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Selfie im schnellsten Spionageflugzeug der Welt

Nachdem sein Flugzeug vom Himmel geschossen worden ist, hat sich Brian Shul nicht etwa zur Ruhe gesetzt, sondern war mit dreifacher Schallgeschwindigkeit unterwegs.

Das Flugzeug von US Air Force Major Brian Shul wurde 1974 nahe der kambodschanischen Grenze abgeschossen. Weil es ihm nicht gelang, sich aus dem Flugzeug herauszukatapultieren, stürzte Shul zusammen mit dem Flugzeug mitten im Dschungel ab. Wie durch ein Wunder überlebte er den Aufprall, erlitt aber schwere Verbrennungen. Ihm wurde gesagt, dass er nie wieder fliegen können würde. Statt in den Vorruhestand zu gehen, machte er Physiotherapie und kehrte in seinen Beruf zurück, wo er ein Training durchlief, um das Spionageflugzeug SR-71, auch „Blackbird" genannt, fliegen zu dürfen.

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Der Blackbird wurde in den Nachwehen des U-2-Vorfalls von 1960 als Flugzeug, das nicht abgeschossen werden konnte, entwickelt. Damals wurde der amerikanische Pilot Gary Powers während einer Aufklärungsmission über sowjetischem Luftraum abgeschossen. Das Flugzeug, das nie von feindlichen Geschossen getroffen wurde und mit dreifacher Schallgeschwindigkeit immer noch den offiziellen Rekord für das schnellste bemannte Düsenflugzeug hält, wird seit 1999 nicht mehr eingesetzt.

Zusammen mit seinem Navigator Walter Watson ist Brian von Großbritannien und Okinawa aus zahlreiche Aufklärungseinsätze im Blackbird geflogen, einschließlich eines Einsatzes über Libyen, der der Bombardierung von Tripolis und der Benghazi-Region durch Ronald Reagan voranging. Heute arbeitet Brian als Fotograf. Er hat ​mehrere Bücher über den Blackbird geschrieben und da sich der erste Flug in dem Jet dieses Jahr das fünfzigste Mal jährt, habe ich ihn angerufen und um ein Gespräch gebeten.

VICE: Hallo Brian. Erzähl mir von der Zeit, als du im Dschungel abgestürzt bist.
Brian Shul: Wir arbeiteten als Berater für die Thais und Laoten. Ich flog über Südthailand, nahe der kambodschanischen Grenze, und wurde ausgerechnet von kleinkalibrigem Feuer getroffen. Ich hatte gar nicht richtig bemerkt, dass ich getroffen worden war. Ich verlor Energie und konnte mich nicht aus dem Flugzeug katapultieren, weil ich zu nah am Boden flog. Also musste ich das Flugzeug in den Dschungel manövrieren. Es ist explodiert, aber glücklicherweise habe ich es geschafft, mich aus dem brennenden Flugzeug zu befreien, in den Dschungel zu robben und dort auf Hilfe zu warten. Ich war bei vollem Bewusstsein und kann mich an alles erinnern.

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Dann wurdest du nach Okinawa gebracht, um dich von deinen Verbrennungen zu erholen?
Genau. Sie hatten Zweifel daran, dass ich eine Reise über den Pazifik überleben würde, also brachten sie mich dorthin. Sie ließen Verbrennungsspezialisten aus den USA einfliegen. Als ich stabil genug war, flogen sie mich nach San Antonio, wo ich 15 Mal operiert wurde. Ich habe wirklich Glück, noch am Leben zu sein. Ich habe sehr schwere Verbrennungen erlitten, doch danach habe ich die ärztliche Untersuchung überstanden und durfte wieder fliegen.

Man muss die ärztliche Untersuchung für Astronauten bestehen, wenn man den Blackbird fliegen will, richtig?
Ja. Das liegt daran, dass man in ungefähr 27.500 Meter Höhe fliegt, drei Mal höher als ein Passagierflugzeug.

Der Blackbird sieht immer noch irre aus, wie ein futuristisches Raumschiff. Kannst du dich noch an das erste Mal erinnern, als du ihn gesehen hast?
Natürlich, so etwas vergisst man doch nicht. Während des Einstellungsgesprächs haben sie uns in den Hangar mitgenommen, um uns das Flugzeug zu zeigen. Das war sehr aufregend. Sie haben uns auch in den Flugsimulator gesteckt, um unsere Fähigkeiten und unser Verhalten unter Druck zu testen. Für manche war das ziemlich wichtig, um zu merken, dass das Ganze doch nichts für sie ist, weil sie den Raumanzug oder den Helm nicht tragen wollten oder weil sie nicht außerhalb der USA arbeiten wollten. Andere hat das in ihrem Wunsch nur bestärkt.

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Wie schnell fliegt der Jet?
Der Blackbird konnte mühelos über 3200 Stundenkilometer schnell fliegen. Alle zwei Sekunden hast du also ungefähr 1,6 Kilometer hinter dir gelassen. Der Jet hat regelrecht darum gebettelt, noch schneller zu fliegen, also musste man ihn kontrollieren. Wir flogen mit dreifacher Schallgeschwindigkeit.

Wie ist es dir gelungen, Fotos vom Blackbird aufzunehmen?
Ich habe mich schon immer für Fotografie interessiert. Als ich dann beruflich mit Flugzeugen zu tun hatte, wuchs mein Interesse und ich habe ständig Fotos gemacht. Als ich dann den Blackbird fliegen durfte, war es mir sehr ernst mit der Fotografie, weil ich erkannt hatte, dass er einzigartig war. Über die Jahre habe ich Hunderte von Fotos gemacht. Ich musste ziemlich viel Papierkram erledigen, um die Genehmigung dafür zu erhalten, die Fotos veröffentlichen zu dürfen. Ich bin aber froh, dass ich es gemacht habe.

Der Ausblick aus 27500 Metern Höhe muss unglaublich gewesen sein. Gab es Highlights?
Unzählige. Viele davon habe ich in meinen Büchern veröffentlicht. Für mich persönlich sticht vor allem der Moment heraus, als ich nachts über dem Pazifik geflogen bin und das Licht ausgemacht habe. Weil ich so hoch über der Atmosphäre flog, konnte ich die Milchstraße sehen. So kann man sie von der Erde aus nie sehen. Es war atemberaubend, ich werde es nie vergessen. Das konnte ich natürlich nicht auf Film festhalten, aber diesen Augenblick werde ich wirklich nie vergessen. Ich bin einige Einsätze geflogen, während derer ich zwei Sonnenaufgänge und zwei Sonnenuntergänge an einem Tag gesehen habe. Wir sind über den Nordpol geflogen. Dank der Neigung der Erde konnten wir die Sterne sehen und dann über den Nordpol zurückfliegen und in England landen.

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Ich bin auch über das Gebiet in Südasien geflogen, über dem ich abgeschossen worden war. Das bedeutete mir sehr viel. Du siehst Dinge, die du nie sehen würdest, eben weil du den schnellsten und am höchsten fliegenden Düsenjet der Welt fliegst. Vor der berüchtigten Bombardierung Libyens 1986 bin ich über die Meerenge von Gibraltar geflogen und konnte gleichzeitig Spanien und Frankreich sehen. Es gab also zweifelsohne zahlreiche unvergessliche Augenblicke.

Bevor Ronald Reagan 1986 den Luftangriff auf Libyen befohlen hat, habt ihr da Informationen gesammelt?
Ja. 1986, bevor Reagan sich dazu entschlossen hatte, Muammar Gaddafi aus der Luft anzugreifen, flogen mein Kopilot Walter Watson und ich innerhalb von drei Tagen drei Missionen von England aus. Wir sind das einzige Team, das jemals drei Einsätze innerhalb von drei Tagen in diesem Flugzeug geflogen ist. Wir sammelten damals Informationen vor und nach dem Angriff. Unser zweites Buch, The Untouchables, ist diesem Einsatz gewidmet. Das war eine aufregende Zeit für uns.

Sobald diese Informationen freigegeben wurden, konnte viele Menschen, die am und im Blackbird gearbeitet haben, miteinander über ihre Arbeit sprechen. Wir flogen viel niedriger als ein Satellit und der Blackbird hatte optische Gerätschaften, mit denen man hineinzoomen konnte. Das Flugzeug blieb das gleiche, aber die Sensoren und die Kameras wurden immer auf den neuesten Stand gebracht.

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Du hast von einer Mission erzählt, während der ihr über den Nordpol geflogen seid, um russische Raketenstützpunkte zu katalogisieren. Hattet ihr je Angst, dass ihr abgeschossen werdet, oder habt ihr dem Flugzeug und seiner Geschwindigkeit vertraut?
Wir haben dem Flugzeug vertraut. Obwohl man sich schon nackt fühlte, wenn man ins Visier genommen wurde. Trotz der Höhe und der Geschwindigkeit war das Flugzeug ja nicht unverwundbar. Wenn man alles richtig machte, konnte man es theoretisch abschießen. Sehr wahrscheinlich war das aber nicht. Innerhalb von 26 Jahren wurden 4000 Raketen auf uns abgefeuert und keine einzige davon hat uns getroffen. Aber wir haben das nie für selbstverständlich gehalten. Es bestand immer die Möglichkeit, dass sie mit etwas Neuem auf uns schießen und uns treffen würden. Das Flugzeug war aber sein Geld wert.

Mit welcher Technologie hattet ihr es zu tun?
Die Russen entwarfen die MiG-25, mit der sie uns abschießen wollten. Aber, nun ja, nach fast 30 Jahren war es ihnen nicht gelungen, einen besseren Jet zu entwickeln als den, den wir in den 1960ern entwickelt hatten. Sie konnten natürlich in großer Höhe fliegen und versuchen, uns mit einer Rakete zu treffen—das war immer eine Bedrohung und sie haben es auch unzählige Male verzweifelt versucht. Gelungen ist es ihnen allerdings nie.

Es ist schwer, uns zu treffen, wenn wir mit dieser Geschwindigkeit fliegen. Es ist schwer abzuschätzen, wie viel Vorsprung man haben muss. Wir sind Probeeinsätze mit US-Piloten geflogen. Sie flogen F-15-Luftüberlegenheitsjäger und wollten herausfinden, wie schwer es war uns abzuschießen. Auch ihnen gelang es nicht, uns unter Kontrolle zu bekommen. Sie sagten, es sei schon möglich uns abzuschießen, aber die Chancen stünden eins zu einer Million. Wir fühlten uns sicher.

Du hast bei früheren Gelegenheiten darüber gesprochen, dass das Flugzeug einen psychologischen Effekt auf beispielsweise Russland und Korea hatte. Könntest du das weiter ausführen?
Das Flugzeug an sich hatte einen doppelten Überschallknall, am Bug und an den Lufteintrittsöffnungen. Während wir Aufklärungseinsätze über Ländern wie Korea flogen, war der doppelte Überschallknall so etwas wie ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht. Es war ja kein Geheimnis, dass wir über ihnen flogen. Das Flugzeug war eine Wärmequelle, das konnten wir nicht verbergen. Einige der Flugzeugteile heizten sich fast auf 500°C auf. Der Blackbird war ja kein Tarnkappenjet. Aber durch den Überschallknall wussten sie auf jeden Fall, dass wir da waren.

Gab es Einsätze, die besonders riskant waren?
Wir erläutern vieles in The Untouchables. Einer, der für mich besonders heraussticht, ist ein Einsatz über Korea, während dem ich ein Triebwerk verloren hatte. Das war schon aufregend, der Jet flog eine Minute lang seitwärts. Wir hätten das Flugzeug leicht verlieren können, aber irgendwie haben wir es in dieser Nacht nach Okinawa geschafft. Unser Training hatte sich bezahlt gemacht. Wir trainierten immer und immer wieder im Flugsimulator, auf diese Weise sind mein Kopilot und ich eine Einheit geworden. Sobald wir den Jet unter Kontrolle gebracht hatten, sind wir langsamer geflogen und haben ihn nach Hause gebracht.

Vermisst du deine Arbeit?
Es war schon harte Arbeit. Es gab viele aufregende, Angst machende Augenblicke. Ich blicke aber nicht zurück und sage „Oh Mann, ich wünschte, ich könnte das jeden Tag machen. Wobei ich wahrscheinlich schon zusagen würde, wenn mir jetzt jemand anböte, noch einen Einsatz zu fliegen. Aber das Leben geht weiter. Ich beschäftige mich jetzt mit Naturfotografie. Ich hatte sehr viel Glück damit, einer der 93 Männer gewesen zu sein, die den Blackbird während richtiger Einsätze fliegen durften. Ich blicke aber nicht gern zurück. Ich blicke immer nach vorn, der nächsten Herausforderung entgegen.

Mehr Blackbird-Geschichten findet ihr auf ​Brians Website und in seinen Büchern.