sammlung wühlen möchten. "Manchmal kommen die Kids dann aus der ganzen Schweiz angereist, weil sie sonst nirgends an solche Kleidung kommen", erzählt mir My Van.

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Mit 18 Jahren begann My Van mit der Kreditkarte ihres Cousins auf Ebay seltene Kleidung zu ersteigern und gab sie an Freunde und Verwandte weiter. Heute gehören vor allem modeaffine Teenager zu ihren Kunden. Veranstaltet sie mit Van Lo – ein Wortspiel aus ihrem Namen My Van und "Lo Life" – einen Sale, sind es diese Kids, die schon vor Türöffnung draussen warten, um die besten Teile zu kriegen. "Manche Kids sind gerade mal 15 Jahre alt und sparen gezielt auf meine Sales hin. Wenn sie ihr Geld hier ausgeben, anstatt alle zwei Wochen zu H&M oder Zara zu rennen, komme ich ihnen auch gerne mal mit dem Preis entgegen", erzählt My Van. Viele ihrer Kunden möchten vor allem einzigartige Kleidung tragen, die nicht einfach jeder von der Stange kaufen kann. "Jeder, auch Durchschnittskonsumenten von Modeketten haben das Bedürfnis, individuell zu sein. Viele haben aber nicht die Zeit, sich ihre Kleidung stundenlang im Internet zu suchen", meint My Van. Sich selbst sieht sie als eine Selekteurin, die aus der grossen Masse im Internet die hochwertigen Stücke in stundenlanger Arbeit findet und das Ganze als einen Service anbietet.

House-Sale bei Van Lo in Zürich

Auch Secondhand-Mode ist von der Schnelllebigkeit der Modeszene nicht ausgeschlossen. Waren vor einigen Monaten Tommy Hilfiger-Jacken den Leuten noch zu breit und kurz, sind sie, seitdem Stars wie Joey Badass und Chris Brown sie in ihren Musikvideos trugen, die Topseller bei Van Lo. Bereits letzten Sommer liess "Vetements" – in gewisser Weise die Punks der Pariser Modeszene – Laufstegmodels mit Reebok-Windbreakern aus den Neunzigern auflaufen. "Wie auch bei der Musik hinkt die Schweiz in Sachen Mode immer ein gutes Stück hinterher", erklärt My Van. Festsetzen auf bestimmte Styles oder Labels lässt sich My Van nicht – vielmehr sieht sie sich als Influencer, der ihren Kunden Neues vorstellt und mit ihren hochwertigen Stücken auch ein Statement für mehr Entschleunigung in der Szene setzt.

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Etwas gegen die Überproduktion von Kleidung haben auch Sheila Lopardo und Alessia Dal Santo. Unter dem Label "Marché Noir" vertreiben die beiden ausschliesslich schwarze Kleidung, die sie selbst sammeln und die zum Teil aus ihren eigenen Kleiderschränken stammt. "Ein Vintage-Kleidungsstück, das schon mehrere Jahrzehnte überdauert hat, bereitet dir mit seiner Qualität auch noch eine Weile Freude", sagt Sheila. Wie auch My Van, betreiben Alessia und Sheila ihr Label neben ihren normalen Jobs und haben keinen regulären Store. Ihre Pop-up-Sales kündigen sie nur auf Facebook und Instagram an, meistens relativ kurzfristig. Als Marché Noir vergangenen Sommer eine kleine Bikinikollektion ankündigte, gingen bei den beiden so vielen Anfragen ein, dass sie im Viertelstundentakt junge Frauen zu Privatterminen bei sich im Langer empfingen. "Oft reicht nur ein kurzes Anteasen von etwas Neuem auf Instagram und die Leute gehen crazy", erzählt Sheila.

Bei Marché Noir hängt ausschliesslich Schwarzes an den Kleiderstangen

Für kleine Modelabels war es nie einfacher als heute durch Instagram fast ohne Kosten einen Hype und Absätze zu generieren. Einfach die eigenen Stücke zu posten reicht dazu jedoch nicht – um Erfolg zu haben, sind Ästhetik und persönliche Kommunikation notwendig. "Wenn du ein paar schöne Fotos schiesst und den Leuten was Neues zeigst, pushen sie dich auch innert kürzester Zeit und dein Post geht viral – besonders bei Teenies", erzählt Sheila. Bei den Pop-up-Sales sind sie dabei selbst immer vor Ort und suchen den persönlichen Kontakt zu ihren Kunden. Da Alessia und Sheila ihre Kleidung teils auch auf Reisen sammeln, steckt hinter jedem Stück eine individuelle Geschichte. "Das Ganze hat was von 'Komm in meine Stube – das sind meine Kleider'. Manche überfordert das zwar, die meisten aber schätzen diese Atmosphäre", erzählt Sheila.

Auf den Instagramprofilen von Marché Noir und Van Lo finden sich keine klassischen Schnappschüsse oder einfache Produktfotos. Die Profile sind – wie auch die ihrer Kunden – durchstrukturiert wie moderne Concept-Stores. Temporäre Instagram-Stories sorgen für die Authentizität. Hier postet My Van auch mal, wie der Pöstler neue Lieferungen vor ihrer Haustüre stapelt oder sie mit ihren Helfern bei Events Pizza isst. Der Blick hinter die Kulissen gibt den Labels ein Gesicht. Während den unregelmässigen Sales posten die beiden Labels permanent kurze Instagram-Storys von ihren Kunden, wie sie durch die Kleiderstangen stöbern und vermitteln denen, die nicht gekommen sind, auch das Gefühl, etwas Rares verpassen zu können. "Oft laufen dann unsere Kundinnen mit den Outfits, die sie sich ausgesucht haben, durch die Gegend und erwarten fast schon, dass ich sie fotografiere und auf unserem Instagram poste", sagt Sheila.

Van Lo setzt auf Windbreaker aus den Neunzigern

Für viele Jugendliche besteht die Versuchung einer grossen Followerschaft auf Instagram nicht einzig aus Fame, sondern auch an gratis Goodies, die sie von Brands als Gegenleistung für subtile Werbeposts bekommen. "Geht es um ihre Instagram-Auftritte, haben manche meiner Kunden ein extremes Business-Denken entwickelt", erzählt My Van. Marché Noir und Van Lo bedienen mit der Ästhetik ihrer Labels zielgenau das Lebensgefühl einer neuen Generation: Auf der einen Seite ein sensibles Verständnis für moderne Mode und Ästhetik, auf der anderen aber auch eine gewisse Positionslosigkeit durch den Rückzug ins Individuelle. Statements und Inhalte verschwinden zunehmend und werden ersetzt durch flüchtige Instagram-Stories. Obwohl Sheila von der Offenheit und Ambition dieser Generation überzeugt ist, ist sie sich nicht sicher, ob das der richtige Weg ist: "Wenn diese Generation mal älter ist, wird es schwierig so fluffy zu bleiben, ohne es zu inszenieren. Manchmal musst du auch mal den Dingen in die Augen schauen, die da sind und nicht nur cool sind." Kamil auf Twitter.
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