FPI, der Weltverband der Phonoindustrie, hat kürzlich Daten zum internationalen Musikkonsum erhoben. Diese Statistiken bestätigen vor allem Trends, die schon seit Jahren zu beobachten sind. Ja, Musik wird immer stärker gestreamt—sei es über YouTube (93% aller Nutzer zwischen 16 und 24 nutzen die Seite, um Musik zu hören) oder spezialisierte Plattformen wie Spotify.
So weit, so unspektakulär. Die Umfrage offenbart aber auch einige interessante Entwicklungen. Zum Beispiel zahlen 20% der Menschen für das Premium-Angebot eines Streaming-Services—unter 16-24-Jährigen sind es sogar 32%. Insgesamt haben in den letzten Monat volle 48% aller Musikkonsumenten in irgendeiner Form für digitale Musik gezahlt: Entweder durch bezahlte Streams oder kostenpflichtige Downloads. Nur mal so: Spotify darf sich zurzeit über 40 Millionen zahlende Kunden freuen, Apple Music über 17 Millionen.
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Das ist jetzt nicht besonders überwältigend, war für mich als ein Kind der Filesharing-Blütezeit der 00er dann doch überraschend. Laut der Studie würden heute 64% aller 16-24-Jährigen zustimmen, dass es falsch ist, Musik illegal zu bekommen und 67% würden sagen, dass Künstler belohnt werden sollten, wenn ihre Musik gespielt wird.
„Klar sollen sie belohnt werden, aber doch nicht von mir!!!1!” rumpelstilzelt mein pubertäres ich. Tatsächlich war ich wie viele andere eine Zeit lang höchst optimistisch, was die Konsequenzen der „Piraterie” von Musik, Filmen und Serien anging. „Freier Zugang zu Kulturgütern” und so. „Nieder mit der bourgeoisen Verwertungsgesellschaft, nieder mit den unkreativen Mittelsmännern.” Doch ohne politische Konnotationen, sondern allein aus praktischen Gründen waren illegale Downloads vor zehn Jahren omnipräsent. Schließlich gab es damals nicht allzu viele Optionen, um Musik auf die 512-MB großen MP3-Player mit integriertem USB-Stick oder auf Sony Ericson Handys mit Infrarot-Funktion zu karren. Wer hatte schon Lust auf überteuerte, DRM-geschützte iTunes-Downloads oder das nervige Hantieren überteuerter CDs , deren teils waghalsige Kopierschutz-Mechanismen deine Musik auf einen Schlag in ein Störgeräusch verwandeln konnten, solltest du die Dreistigkeit besitzen, sie digitalisieren zu wollen. Dann doch lieber Klingeltöne im Jamba-Sparabo. Illegale Downloads bildeten in dieser Zeit einfach die stressfreiere Alternative. Auch wenn das ganze natürlich moralische Fragen aufwarf, die selbst in South Park dargelegt wurden.
Doch abgesehen von den gesellschaftlichen, ideologischen und wirtschaftlichen Implikationen, die dieser kollektive Angriff auf Grundeigentum und Leistungsschutz hatte, schweißte er vor allem eine Generation durch ein paar kollektive Erfahrungen zusammen, die es jetzt zu Zeiten des komfortablen, institutionell gewährleisteten Musikstreamings kaum noch gibt. Heute ist „Stream-Ripping” die häufigste Art des illegalen Musikerwerbs. Doch was ist mit so Klassikern wie Torrents, LimeWire oder Rapidshare? Wir haben mit einem vor nostalgischen Tränen nassen Gesicht für euch aufgelistet, was wir alles herzlich an der Musikpiraterie der 00er vermissen werden. Only 90s Kids et cetera.
Falsch beschriftete Tracks und Alben auf LimeWire runterladen
Egal, ob du damals LimeWire, Bearshare, eMule oder Kazaa benutzt hast, um die einzelnen MP3s der Lieblingsband auf deine Festplatte zu holen, mit Sicherheit wartete auf deine Ohren am Ende eine Enttäuschung. Falsche Beschriftungen und Songs, nervenaufreibende Wasserzeichen oder ein komplett falsches Dateiformat waren damals keien Seltenheit. In diesen frühen Peer-to-Peer-Programmen gab es kaum so etwas wie eine aktive Community. Einmal hatte ich mir eine Datei namens „FreddyVs.Jason.avi” heruntergeladen und bekam meinen ersten Porno (s/o an Dolly Buster) zu sehen.
Torrenten und dann eine Abmahnung bekommen
Das Internet war und ist ein Minenfeld. Jeder kennt einen, der einen kennt, der nen Ballermann hat schon mal Post wegen dummer Online-Abzocken bekommen hat—sei es, weil man einen überteuerten Service nach einem Monat Probelaufzeit nicht rechtzeitig gekündigt oder weil man etwas illegal heruntergeladen hatte. Die Opfer der parasitären Abmahn-Kanzleien waren dabei meistens naive Sparfüchse, die einfach nur illegal eine Datei herunterladen wollten. Dass man trotzdem großzügige Geldbußen und Unterlassungserklärungen aufgedrückt bekommen hat, lag in der Natur von P2P-Protokollen. Anders als bei Filehostern wie Rapidshare gab es keinen zentralen Server, jeder war gleichzeitig Up- und Downloader. Wer eine Datei runtergeladen hatte, bot sie gleichzeitig selbst zum Download an. Ohne seine IP-Addresse über Proxy oder VPN umzuleiten, sind vor allem Torrent-Downloads immer noch recht riskant in Deutschland.
Nächtelang auf russischen Foren nach Musik suchen
Du hast schon damals Musik ein bisschen nerdiger als deine Freunde verfolgt und brauchtest unbedingt dieses eine, obskure dänische Soul-Jazz Album aus den 70ern, aber die Links waren down und die Torrents hatten keine Seeder? Ich hätte deinen Schmerz verstanden. Irgendwann ist man auf Seite 17 der Google-Resultate über ein (irgendwie immer russisches) Forum gestolpert, in dem sich plötzlich alles Erdenkliche finden ließ. Jenseits von jeglicher Kontrolle florierte auf diesen Foren, aber auch auf Torrent-Seiten wie RuTracker oder deren Facebook-Pendant VK die Filesharing Community—selbst heute noch. An alle, die es vermissen, sich mitten in der Nacht durch die endlosen Uploads der heldenhaften Uploader zu scrollen, ohne auch nur einen der Kommentare ohne Translater zu verstehen … Ich fühle euch.
Filesharing-Probleme
Durch die relativ rigorose Gesetzgebung in Deutschland verlagerte sich ein großer Teil der illegalen Musikdownloads von P2P-Netzwerken auf sogenannte Filehoster. Hier verlief die Grenze zwischen Up- und Downloader fest, als Noob musste man sich auf keinen Stress einstellen. Dafür hatte Filesharing seine ganz eigenen Probleme: quälend lange, künstliche Wartezeiten, unleserliche Captchas, Sperren, nachdem man ein bestimmtes Datenvolumen erreicht hatte und die Tatsache, dass Dateien teilweise maximal 100 MB groß sein durften, waren dabei noch Nichtigkeiten. Viel nerviger war die Tatsache, dass nach der großen Megaupload-Klage von 2011 nicht nur Millionen von Megaupload-Links nicht mehr funktionierten, sondern dass auch Anbieter wie 4shared, drop.io und natürlich Rapidshare anfingen, immer mehr Dateien zu löschen. Es gibt wohl wenig Deprimierenderes im Internet, als auf einen alten Blog mit wunderbar kuratierter Musik zu stoßen, auf dem nur tote Links zu finden sind. Allerdings gilt auch heute noch, dass die Mediafire-Google-Methode, wunderbar funktioniert. Dann findet man nach langem Suchen einen funktionierenden Link, lädt sich das Album runter—und benötigt natürlich ein unbekanntes Passwort zum Öffnen.
Schnell noch ein paar Downloads starten, bevor man das Haus verlässt—oder schläft
Wer keinen Premium-Account für Filehoster hatte, der musste mit gedrosselter Geschwindigkeit leben. Deswegen war die Hauptwährung für Downloads auch nicht Speicherplatz oder Bandbreite, sondern Zeit. Ich fühltemich besonders schlau, wenn ich meinen Computer stundenlang in meiner Abwesenheit oder während ich schlief, laufen ließ. Aus ökologischer Sicht bin ich nicht stolz darauf, aber so war das nunmal. Das Ganze funktionierte bei Downloads von Filehostern natürlich nur mit Hilfe von Download-Managern wie dem JDownloader, der oft nicht nur die Captchas automatisch eingeben konnte, sondern auch die IP-Adresse änderte, sodass pausenlos heruntergeladen werden konnte—was angesichts der 36 Parts á la 100 MB, aus denen sich GTA San Andreas oder die komplette Diskografie von Ten Years After in FLAC zusammensetzte, auch bitter notwendig war.
Filesharing is Filecaring
Schon damals war klar: Downloads sind lästig. Deswegen lud ich auch nicht nur für mich alleine herunter, sondern auch für meine Kumpels, die mich wiederum bei ihren Downloads berücksichtigten. Man zeigte sich gegenseitig neue Entdeckungen, erzählte „verrückte” Digging-Erfahrungen und tauschte USB-Sticks, selbstgebrannte CDs und externe Festplatten aus. Hunderte Gigabytes mit der Musik mir komplett fremder Leute schafften es auf LAN-Parties auf meinen Computer. Viel Musik, die ich durch die seltsamen Blogs und Foren von damals kennen gelernt habe, höre ich immer noch. Irgendwie bin ich auch immer noch ein wenig verliebt in meine Sammlung, auch wenn sie natürlich komplett am PC zusammengetragen wurde. Der Punkt ist: Nur weil die Musikpiraterie nach Napster online stattfand, heißt das nicht, dass es nicht eine soziale Komponente gab. Im Gegenteil: Ich kann mich deher mit einem Blog namens Papashultz474 oder einem Forenmitglied, dessen Avatar ein teuflischer Michael Jackson ist, identifizieren als mit einem Streaming-Koloss wie Spotify oder gar Apple. Sicher, heute ist Musik finden und hören im Internet komfortabler, aber es war nicht alles schlecht.
Mit der Musikpiraterie verhielt es sich also ein bisschen wie mit dem Kiffen: Viele Leute taten etwas, das von Gesetz und Industrie nicht gern gesehen wurde—allerdings hielten sich die Repressionen in Grenzen, allein schon, weil man nicht Millionen Menschen mit aller Härte für ein „Kavaliersdelikt” bestrafen konnte. Diese minimale, kontrollierte Dosis Kriminalität kann verglichen mit Hunde-äugiger Gesetzestreue absolut lehrreich sein und das kritische Denken befeuern. Vor allem aber kamen so Menschen miteinander in Kontakt, deren Wege sich sonst wohl nie gekreuzt hätten. Und das findet in Zeiten, in denen das Rippen von Tracks von Streaming-Plattformen die am weitesten verbreitete Form des illegalen Downloads ist, nicht mehr statt.
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