In Dortmund haben am Samstag 2000 Menschen dem vor zehn Jahren erstochenen Punk Thomas „Schmuddel” Schulz gedacht und gegen Neonazis demonstriert. Gleichzeitig haben etwa 700 Neonazis an einem Aufmarsch mit Rechtsrock-Konzert teilgenommen. Die meisten Leute in der Stadt hatte allerdings die Polizei—und machte so vor allem den Antifas immer wieder einen Strich durch die Rechnung.
Das Vorspiel
Der Anlass für die ganze Aufregung war der zehnte Jahrestag der Tötung des Punks Thomas „Schmuddel” Schulz durch einen Dortmunder Neonazi-Skinhead am 28. März 2005. Seit dem Mord veranstalten Dortmunder Antifagruppen jedes Jahr Gedenkdemos für Schulz, und fast jedes Jahr melden Neonazis parallel dazu selber Demos an, um das Gedenken zu stören und die Antifas zu provozieren.
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Dieses Jahr sollte es aber nicht nur eine Demo werden. Die Neonazi-Kleinpartei „Die Rechte” organisierte dazu noch ein Konzert mit der Rechtsrock-Größe Lunikoff auf dem Wilhelmsplatz in ihrem selbsternannten „Kiez”, Dortmund-Dorstfeld. Der Dortmunder Polizeipräsident hatte den Aufmarsch und das Rechtsrock-Konzert zuerst verboten, weil er die Wahl das Tages für eine unzulässige Provokation hielt. Den Gerichten reichte die Begründung dafür aber nicht, so dass am Mittwoch sowohl Aufmarsch als auch Konzert in letzter Instanz genehmigt wurden. (Beobachter der Szene hatten damit gerechnet. Die Dortmunder Polizei hat bereits des öfteren versucht, Neonazi-Aufmärsche im Vorfeld zu verbieten—und ist damit in der Regel gescheitert.)
Die Polizei bereitete sich also auf heftige Zusammenstöße zwischen Antifa und Neonazis vor. Bei einer Pressekonferenz am Freitag kündigte Polizeipräsident Lange an, man habe ein riesiges Aufgebot nach Dortmund beordert, da man jeweils mehr als tausend teilweise gewaltbereite „Links- und Rechtsextremisten” daran hindern müsse, „Angst und Schrecken in Dortmund zu verbreiten”. Mehrere tausend Polizisten aus acht Bundesländern waren in der Stadt. Dazu kamen noch die Bundespolizei, mehrere Wasserwerfer und Räumpanzer—und gefühlte Kilometer an Absperrgittern und von Polizeifahrzeugen versperrten Straßen. In der Innenstadt und mehreren anderen Dortmunder Stadtteilen herrschte am Samstag absoluter Ausnahmezustand.
Um Zusammenstöße zu erschweren, verheimlichte die Polizei dann bis Samstagmorgen die Aufmarschstrecke der Neonazis und kündigte an, keine Proteste in Hör- und Sichtweite der Neonazidemo zuzulassen. Das sei zwar eigentlich ein Recht der Gegendemonstranten, an dem Tag aber zu gefährlich.
Die verhinderten Blockierer
Als Erstes versammelt sich am Samstag das Bündnis „Blockado“, das sich getreu seines Namens zum Ziel gesetzt hat, die Neonazidemo zu blockieren. Stimmung kommt dort auf, nachdem mehrere hundert Demonstranten mit einem Zug am Hauptbahnhof ankommen. Neben Unmengen an Bundespolizisten und BFE-Einheiten stehen auch zwei leicht überfordert wirkende Beamte mit einem Mikrofon und einer Lautsprecherbox in der Eingangshalle des Bahnhofes. „Bitte geht weiter, draußen vor dem Bahnhof ist genug Platz für euch und alle eure Freunde”, ruft eine der Beamtinnen den Antifas zu.
Einige Zeit nachdem die bei der Kundgebung des „Blockado”-Bündnisses ankommen, setzt sich die Masse wieder in Bewegung. Nachdem nun sicher ist, wo die Neonazis marschieren sollen, wollen die Blockierer natürlich ihren Job machen.
Die Polizei macht ihren allerdings auch. Sofort rennt eine Großgruppe zugereister bayrischer Hundertschafts-Polizisten hinterher, holt auf und kesselt die blockierwilligen Demonstranten kurzerhand ein. Als die Polizisten die Demonstranten nach einer Weile wieder zu ihrer angemeldeten Kundgebung zurück eskortieren wollen, gelingt es ein paar Dutzend von ihnen durch eine Einkaufspassage zu fliehen.
Während der Rest von der Polizei begleitet wird, ist diese Gruppe nun auf der Flucht durch die Einkaufsstraßen der City. Einigen gelingt es, zumindest bis vor die S-Bahn-Station zu kommen, hinter der die Neonazis später ihre Demo beginnen sollen. Zu spüren bekommt das vor allem eine Gruppe Berliner Neonazis. Als die in ihrem geliehenen Bus auf dem Weg zur Auftaktkundgebung sind, stürmt eine Gruppe Antifas auf sie zu und zerschlägt die Fensterscheiben des Wagens.
Dieser Vorfall bleibt allerdings wohl der einzige direkte Zusammenstoß von Antifas und Neonazis an diesem Tag. Die meiste Zeit verhindert die Polizei ausdrücklich, dass sich die beiden Gruppen auch nur sehen.
Die Antifademo
Ebenfalls verhindert die Polizei wenig später, dass die 1.500 Teilnehmer der Antifademo in Gedenken an Thomas „Schmuddel” Schulz wie geplant durch Dorstfeld ziehen können. Vor Ort habe der Einsatzleiter den Auflagenbescheid einfach von Hand geändert und die Demoroute um das Dorstfelder Zentrum herum verlegt, schreibt die „Antifa Union” in einer Pressemitteilung.
Trotzdem kam es zu ein paar Begegnungen: Wenige Meter entfernt und direkt an der eigentlichen Route der Antifa-Demo halten sich ein paar einsame Neonazis in zwei heruntergekommenen Wohnhäusern verschanzt. Sie haben ein Transparent und schwarz-weiß-rote Fahnen aus den Fenstern gehängt und schauen ab und zu vermummt und schüchtern hinter den Vorhängen hervor. Die paar Straßen, in denen ein Großteil der Dortmunder Neonazis wohnt, hat die Polizei völlig abgeriegelt.
Wenige hundert Meter hinter Dorstfeld spitzt sich die Stimmung das erste Mal zu. Nachdem vorher schon ein paar Kracher und Rauchfackeln geworfen worden sind, kochen die Aggressionen kurz hoch, als zwei sichtlich betrunkene Männer aus einem Fenster auf die Demonstranten spucken, pöbeln und einer der beiden mehrfach den Hitlergruß Richtung Demo zeigt. Die Polizei hindert die Demonstranten daran, in das Haus zu stürmen, und versucht, sie zurückzudrängen. Den besoffenen Neonazis widmet sie zumindest in der Situation allerdings keine große Aufmerksamkeit.
Eine Weile später wird die Antifademo dann aufgelöst. Die Polizei will die Demonstranten wohl daran hindern, weiter in die Stadt zu gelangen, daraufhin fliegen abermals Kracher. Die Polizei spricht hier später davon, dass mehrere Beamte verletzt wurden und sie den Schlagstock einsetzen musste.
Die Neonazis
Während die Blockierer noch versuchen, Wege fürs Blockieren zu finden und die meisten Teilnehmer der Antifademo noch in ihren Zügen sitzen, sammeln sich die Neonazis im Süden der Dortmunder Innenstadt. Sie hatten ihre faschistischen Reisegruppen vorher zu einem Vorabtreffpunkt am Dortmunder Hauptbahnhof mobilisiert—auch bei den Neonazis wird Geheimhaltung groß geschrieben, wenn es darum geht, nicht beim Demonstrieren blockiert zu werden.
U-Bahn für U-Bahn kommen sie dann am Kundgebungsort an. So „modern” sich die Dortmunder Neonazis in der Regel auch geben, ein Teil der angereisten Demo-Teilnehmer wirkt wie bei einer Zeitreise in die rechte Szene der 90er: Neonazi-Skinheads mit Rechtsrock-Shirts, die neben dem Demo-Startpunkt in die Büsche pinkeln, böse schauende Typen mit Hitlerjugend-Slogans und SS-Symbolik auf Kopf und Gesicht tätowiert und Haufen rechter Hooligans.
Nachdem die Neonazis unter dem Motto „Wir sind das Volk” in einem beeindruckenden Polizeispalier durch ein angrenzendes Stadtviertel marschiert sind, gibt es endlich das, wofür wohl ein Großteil angereist ist: Rechtsrock.
Nach einigen Reden von Dennis Giemsch, dem „Die Rechte”-Gründer Christian Worch und anderen Neonazis aus dem Bundesgebiet beginnt das Konzert mit langweiliger Nazi-Balladenmusik. So richtig Stimmung kommt dabei noch nicht auf—auch weil die Musik alle 15 Minuten für einen Redebeitrag unterbrochen werden muss. Die Polizei hatte das per Auflage verfügt—vielleicht, damit die Einsatzkräfte nicht unter einer Dauerbeschallung mit Rechtsrock leiden müssen?
Christian Worch nutzt diese Redezeit für Anekdoten. Erst erzählt er von seiner Zeit im Knast und was für gewiefte „kriminelle Ausländer” er dort kennen gelernt hätte. Später erzählt er, dass seine letzte Freundin ein „Gothic-Mädchen” und völlig unpolitisch gewesen sei—aber auch ein großer Lunikoff-Fan.
Lunikoff alias Michael Regener ist der Stargast des Tages. Seine Band Landser wurde 2001 als kriminelle Vereinigung verboten und er musste für etwas mehr als drei Jahre ins Gefängnis. Wie es sich für einen echten „Star” gehört, ist er natürlich nicht bei der Demo mitgelaufen. Erst kurz vor seinem Auftritt kommt er mit einem Taxi, das einer seine Dortmunder Kameraden für ihn bezahlt,auf dem Parkplatz an. Auch den Soundcheck lässt er seine Bandkameraden alleine erledigen.
Als er dann auf die Bühne kommt und sein „White Power” ins Mikro brüllt, kommt der nationale Mob ein bisschen in Fahrt. Die Neonazis grölen mit, ein paar versuchen sogar zu pogen. In den ersten Reihen stehen Neonazis, die mit ihren Smartphones den „Star” filmen und ein wenig so wirken wie Teenager bei einem Konzert ihrer Lieblings-Boygroup. Nur viel, viel männlicher.
Das Fazit
Die Polizei zeigt sich mit ihrem Einsatz am Samstag größtenteils zufrieden. Bis auf Zusammenstöße bei den Antifa-Protesten sei es relativ ruhig geblieben und der Einsatz sei im großen Ganzen so verlaufen, wie man erwartet hätte.
Die Antifas und die verhinderten Blockierer sind sauer auf die Polizei. Die hat alle Versuche, die Neonazis zu blockieren, verhindert und die Leute nicht mal in deren Nähe gelassen. Auch die Gedenkdemo der Antifa konnte nicht so gehen wie geplant.
Die Neonazis feiern sich selbst und werten den Tag als vollen Erfolg. Das tun sie allerdings immer. Auch das Zählen gehört nicht zu den Stärken der rechten Szene—in ihrem „Demobericht” schreiben sie erwartungsgemäß von „ca. 1100 Teilnehmern”.
Immerhin konnten die Neonazis das Rechtsrock-Konzert nicht in ihrem selbsternannten „Nazi-Kiez” veranstalten und waren zahlenmäßig ihren Gegnern weit unterlegen. Dortmund ist zwar eine Hochburg der rechten Szene, für wirkliche Großaufmärsche reicht es aber auch hier schon lange nicht mehr.