Wo ist die Grazer Party- und Kulturszene abseits des Mainstreams hin?

In meiner Studienzeit, die noch nicht so lange her ist, standen in Graz jedes Wochenende gute Events mit elektronischer Musik, Sorte “Underground“, an. Heute – kurze Zeit später – fällt mir auf Anhieb kein einziges Lokal mehr ein, in das man gehen kann, sobald man mit 21 entdeckt, dass man zu alt für den Scheiß im Univiertel ist. Deswegen habe ich mich auf die Suche nach Alternativen begeben, mit Veranstaltern gesprochen und tatsächlich einen Teil von dem Graz wiedergefunden, das ich so vermisst habe.

Aus meiner Sicht – und da werden mir bestimmt viele zustimmen – ist es in Graz mit der Schließung des Kulturzentrums Niesenberger bergab gegangen. Kurzes Résumé für alle, die es verpasst haben: Die “Niese” hat sich im Laufe des Jahres 2009 vom kleinen Geheimtipp zu einer der besten Locations in Graz entwickelt und wurde 2010 von FM4-Hörern und Hörerinnen sogar zu Österreichs dritt-feinstem Club gewählt. Immer wieder hat man gehört, dass es Probleme mit den Anrainern gäbe und spätestens 2012 wurde durch ein neues Veranstaltungsgesetz der finale Nagel in den Sarg der Niese geschlagen. Wohin nun, wenn man beim Fortgehen weder David Guetta, noch Helene Fischer hören will?

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Die Suche nach guten Events abseits vom Mainstream kann sich in Graz als schwierig gestalten. Am besten ist man schon ein paar Wochen im Vorhinein informiert, damit man gleich weiß, wann was los ist. Spontan am Wochenende zu schauen, wo man zu guter Musik feiern kann, ist oft schwierig. Vielleicht hat man Glück und in der Postgarage gibt’s neben schrecklichen “Worst Ofs“ ein Electronic Special am charmanten zweiten Floor.

Dass Graz noch immer den Ruf einer Studentenhochburg hat, obwohl um 22:00 Uhr die Gehsteige hochgeklappt werden, ist mir unverständlich. Geradezu lächerlich war der jahrelange Streit um die Sperrstunde der Lokale im Univiertel. Ich solidarisierte mich damals mit den Betreibern, auch wenn mich keine zehn Pferde in eines der Lokale bringen würden. Als Reaktion von Ewig-Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl (ÖVP) kommt schlussendlich: “Was hat euch Trottel so kaputt gemacht?”, als Botschaft gegen den Vandalismus auf einer Plakat-Kampagne. Vandalismus, darum ging es ihm also die ganze Zeit? Und ich dachte schon, er will sich Stimmen der Zielgruppe 60+ sichern.

Neben dem Univiertel machen sich Veränderungen aber auch in den alternativen Bereichen der Grazer Kultur- und Partyszene bemerkbar. Das Niesenberger sperrte zu, die Papierfabrik macht praktisch auch nix mehr. Vielversprechende Clubbings tauchen immer wieder aus dem Nichts auf. Und verschwinden – wie zuletzt die Veranstaltungen in den Reininghausgründen – auch ebenso schnell wieder. Immer wieder kommt es auch zu Problemen bei Straßen- und Parkfesten. So sollte 2016 auch das Augartenfest erstmals ausfallen. Erst nach einem viralen “Facebook-Protest” wurde es aber doch von den Jungs der Feierlaune mit Unterstützung der Grazer SPÖ – in kleinerem Rahmen – gerettet.

Viele Betreiber und Betreiberinnen und Veranstaltende waren wenig begeistert davon, Statements zur aktuellen Lage zu geben. Ähnlich verlief es auch beim Grazer Bürgermeister Nagl, der auch nach mehrmaligem Anfragen nicht bereit war, auf meine Fragen zu antworten. Andere betroffene Veranstalter, Veranstalterinnen und Lokalbesitzerinnen und -besitzer wollen wiederum nur kooperieren, wenn Namen außen vorgelassen werden. Nun gut.

Immer wieder kommt in den Unterhaltungen das Veranstaltungsgesetz aus dem Jahr 2012 zu sprechen. Darin wurden auf Basis der steirischen Landespolitik neue Auflagen eingeführt, die für kleine Betreiber nur schwer zu erfüllen sind. Sogar große Locations wie die Helmut-List-Halle sollen anfangs Probleme damit gehabt haben.

Für alternative Veranstaltende kommen ohnehin nur wenige Locations in Frage. Leerstehende Bauten, die gerne zur Zwischennutzung bespielt werden, haben aber oft nicht die vorgeschriebene Anzahl an WCs, Lichtquellen oder Notausgängen. Wenn sich Betreiberinnen und Betreiber nicht an die Auflagen halten, gehen sie die Gefahr ein, dass ihre Veranstaltungen vorab abgedreht werden. Werden behördliche Genehmigungen nicht eingeholt, haften Betreiber außerdem selbst für ihre Gäste. Bei einem Unfall drohen hohe Geldstrafen, die Versicherungen nicht übernehmen würden. Ein Risiko, das nicht jeder eingehen will.

Als der Kunstfreiraum Papierfabrik im Jahr 2011 gegründet wurde, hat man nicht damit gerechnet, dass ein neues Veranstaltungsgesetz alternative Kulturtreibende so hart treffen würde. Damals entwickelte sich der selbstorganisierte Kulturverein schnell zu einem beliebten Ort für Kunst und Events jeder Art. Inzwischen ist es sehr ruhig um die Papierfabrik geworden. Ferdinand Oberbauer, der hinter dem Projekt steckt, kann eine ganze Liste an Problemen in Graz aufzählen. Abgesehen vom Veranstaltungsgesetz gäbe es da noch Anrainer, die Baubehörde, das Veranstaltungsamt und eine Szene, die sich nicht richtig vernetzt: “Jeder arbeitet einzeln, aber auch irgendwie im Pack.”

Im Gespräch sagt er offen seine Meinung, gibt aber auch zu bedenken, dass nicht alles an der Grazer Stadtpolitik scheitere. Schlussendlich ist das neue Veranstaltungsgesetz ja durch die steirische Landespolitik entstanden. Er will sich nicht in die Politik einmischen, merkt aber an, dass es seit dem Rücktritt von Lisa Rücker (ehem. Grüne Vizebürgermeisterin von Graz) kaum mehr Unterstützung für freie und alternative Projekte gäbe. Vor ein paar Jahren bot die Stadt Graz sogar an, der Papierfabrik unter die Arme zu greifen: “Wir hatten Leute von der Stadt und der Baubehörde hier, die sich das angeschaut und aufbereitet haben. Dafür hätte die Stadt sogar gezahlt, aber wir hätten eine Kommerzscheiße machen müssen, bei der es nur ums Business geht und die Besucher abgezockt werden. Darauf hatte ich echt keine Lust. Jetzt haben wir unten Proberäume und nur mehr ein paar Mal im Jahr Partys oder Konzerte”.

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Es sei in Graz auch “sehr ungleich, wer Förderungen bekommt und wer nicht”. Auffallend ist dabei, dass ein Großteil der Grazer Kunst- und Kulturförderungen für stadtinterne Projekte verwendet wird. Die letzte unabhängige Evaluierung der Kulturförderungen durch die IG Kultur aus dem Jahr 2011 liegt auch schon länger zurück – damals wurde unter anderem kritisiert, dass 85 Prozent der Kulturförderungen auf Projekte der Stadt selbst verteilt wurden. Wie es im Jahr 2018 aussieht, lässt sich aufgrund des Mangels an aktuellen Statistiken nur schwer einschätzen.

Immer wieder wird in den Gesprächen gesagt, dass es in Graz an Leer- und Freiraum zum Ausleben von alternativen Projekten mangelt. Dadurch kommt es häufig zu Problemen mit Anrainern, insbesondere dann, wenn genutzte Locations in der Innenstadt liegen. Nichts scheint in Graz so heilig wie die nächtliche Ruhe. Zumindest dann, wenn die Veranstaltungen nicht von der Stadt selbst finanziert werden. Hunderte Gäste, die beim Spring-Festival am Schlossbergplatz Schlange stehen, können wiederum so laut sein, wie sie wollen. Sondergenehmigung der Stadt Graz sei Dank. Und zu Fasching dürfen dann sogar mal Mehl- und Färberplatz bis Mitternacht bespielt werden – andere Lokalbetreiber hingegen müssen ihre Gäste zwischen 22:00 und 23:00 Uhr aus den Außenbereichen vertreiben.


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Auch wenn behördliche Auflagen erfüllt werden und Anrainer kein Problem darstellen, heißt das nicht, dass dem Betrieb nichts mehr im Wege steht. Auf der Suche nach einem abgelegenen Ort, kamen engagierte Veranstalter auf die Idee, die leerstehenden Reininghausgründe zu beleben. Angedacht war es, hier ein Kulturzentrum für Künstler und (FH-)Studenten aufzubauen. Nebenbei sollten Partys und andere freie Projekte abseits der – für kleine Gruppen unleistbaren – Grazer Spielstätten veranstaltet werden.

Das Projekt ist aber schnell zu groß geworden: mit Veranstaltungen, die mehr als 1500 Besucher zählten, hatten weder Besitzerinnen und Besitzer der Gründe noch die Grazer Stadtpolitik gerechnet. Zu alternativ und zu groß war es hier geworden, wohl auch aus Mangel an Alternativen. Großen Bauprojekten sei man damit ein Dorn im Auge gewesen, so die Spekulationen. Das Angebot der Betreiber, ein Quartier auf den Gründen zu erwerben, stieß nicht auf Gegenliebe – und Schluss war es mit der Zwischennutzung. Und das, obwohl Käufer im Bereich der Reininghausgründe dazu aufgefordert sind, ihre Objekte auch für kulturelle Zwecke zu nutzen.

Weniger Probleme mit Anrainern gibt es auch beim SUB, einer der wenigen freien und ungeförderten Kulturvereine in Graz. Die gemütliche Hütte mit der unglaublich schönen Terrasse kann, in Absprache mit den Verantwortlichen, für so ziemlich jedes Projekt genutzt werden. So finden neben Partys und Konzerten auch Lesungen oder Diskurse statt. Vereinslokale wie das SUB werden auch im neuen Veranstaltungsgesetz behandelt und zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass keine Gewinne gemacht werden dürfen. Umso bitterer daher, dass nach 17 Jahren des Bestehens nun teure Umbauten durchgeführt werden müssen, damit das SUB weiterbestehen darf. “Nach vermehrten Kontrollen durch Bauamt und Veranstaltungsbehörde haben wir den Punkt erreicht, an dem ein größerer Umbau unausweichlich geworden ist”, so die Verantwortlichen des SUBs auf ihrer Homepage.

Insbesondere die zugegebenermaßen beängstigend steile Stiege in den ersten Stock soll erneuert werden. Das Geld für den Umbau haben sie zu einem großen Teil zusammen, jedoch kann man sie hier auch noch finanziell unterstützen. Mich verwundert vor allem der Zeitpunkt der Abmahnungen: So neu ist das Veranstaltungsgesetz 2012 nun auch wieder nicht und das SUB nicht so unbekannt, dass es gänzlich unter dem Radar verschwindet. Auffällig zeitnah mit dem Beginn der schwarz-blauen Grazer Koalitionsbildung hat es mit den Problemen angefangen. Darüber lachen im großen Kreise des wöchentlichen Vereinstreffen des SUB einige, aber aus politischen Belangen wolle man sich lieber raushalten. Schade eigentlich, wenn man bedenkt, dass ich selten einen so demokratischen Diskurs wie hier erlebt habe, wo jeder mitreden kann und jede Stimme angehört wird.

Seit einigen Jahren heftig am Mitmischen ist auch das Kollektiv I’m In Love With. Dieses setzt sich unter anderem aus Leuten zusammen, die sich zuvor für die Papierfabrik oder das Niesenberger engagiert hatten. Erst wenn man auf das Kürzel IILW achtet, fällt auf, wo das Kollektiv überall die Finger im Spiel hat. Momentan gelten die Veranstaltungen im Bereich der Taggerwerke als Herzstück des Kollektivs. Das Veranstalten in Graz sei sehr zeitaufwändig und demotivierend, hört man aus ihrem Umfeld. Wenn die lächerlich komplexen Auflagen erfüllt werden “ist es aber nicht unbedingt unmöglich in Graz.” Und weiter: “Schließlich konnte bei den Taggerwerken eine aktive Baustelle zum riesigen Rave umgewandelt werden.” Neben dem Mangel an passenden Locations sei auch die Einstellung der Stadt Graz und “fragwürdiger Immobilienträger” gegenüber alternativen Veranstaltungen ein großes Problem. Ohne Sektempfang und schickem Balkon stoße man hier nur auf wenig Gegenliebe – oder Unterstützung.

“Es wirkt auf den ersten Blick so, als wäre die Grazer Stadtpolitik an allem schuld. Das ist aber auch nicht ganz richtig.”

Alles in allem habe ich ein kleines Stück von dem Graz wiedergefunden, das ich verloren geglaubt hatte. Es gibt immer noch genug motivierte Leute, die sich bemühen, Neues zu probieren und Veranstaltungen und Clubbings abseits des Mainstreams auf die Beine zu stellen. Aufgrund schwieriger Bedingungen lässt sich ein allmähliches Club- und Vereinssterben aber nicht leugnen. Dabei sehen wir Grazer ohne Aufstand dabei zu, wie die Stadt an freier Kultur- und Partyszene verliert. Während es an engagierten Unterstützern mangelt, bleiben Betroffene selbst oft leise. Zu groß sei die Gefahr, dass man Projektförderungen verliere. Es wirkt auf den ersten Blick so, als wäre die Grazer Stadtpolitik an allem schuld. Das ist aber auch nicht ganz richtig. Durch Förderungen der Stadt Graz wurde auch schon das eine oder andere Lokal großgezogen. Zuletzt etwa das Kulturzentrum Explosiv, vor längerer Zeit auch das PPC, als es noch Teatro hieß. Die Stadt ist also durchaus bereit, für bauliche Maßnahmen hohe Förderungen auszusprechen. Das bedeutet wiederum oft aber auch, in den Mainstream eingebunden zu werden, was wohl kaum im Interesse der Betreiber alternativer Veranstaltungen liegt.

Was dann bleibt, ist eine Stadt voller Studenten und junger Leute und kaum Clubs, in denen abseits der Happy Hour gefeiert wird. Leerraum bleibt lieber ungenutzt oder wird abgerissen. Gastgärten werden früh geschlossen, damit sich ja niemand im Schlaf gestört fühlt. Lichtblicke gibt es aber auch immer wieder, vor allem, wenn etwas Neues gefühlt aus dem Nichts auftaucht. Neben alternativen Veranstaltungen sind natürlich auch offizielle Eventreihen wie Elevate und Spring super. Auch Straßenfeste wie Lendwirbel, Augartenfest, La Strada oder Grieskram sind einmalig. Schlussendlich gibt es in Graz einfach weniger Möglichkeiten als in anderen Städten, dafür fällt die Entscheidung wenigstens leichter, wo man am Wochenende hingeht. So oder so ähnlich probiere ich mir die momentane Situation schönzureden. Heimlich wünsche ich mir aber einfach nur ein neues Niesenberger.

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