Drogen

Das Berghain ist zu, was machen Berlins Clubgäste?

Zwei junge Männer küssen sich im Dunkeln, symbolisch für Berliner Clubgäste im Berghain und Co.

“Gestern habe ich geträumt, dass wir im Berghain waren”, sagt Martin. Eigentlich geht der 28-jährige Sales-Professional jedes Wochenende in den Berliner Club. Wie viele andere Namen in diesem Text haben wir seinen geändert. Momentan ist das unmöglich. Bis September werden wegen des Coronavirus alle Clubs in Deutschland geschlossen bleiben. Mindestens. Aber nicht nur Martins Freizeitgestaltung ist davon betroffen, seine Arbeitszeit wurde jetzt auch noch um 40 Prozent gekürzt. “Soll ich LSD nehmen? Oder Mushrooms? Wir müssen etwas mit unserer ganzen Zeit anfangen, sonst drehen wir doch alle durch.”

Berlin ist bekannt für seine vielen Clubs. Viele Menschen sind hergezogen, um ihre Wochenenden zwischen Kloschlange und Tanzfläche zu verbringen. Die allermeisten halten sich momentan vorbildlich an die Social-Distancing-Regeln, aber einige wenige wollen sich von der Pandemie das Feiern und die Drogen nicht nehmen lassen.

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Teile von Berlins Chemsex-Szene zum Beispiel sind trotz der Einschränkungen weiter aktiv. Hier treffen sich schwule und queere Männer, um auf Drogen wie GBL, Mephedron und Crystal Meth Sex zu haben. Ihr Verhalten ist riskant, so wie die Chemsex-Party, die Martin und sein Freund nach Beginn des Lockdowns besuchten – auch wenn der Gastgeber darauf bestand, dass sich alle Gäste an der Tür gründlich die Hände waschen. Im Wohnzimmer lief ein Techno-Set von SPFDJ auf einem Laptop, ein bisschen Clubfeeling kam auf. “Alle tanzten und hatten Spaß”, sagt Martin. “Ich hatte Sex mit mehr als 25 Leuten über die drei vergangenen Wochenenden verteilt.” Seit der letzten Party fühle er sich allerdings angeschlagen. “Ich weiß nicht, ob ich mir eine Geschlechtskrankheit oder Corona eingefangen habe.”

Diese Leichtsinnigkeit könnte auch eine Reaktion auf den Stress und die Ungewissheit darstellen, die gerade viele Menschen fühlen. “Chemsex ist in den allermeisten Fällen eine Freizeitaktivität, mit der man auch leicht wieder aufhören kann”, sagt David Stuart, ein britischer Sozialarbeiter, der sich viel mit Chemsex befasst hat. “In Anbetracht der Homophobie und AIDS-Panik, die wir durchgemacht und gegen die wir uns gewehrt haben, ist es besonders problematisch für schwule und queere Männer, sich von der Regierung den Sex verbieten zu lassen.”

“Zu Beginn des Lockdowns haben die Leute Drogen wie Klopapier in großen Mengen gekauft.”

Stuart ergänzt allerdings, dass viele ihm berichtet hätten, dass sie im Nachhinein ein schlechtes Gewissen haben, weil sie ihre Gesundheit und die Gesundheit von anderen aufs Spiel setzten. Insbesondere Nutzer von Drogen wie Crystal Meth könnten darüber hinaus in der aktuellen angespannten Situation noch stärkere negative Wirkungen bei ihren Highs und Comedowns erleben. Panik und Paranoia zum Beispiel.

Es gibt allerdings auch Anzeichen dafür, dass die anfängliche “Nach mir die Sintflut”-Haltung langsam abebbt. In Facebook-Gruppen zu Berliner Clubs kommen auf jeden Post, der die Öffnung der Clubs fordert, zahlreiche Gegenstimmen, die zu mehr Solidarität mit besonders gefährdeten Bevölkerungsteilen mahnen. Viele Grindr-Nutzer haben “Stay At Home” in ihre Profile geschrieben.

“Ich habe einem Typen auf Grindr geschrieben: ‘Ich will benutzt werden’”, sagt Mangel, der sich zusammen mit seinem Freund zu Hause eingenistet hat. “Der Typ wollte aber nicht: ‘Ihr seid ziemlich unvernünftig. In der aktuellen Situation solltet ihr lieber zu Hause bleiben.’ Also habe ich ihm geschrieben: ‘Oh ja, du hast recht. Du kommst besser vorbei und bestrafst mich.’ Er hat nicht mehr geantwortet.”

Der Lockdown hat auch verändert, welche Drogen die Menschen in Berlin nehmen. Dealenden und Konsumierenden zufolge, mit denen VICE gesprochen hat, ist momentan besonders Mephedron gefragt. Eine Beobachtung der Aktivitäten in zwei entsprechenden Telegram-Gruppen zeigt, dass sich die Nachfrage nach Mephedron über die ersten drei Monate hinweg etwa verdreifacht hat. Wirklich repräsentativ sind diese Zahlen aber natürlich nicht, da viele User ihre Nachrichten in den Gruppen wieder löschen.

Auch Ingo, der mit Partydrogen dealt, berichtet, dass es Ende März in entsprechenden Telegram-Kanälen eine Warnung vor Mephedron-Engpässen gegeben habe. “Zu Beginn des Lockdowns haben die Leute Drogen wie Klopapier in großen Mengen gekauft. Das ist jetzt aber vorbei. Den meisten ist entweder langweilig geworden oder sie haben kein Geld mehr”, sagt Ingo.

“Mir wäre es egal, wenn die Leute von mir glauben, dass ich Tripper verbreite. Aber Corona? Auf keinen Fall.”

“Ich finde es sinnlos, Ecstasy oder Koks in der Natur oder zu Hause zu nehmen. Deswegen kommen für mich gerade nur Psychedelika infrage”, sagt eine Clubgängerin, die auch selbst Mushrooms anbaut. Sie scheint auch nicht die einzige mit dieser Ansicht zu sein. Ihre Ernte Mitte März war innerhalb von zwei Wochen komplett vergriffen.

Milan, vor Corona ebenfalls Berghain-Stammgast, nimmt normalerweise Chemsex- und Clubdrogen, jetzt ist er auf 2C-B und Pilze umgestiegen, um “spirituelle Dimensionen zu erkunden”, wie er sagt. “Ich gehe ständig in Clubs, weil ich es liebe zu tanzen. Jetzt habe ich die Zeit und ein sicheres Setting, um mich mit Psychedelika auseinanderzusetzen.”

Eine hohe Dosis 2C-B, die er Anfang des Lockdowns alleine nahm, habe Fabian dabei geholfen, die Situation zu verarbeiten, sagt er. Seine Kontakte habe er seitdem auf drei Sexualpartner reduziert. Das ist zwar deutlich mehr, als das Robert Koch-Institut gut findet, aber Fabian sagt immerhin: “Mir wäre es egal, wenn die Leute von mir glauben, dass ich Tripper verbreite. Aber Corona? Auf keinen Fall.”

Wie alle anderen leiden auch Berlins Raverinnen und Raver unter der aktuellen Situation. Vielen fehlen die sozialen Interaktionen und das Gemeinschaftsgefühl auf den Partys, die vielen einen psychischen Ausgleich zum Alltag bieten. Valdis und sein Freund feiern normalerweise von Freitag bis Sonntag durch. Seit über einem Monat bleibt das Paar aber auch zweisam in seiner Wohnung. “Rund einmal pro Woche habe ich einen Zusammenbruch. Das kommt vielleicht auch vom Comedown, aber es liegt definitiv auch daran, dass ich ausgehen will und nicht kann”, sagt er. “Ich habe den ganzen Dienstagabend durchgeheult.”

Natürlich nutzen viele den Lockdown, um eine längere Party- und Drogenpause einzulegen und um sich um andere Bereiche ihres Lebens zu kümmern.

Lena tanzt normalerweise jeden Sonntag mindestens zwölf Stunden vorne links im Berghain. Einen Tag nach ihrem letzten Club-Ausflug hat die Arbeitssuchende einen Fortbildungskurs von der Agentur für Arbeit begonnen. “Ich habe mich wegen des Kurses ganz gut an den Lockdown angepasst. Aber vielleicht gehe ich dieses Wochenende doch noch zu einer Hausparty”, sagt Lena in einer Sprachnachricht über WhatsApp. “Ich liebe Techno und höre mir die Woche über die ganzen Live-Streams an. Aber ich vermisse Keta. Und ich vermisse das Berghain.”

Berghain-Foto: Britta Pedersen / Picture Alliance via Getty Images

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