In Berlin attackiert ein junger Mann einen Passanten, der eine Kippa trägt, beim Musikpreis Echo räumen Kollegah und Farid Bang trotz einer antisemitischen Textzeile ab. “Verliert Deutschland den Kampf gegen den Antisemitismus?”, das fragte Talkshow-Moderatorin Anne Will am Sonntagabend Gäste wie den Psychologen Ahmad Mansour, Linken-Chefin Katja Kipping und Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt.
Für den Rechtsanwalt Wolfgang Stahl war das allem Anschein nach die falsche Frage. “Liebe Anne Will, Deutschland hat kein Problem mit Antisemitismus sondern mit dem Islam und den Muslimen”, twitterte Stahl. Dahinter hängte Stahl #gehörtnichtzudeutschland. Später schrieb er, die Zahl der antisemitisch motivierten Straftaten rechtfertige die Aufmerksamkeit für das Thema nicht. Antisemitismus, schlussfolgerte der Anwalt, sei kein “A-Problem”.
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Stahl ist nicht irgendein Staatsexamenabsolvent. Der Koblenzer vertritt seit November 2011 Beate Zschäpe. Zschäpe gründete gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den Nationalsozialistischen Untergrund, NSU, um die “Öffentlichkeit” “mit gezielten Aktionen” in “Aufruhr zu versetzen”: Das NSU-Mitglied soll für neun rassistisch motivierte Morde an Mitbürgern türkischer, kurdischer und griechischer Herkunft sowie dem Mord an einer Polizistin mitverantwortlich sein. Dafür muss sie sich seit Mai 2013 im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Stahl verteidigt die mutmaßliche Terroristin gemeinsam mit seinen Kollegen Wolfgang Heer und Anja Sturm. Ihrer Aufgabe scheinen die Drei allerdings nicht mehr nachkommen zu wollen.
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Im Februar dieses Jahres hatte der zuständige Richter einen Verhandlungstag kurzfristig abgesagt, nachdem Mathias Grasel, ein vierter Pflichtverteidiger Zschäpes, und ihr Wahlverteidiger Hermann Borchert nicht in München erschienen waren. Wolfgang Stahl, Wolfgang Heer und Anja Sturm stellten daraufhin einen Antrag auf Entbindung als Pflichtverteidiger, schreibt die Süddeutsche. Das Gericht hat dem Antrag bislang nicht stattgegeben, sagte ein Sprecher des Oberlandesgerichts zu VICE.
Der NSU-Prozess soll am Dienstag um 9:30 Uhr fortgesetzt werden, auf der Tagesordnung für diesen und die kommenden Termine stehen auch die Plädoyers von Heer, Stahl und Sturm. Bis zum Januar 2019 sind 80 weitere Verhandlungstage angesetzt. Bis dahin kann sich Wolfgang Stahl weiter echten “A-Problemen” widmen. Um diese zu identifizieren, hilft es vielleicht, sich noch einmal die Mordserie des NSU ins Gedächtnis zu rufen:
9. September 2000, Nürnberg, Enver Şimşek (38)
13. Juni 2001, Nürnberg, Abdurrahim Özüdoğru (49)
27. Juni 2001, Hamburg, Süleyman Taşköprü (31)
29. August 2001, München, Habil Kiliç (38)
25. Februar 2004, Rostock, Mehmet Turgut (25)
9. Juni 2005, Nürnberg, Ismail Yaşar (50)
15. Juni 2005, München, Theodoros Boulgarides (41)
4. April 2006, Dortmund, Mehmet Kubaşık (39)
6. April 2006, Kassel, Halit Yozgat (21)
25. April 2007, Heilbronn, Michèle Kiesewetter (22)
Die NSU-Mitglieder bezeichneten die Taten in einem Bekennervideo als “Aktion Dönerspieß”.
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