„In jeder ungarischen Familie gibt es jemanden, der Pálinka macht”, schreit Mark Zentai, ein ehemaliges ungarisches Teenieidol, vom Rücksitz des orangen Kombis seiner Freundin, in dem wir durch die dunklen Straßen Budapests fahren.
Trotz der großen Ähnlichkeit mit dem Rakija der ehemaligen jugoslawischen Länder, österreichischem Schnaps und rumänischem Țuică, ist Pálinka nicht nur irgendein Schnaps. Die Spirituose ist ein wichtiger Aspekt der Kultur des Landes und hat einen besonderen Platz in den Herzen der Ungarn.
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Vergangenes Jahr, während in Brüssel gerade eine mögliche Steuer auf hausgemachten Schnaps diskutiert wurde, erklärte Ungarns Landwirtschaftsminister Sandor Fazekas Pálinka als „Nationalgetränk”. Ein Buch mit dem Titel „Little Pálinkapedia” singt ein Loblied auf den Schnaps, der als „mein Lieblingsonkel” und „mein wahrer Freund” bezeichnet wird. „Er ist bescheiden, niemals aufdringlich und ich kann mit ihm mein Glück und meine Sorgen teilen”, schreibt der Autor Krisztian Aldozo.
Zentai hat einen Freund in einem Dorf außerhalb der Metropole, der den Schnaps selber brennt und uns erklären konnte, was es mit Pálinka auf sich hat.
Balázs Meszaros ist aber nicht einfach nur ein magyarischer Schwarzbrenner. 15 Jahre lang hat er sich als Koch in erstklassigen Restaurants in Barcelona, Dublin und Oslo profiliert, bevor er in sein Heimatland Ungarn zurückgekehrt ist. Das Chaos in der Küche hat er hinter sich gelassen und stattdessen ein soziales Netzwerk mit dem Namen Mise en Place gegründet, das Köche mit Lebensmittellieferanten verbindet. Mit solchen Referenzen war es kein Wunder, dass sein Pálinka weit entfernt von irgendwelchem Fusel ist.
Die Schnapsbrennerei ist für Meszaros mehr als nur eine kulinarische Beschäftigung. Nachdem er sich zehn Jahre lang von seinem Vater entfremdet hatte, war es für ihn ein Weg, um die Verbindung mit ihm wieder herzustellen und zu seinen Wurzeln zurückzukehren. In einem Keller im Hinterhof des Hauses seines Vaters in Pecel außerhalb von Budapest fingen sein Vater Stefan und Balász vor vier Jahren an, Früchte zu Obstbrand zu verwandeln.
Mit nichts anderem als einer Speedo und einem struppigen grauen Schnurrbart bekleidet, gesellte sich Stephan für eine Kostprobe ihres Pálinka und ihres hausgemachten Weines zu uns.
Obwohl die Pálinka-Produktion eine jahrhundertealte Tradition sei, wurde die Eigenproduktion verboten, was unter der kommunistischen Regierung auch streng kontrolliert wurde, so Stephan. Erst vor fünf Jahren hob die regierende Partei Fidesz (der Ungarische Bürgerbund) unter Victor Orbán das Verbot wieder auf. Heute dürfen Stephan und Balazs wieder legal und steuerfrei Schnaps brennen, jedoch nur für den Eigenkonsum.
‚Wer Pálinka trinkt, landet im Grab. Wer keinen Pálinka trinkt, ebenso.’
Durch die Gesetzesänderung ist Pálinka in den letzten Jahren wieder modischer geworden, sagt Meszaros.
„Früher bekam man in Restaurants eher Whisky, Wodka oder Likör, aber heute ist es wieder in Mode und jeder trinkt es”, sagt er.
Was Pálinka von anderen Spirituosen unterscheidet, sei die Qualität des Obsts, argumentiert Meszaros. Durch das milde Klima und die lange Anbausaison reift das Obst richtig. Das Obst, das sie verwenden, wird in Gärten von Freunden oder Verwandten angebaut. Dort sammeln sie es ein, fermentieren es und destillieren es zwei Mal.
Bei der Obstsorte beschränken sich die beiden nicht auf eine bestimmte. „Was gerade Saison hat”, sagt Balász, der neben einer Edelstahl- und Kupferbrennerei steht, die ein Freund der Familie angefertigt hat. Die klassischen Sorten sind Zwetschge, Birne, Kirsche und Aprikose, aber besonders die Beeren-Pálinkas—Heidelbeere, Erdbeere, Preiselbeere—, die ihr Aroma am schnellsten verlieren, sind sehr beliebt. Die Produktion eines Liters kostet ungefähr 90 Cent.
Der Zwetschgenpálinka der Mezaroses aus 2013 war, trotz der 52 Prozent Alkoholgehalt, recht süß und fruchtig mit klaren Zwetschgennoten. Die Früchte für diese Flasche stammten von Stephans eigenen Bäumen sowie denen des Stiefvaters von Balázs. Ein Traubenpálinka, der speziell für Balász’ Hochzeit gebrannt wurde, erinnerte ein bisschen an Wein, Törkölypálinka (ungarischer Grappa) noch viel mehr. Er nannte ihn „Ohrenfeigenpálinka”, weil es sich so anfühlt, wenn man ihn runterkippt.
Wie alles, was mit der Familie gemacht wird, ist sein Pálinka besser als der kommerzielle, massenproduzierte Schnaps aus dem Supermarkt, „weil zu Hause steckt man sein ganzes Herz hinein”, so Meszaros.
Nach ein paar Gläsern und einer ausschweifenden Unterhaltung über Liebe, Verlust und natürlich Schnaps, fasste Stephan die ungarische Philosophie mit einem alten magyarischen Sprichwort zusammen: „Wer Pálinka trinkt, landet im Grab. Wer keinen Pálinka trinkt, ebenso.”
Über der Grenze in Rumänien sind die Einheimischen überzeugt davon, dass ihr hausgemachter Schnaps, Țuică, mit dem ungarischen Pálinka locker mithalten kann.
Alex, ein Softwareentwickler, der in Ordea an der rumänischen Grenze lebt, gab uns eine Kostprobe eines selbst gebrannten Țuică, der traditionell in einer alten Plastikflasche aufbewahrt wird.
Zu sagen, dass der Schnaps mit der Grausamkeit einer Löwin auf Koks brannte, würde der Qualen, die ich durchlebte, nicht gerecht werden. Die Flüssigkeit flammte beim Anzünden sofort auf und die blaue Flamme flackerte wild, was wohl darauf hindeutet, dass dieses Getränk mehr mit Reinigungsalkohol als mit angenehmem Schnaps zu tun hatte.
„Nicht schlecht, oder?”, fragte Alex und verzog dabei keine Miene.
Weiter in Transilvanien, in der Stadt Cluj Napoca, bestanden meine neuen Freunde aus dem Copy Shop, die sich auf gefälschte Ausweise und individuell angefertigte Schulzeugnisse spezialisierten, darauf, dass ich mit ihnen eine traditionelle rumänische Party feiere. Der Vater von einem der Typen stellte Zwetschgenschnaps her, der acht Jahre lang in Maulbeerfässern gelagert wurde und den sie mir elegant in einer alten Pepsi-Flasche präsentierten.
Anders als der Pálinka aus Ungarn war der Țuică kupferfarben, aufgrund der Holzfasslagerung und schmeckte leicht nach Obst, das in einer Benzinpfützte eingelegt wurde.
Dass eine rumänische Party, die die ganze Nacht dauern sollte, mit vier Stunden betrunkener Bauarbeit beginnt, war mir neu. Wir brachen zu The Junkyard auf, einer Bar im Entstehen, in der die Jungs immer abhängen. Die Pepsi-Flasche wurde herumgereicht, während die Jungs mit Elektrowerkzeug hantierten und eine Decke einzogen. Anders als der Pálinka aus Ungarn war der Țuică kupferfarben, aufgrund der Holzfasslagerung und schmeckte leicht nach Obst, das in einer Benzinpfütze eingelegt wurde.
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Texts hatte keiner von ihnen Gliedmaßen oder das Sehvermögen verloren.
Mehrere Transsilvanier haben unabhängig voneinander die Existenz des womöglich bizarrsten Schnaps des Balkans bestätigt: Pufoaică.
„Pufoaică ist eine Art Mantel”, dessen Außenmaterial aus Nylon und dessen Futter aus Daunen ist, erklärt ein scheinbarer Experte zu diesem Thema. „Man nimmt normalerweise das Obst, legt es in die Jacke, macht daraus eine Art Sack, bindet alles zusammen und taucht das Ganze in Kacke— welche man eben gerade findet.”
Er stellte mit ein bisschen zu viel Nonchalance klar, welche Art von Kot in rumänischen Haushalten am häufigsten zu finden sind: „Von Kühen, Hühnern, aus dem Plumpsklo, oder was auch immer.” Nach der Fermentation in der Jacke im Kot wird die Obstpampe destilliert.
Glücklicherweise hat mir davon keiner ein Glas angeboten.