Menschen

Ich habe die Männer zur Rede gestellt, die mich geghostet haben

Die Autorin an einem Bartisch mit einem Smartphone in der Hand, auf dem sie sieht wer sie geghostet hat.

Ich habe den ganzen Tag am See verbracht und sitze in der S-Bahn nach Hause. Mein Handy liegt seit Stunden ganz unten in meiner Tasche. Es ist Juni und der morgige Sonnenbrand glüht heiß auf meinen Schenkeln. Ich fische mein Handy aus der Tasche. Ein paar Whatsapp-Mitteilungen begrüßen mich. Darunter auch die eines Typen, der mich in einem Café angesprochen hatte: “Hey, wie geht’s? Was machst du heute Abend? Würde dich gerne sehen.” “Sorry, war nicht am Handy. Digital Detox ist doch gerade super trendy. Aber wir können gerne nächste Woche mal was machen?”, antworte ich und höre seitdem: Nichts. Auch nicht am nächsten Tag. Irgendwie ist man dann ja immer überrascht. Obwohl ich nicht die Person war, die vorgeschlagen hat, Lines von einem Benjamin von Stuckrad-Barre Buch zu ziehen, bin ich die, die geghostet wird.

Ob es sich bei einem beendeten Nachrichtenaustausch schon um Ghosting handelt, definiert jeder für sich selbst. Für mich ist es dann Ghosting, wenn ich auf eine explizite Frage, mit welcher ich ein potentielles, nächstes Treffen anspreche, keine Antwort bekomme. Edition F beschreibt es als Schlussmachen, ohne Schluss zu machen: Eine Person bricht plötzlich den Kontakt mit jemandem ab, ohne Erklärung.

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Statt ihm nochmal zu schreiben, klammere ich mich an mein letztes Fünkchen Stolz. Dabei will ich ihm erzählen, dass ich mit sieben das letzte Mal ein Batik-Oberteil getragen habe. Oder dass ich nie Lowrise-Jeans hatte. Schließlich ist es doch eine Leistung, den wiederauftretenden Modesünden zu widerstehen. Na Lukas, findest du das nicht bewundernswert? Irgendwie bin ich einfach schon ein ziemlicher Fang. Dennoch schreibe ich nichts.

Eine Woche lang male ich mir aus, wie er irgendwann auf Instagram ein Video postet, in dem er und seine zukünftige Freundin, untermalt von einem Rihanna-Remix, Händchen haltend Longboard fahren. Ich bin erleichtert, dass ich nicht mit seiner schwitzigen Hand in meiner in den Sonnenuntergang rollen muss.

Jeder ghostet. Ich auch. Manchmal auch nicht mit Absicht. Oft mit Absicht. Aber warum muss man überhaupt ghosten? Man könnte sich doch einfach weiterhin treffen und das Ganze auf natürliche Weise zerfallen lassen: Sich regelmäßig mit einem Gin Tonic in der Hand gegenseitig Filmempfehlungen an den Kopf werfen, danach halbherzigen Sex auf der Wohnzimmercouch haben, irgendwann verliert man aus Versehen den Kontakt. Und wenn man dann die Instagram-Story der anderen Person anschaut, ist es beiden egal.

Monate nach dem letzten Kontakt will ich herausfinden, warum meine ehemaligen Dates mich nicht weiter treffen wollten, und schreibe sie an. Bei einem Drink will ich sie dazu bringen, ihre Kommunikationsscheu zu überwinden und mir zu erklären, warum sie mich damals geghostet haben.

Oliver, 34: “Ich hatte das Gefühl, dass du noch 10 andere Typen hast, die du fragen kannst.”

Als erste Nachricht schreibt Oliver mir auf Tinder. Die Namen habe ich für diesen Text natürlich alle verändert, um niemanden bloßzustellen. “Hi Anna, wollen wir mal n Bier trinken gehen? Wenn dir das zu schnell geht, könnte ich auch erstmal alleine n Bier trinken gehen und dir dann davon berichten”, schreibt er. Das finde ich lustig. Für unsere Date-Aktivitäten gibt er mir eine Auswahl: “Wollen wir morgen gemütlich in eine Bar gehen oder wollen wir uns lieber mit Batida de Coco besaufen und dann Autospiegel abtreten?”

Als Oliver und ich uns im August das erste Mal treffen, trägt er eine Friends-Mütze. Als wir uns das zweite Mal treffen, sage ich ihm, dass ich Friends hasse. Vielleicht würde ich mich auch ghosten. Oliver ist groß und bewegt sich so, als wüsste er nicht, was anfangen mit so viel Arm und Bein.


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Weil ich noch nicht lange in Berlin wohne, macht er mich mit Neuköllner Bars bekannt. Neun Stunden lang trinken wir uns durch die Kneipen meiner Nachbarschaft. Als ich Oliver frage, mit wem er am liebsten einmal Minigolf spielen würde, sagt er: “Mit Jesus oder mit einem T-Rex.” Das finde ich legitim. Um 6 Uhr morgens versucht er, 80er-Jahre-Rick-Astley-Dancemoves in der Berliner Clubszene zu verbreiten. Dabei trägt er seinen Teil zur schlechten Luftqualität in Neuköllner Bars bei und raucht Gauloises, wie es sich für Creatives gehört. Das konnte er gut. 80er-Tanzbewegungen. Und Gauloises rauchen. Und jegliche Unsicherheiten mit einer Pop-Kultur-Baseballkappe kaschieren.

An dem Abend, an dem Oliver mich ghostet, wären wir verabredet gewesen. Als ich eine Stunde davor nachfrage, bekomme ich keine Antwort. Ich sitze in der WG von Freunden, höre 2000er-Pop und suhle mich in Selbstmitleid. Wenn man geghostet wird, darf man Avril Lavigne hören und es voll ernst meinen. Nach ein paar Tagen “Complicated” habe ich den Verlust verarbeitet.

Fünf Monate später, aber noch vor Corona, treffen Oliver und ich uns für mein Experiment in der Bar, in der wir uns das erste Mal getroffen haben, und bestellen dasselbe wie damals. Seine Baseballkappe sitzt. Die Situation ist nicht unangenehm. Wahrscheinlich weil wir das Offensichtliche geschickt mit Smalltalk umgehen. Ich erzähle Oliver, warum ich Schoko-Mousse hasse, und wir diskutieren, warum alle Kandidaten in Dating-Shows immer “voll der Familienmensch” sind.

“Ich disse dich vielleicht ein bisschen in dem Artikel”, warne ich ihn. “Aber ich sage bestimmt auch Gutes.”

“Was schreibst du denn?”

“Vielleicht, dass du nicht in Flip-Flops laufen kannst.”

“Ach, das ist voll OK.”

“Das war ja auch das Gute.”

“Manchmal habe ich Tage, an denen ich einfach nicht rausgehen möchte, und irgendwie war das so ein Tag. Ich konnte dich an dem Tag nicht treffen. Und hättest du mir ein zweites Mal geschrieben, hätte ich geantwortet. Ich meine, du hast mir ja jetzt ein zweites Mal geschrieben und ich habe geantwortet. In 4 Minuten.” Es waren 19 Minuten. Egal.

“Willst du jetzt eigentlich sagen, dass du mich gar nicht geghostet hast?”

“Nee, das habe ich schon. Ich wusste ja auch, dass das irgendwie scheiße war in dem Moment.” Ich erinnere mich an die Woche danach. Ich habe meine Mutter in Italien besucht. Auf der Fähre habe ich fieberhaft meine Geheimnisse gezählt und mich dann geschämt, für jeden Moment, in dem ich zu sehr ich gewesen bin. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, ihn auf allen Plattformen zu blockieren, als würde ich so alles, was ich offenbart habe, zurücknehmen.

“Ich dachte eigentlich auch, dass es dir egal ist. Ich hatte das Gefühl, dass du noch zehn andere Typen hast, die du fragen kannst, wenn ich dir nicht antworte. Aber ich habe mich gefreut, dass du jetzt geschrieben hast.”

Ärgern tue ich mich nicht mehr.

Bevor wir uns verabschieden, sagt er zu mir: “Wenn du willst, können wir uns gerne nochmal treffen. Essengehen nächste Woche?”

Raffael, 31: “Das mit uns war … es war gut.”

Ich date Raffael im September. Zwischen unseren Treffen liegen meist zwei Wochen. Der Zeitraum, den ich brauche, um zu vergessen, dass er Dinge sagt wie: “Ich liebe Steel Magnolias. Klar, der Film objektiviert Frauen, aber egal.” Raffaels Humor besteht darin, Zigarettenpackungen mit 27 Zigaretten “family-sized” zu nennen. Er hat eine stabile Wohnsituation und eine labile Impulskontrolle, beziehungsweise eine Altbauwohnung in Friedrichshain und ein latentes Drogenproblem.

Raffael macht Irgendwas-mit-Blockchain, das Irgendwas-mit-Medien von Hetero-Männern zwischen 30 und 40. In seiner Freizeit schleppt er neue Pflanzen in seine Altbauwohnung und lässt alle sterben, spricht über Craft Beer und liket Bilder von Früchten auf Instagram, die aussehen wie Vulven (“Ich bin Feminist. Ich liebe Frauen!”).

Manchmal erzählt Raffael mir von seiner Angststörung. Wenn ihn seine Gedanken nachts wach halten, backt er in seinem Kopf Kekse. Er stellt sich vor, wie er in der Küche seines Elternhauses nach Zutaten sucht, die Butter verrührt, das Mehl abmisst. Das lenkt ab.

Raffael ghostet mich nach vier Dates, als ich ihn frage, ob wir uns nächste Woche die Ausstellung anschauen, auf die er sich so freut. Vielleicht bin ich darüber sogar ein bisschen traurig. Nach zwei Tagen ohne Antwort bin ich auf dem Weg nach Hause. Als “Lovers in the Parking Lot” von Solange auf Shuffle kommt, heule ich fast. Damit meine Mitbewohner nichts davon mitbekommen, nehme ich mir vor, später zu Hause unter der Dusche kurz zu heulen. Aber als ich unter dem Duschstrahl stehe, kommt mir das doof vor. Hier ist ja schon all das Wasser.

Raffael und ich wissen offenbar beide nicht, wie wir einander begegnen sollen. Unsere Umarmung ist umständlich. Als Raffael sich zurück auf den Stuhl fallen lässt, hat er sich anscheinend wieder gefasst. Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.

“Und, wie sieht’s aus mit den Boys? Läuft’s?”

Kurz mal die Lage abchecken, nicht, dass er meinen Drink dann umsonst bezahlt.

“Ich habe kein Tinder mehr.” Ich grinse.

“Gelöscht für einen Typen oder was?”

“Nein, wegen der Typen. Schreckliche Auswahl.”

“Aber verliebt bist du trotzdem, ne? Das sehe ich dir doch direkt an.”

“Du hast Recht. Ich dachte eigentlich, wir heiraten hier gleich.”

“Ich freue mich, dich wieder zu sehen”, sagt Raffael zu mir, und es ist kurz fast so vertraut, wie es vor ein paar Monaten mal war. Dann zerstöre ich den Moment: “Also dann erzähl mal. Warum hast du mich geghostet?”

Eine Hand und ein Smartphone und ein Bier

Falls es ihm unangenehm ist, weiß er es zu überspielen: “Das mit uns war …” Er kneift seine Augen zusammen, als müsste er sich erstmal daran erinnern. “Es war gut.” Ein Kommentar, den man über das Prime-Time-Fernsehprogrammen abgibt: Mit halb geschlossenen Augen liegt man auf der Couch, Chipsreste kleben an den Fingerkuppen, die Credits rollen über den Bildschirm. Ja, es war gut, aber eigentlich ist man froh, dass Tim Mälzer wieder die Fresse hält.

Dann rückt er mit der Wahrheit raus: “Ich glaube, es hat mich erschreckt. Ich habe ja noch eigene Baustellen. Da kann ich mich nicht noch auf eine andere Person konzentrieren.” Das in einer Nachricht anzusprechen, wäre auf jeden Fall zu viel verlangt. Ich frage mich, ob er immer noch Solange hört. “Ich dachte eigentlich sowieso, dass ich dir zu alt bin.”

Nach dieser Erklärung ist die Situation nicht mehr unangenehm. Auf Instagram scrollt er durch den Hashtag #plantsofinstagram und zeigt mir, welche Pflanzen er als Nächstes auf seinem Fensterbrett verdorren lassen möchte. Wir nippen an unseren Drinks und brauchen viel zu lange, um sie auszutrinken.

Draußen vor der Bar sage ich zu ihm: “Ich backe manchmal noch die Kekse.” Er schaut mich fragend an. Ich tippe mir gegen die Schläfe. “In meinem Kopf.” Er lacht: “Ich auch.”

Jan, 26: “Irgendwie habe ich vergessen zu antworten, weil es mir einfach nicht so wichtig war.”

Jan und ich treffen aufeinander, bevor ich überhaupt in Berlin wohne: im Berghain. Er trägt ein weißes T-Shirt, das zu sauber ist für diesen Ort. Wir lernen uns kennen, weil ich verwirrt und verschwitzt den Drang habe, jemanden zu umarmen. Es ist Sonntagabend und irgendwann gehen wir zusammen raus, um etwas zu essen. Wir schaffen es aber nur bis vor die Tür und knutschen dort rum. Über die kommenden Monate sehen Jan und ich uns manchmal, wenn ich gerade mal wieder in Berlin bin, um mich vom Wohnungsmarkt desillusionieren zu lassen. Viel weiß ich nicht über ihn.

Dass ich nichts über Jan weiß, könnte aber auch daran liegen, dass ich ihn als eine Projektionsfläche für meinen ersten Berliner Sommer sehe. Mein erster Sommer, in dem sich alles viel zu wichtig anfühlt und man aber nichts wirklich ernst meint. Das letzte Mal treffen wir uns nach meinem Umzug in meiner neuen Nachbarschaft. “Ach schau, das ist jetzt wohl eine dieser echten Berliner Kneipen”, sagt er und meint es ernst. Neukölln ist exotisch, aber nur wenn man in Mitte wohnt oder aus München kommt. Das letzte Mal schreibt er mir an einem Sonntagabend. Ich sehe die Nachricht erst kurz vor Mitternacht und sage ihm, dass ich während der nächsten Tage irgendwann Zeit habe. Wie es denn bei ihm aussieht? Keine Antwort.

Auf dem Weg zur Bar bin ich nervös. Vielleicht, weil ich bei ihm am meisten das Gefühl habe, ihn nicht zu kennen und nicht zu wissen, was mich erwartet. Jan bestellt sich eine Cola. Während ich versuche, mich vorsichtig anzutasten, will er keine Zeit verlieren. Ich erfahre, wie sehr er mit sich gerungen hat, bevor er mir für das Treffen heute zugesagt hat. Und dass seine Schwester ihm davon abgeraten hat. “Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass unser letztes Treffen merkwürdig war”, sagt er. “Mal konntest du nicht und dann konnte ich mal nicht. Und irgendwie habe ich dann vergessen zu antworten, weil es mir einfach nicht so wichtig war.” Sein Ton ist sachlich, ehrlich. Es ist nicht unangenehm, weil es ihm nicht unangenehm ist, mir die Wahrheit zu sagen.

“Klar, das verstehe ich”, sage ich und denke an die vielen ungeöffneten Chats in meinem WhatsApp.

Wir bleiben noch eine Weile sitzen. Jan erklärt mir, warum Menschen, die in einem Gespräch Fragen stellen und zuhören, interessanter wirken, und redet dann ganz lange.

“Wir haben uns ja nicht oft getroffen. Wir kennen uns eigentlich gar nicht wirklich”, stelle ich fest.

“Ja, du bist jetzt auch total anders. Du scheinst auch viel offener. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass das jetzt außerhalb des Dating-Kontexts ist oder ob dich Berlin verändert hat.”

Beides.

Wir reden jetzt. Vorher konnten wir das nicht. Ich bin überrascht, denn weh tut das alles nicht. Vor diesem Experiment war Ghosting etwas, das mich tagelang beschäftigt hat, wenn es passiert ist. Ich nahm an, etwas falsch gemacht zu haben. Doch in den meisten Fällen kannte ich die Menschen gar nicht gut genug, um meine Annahme zu begründen. Dating im digitalen Zeitalter: Ghosting gehört dazu und wird auch nicht aufhören. Einen richtigen Umgang mit Ghosting gibt es wahrscheinlich nicht. Vielleicht möchte ich einfach akzeptieren, dass keine Antwort auch eine Antwort ist.

Statt einen Ghoster zu konfrontieren, kann man sich auch einfach ein zufälliges Wiedersehen ausmalen. Wie man dem Ex-Date auf einer Dachterrassenparty von Freunden von Freunden von Freunden begegnet. Er kippt sich gerade aus Versehen sein Irish Red Ale aus einer unabhängigen Brauerei über das T-Shirt und man selbst hat einen Typen dabei, dem Craft Beer egal ist und der bis dahin noch nicht versucht hat, einen für seine selbstgeschriebene Lyrik zu begeistern.

Trotzdem, mein Gegenüber aus der emotionalen Reserve locken und mit einer zweiten Nachricht zur Rede stellen, ist OK. Und unter der Dusche heulen auch.

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