“Tut mir leid, die Diagnose ist klar: Ihr Sohn ist schwul, Frau Müller. Aber keine Angst, das können wir heilen.” So könnte ein Arztbesuch in Deutschland im Jahr 2017 aussehen. Denn es ist für Ärzte in der Bundesrepublik noch immer legal, Menschen eine “Heilung” ihrer Homosexualität zu versprechen. Dabei gilt die Veranlagung weltweit seit 25 Jahren nicht mehr als Krankheit, die Weltgesundheitsorganisation hat sie 1992 aus ihrem Diagnosekatalog gestrichen.
Kein Witz! Obwohl die Bundesregierung Konversionstherapien ablehnt, will sie diese weiterhin nicht verbieten. Das geht aus der Antwort auf eine Kleinen Anfrage der Grünen hervor. Es ist nicht das erste Mal, dass die Regierung sich weigert, solche Angebote zu verurteilen. Bereits 2013 hatte die Grünen Strafen für die Heilung von minderjährigen Homosexuellen gefordert – ohne Erfolg.
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Ärzte versuchen, Homosexualität mit verschiedenen Techniken zu behandeln, beispielsweise mit Psychotherapie oder Aversionstherapie. Bei letzterer werden unerwünschte Verhaltensweisen mit unangenehmen Reizen wie Elektroschocks gekoppelt.
In Deutschland unterstützen diese Therapie vor allem christliche Organisationen wie die Offensive Junger Christen und Wüstenstrom. Letztere glaubt, dass Homosexualität kein Teil der Persönlichkeit, sondern das Symptom eines tiefer liegenden Konflikts ist.
Wie kann es sein, dass solche Praktiken immer noch erlaubt sind? Obwohl die Bundesregierung sich klar gegen die Therapierung von Homosexualität positioniert, ist ein Verbot nach wie vor nicht geplant. “Regelungen der ärztlichen Berufsausübung fallen nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit der Länder. Diese haben es den Ärztekammern überlassen, entsprechende Berufsordnungen aufzustellen”, erklärt das Bundesministerium für Gesundheit auf Anfrage von VICE.
Für die Behandelten kann eine Therapie schwere Folgen haben, da es meist Minderjährige sind, die ihre Persönlichkeit noch nicht voll entwickelt haben. Hinzu kommt, dass Minderjährige oft nicht selbst entscheiden können, ob sie überhaupt therapiert werden wollen oder nicht, sondern die Familie Druck ausübt. Davor schützt sie der Staat nicht.
“Depressivität, Suizidgedanken und Ängste sind mögliche und nicht seltene Reaktionen auf Konversionstherapien”, sagt Fredi Lang, Psychologe beim Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. gegenüber VICE. Er erklärt die Haltung der Bundesregierung so: “Wenn sich Behandelnder und Behandler einvernehmlich darauf verständigen, gibt es wohl verfassungsgesetzlich keine Handhabe, das zu verbieten – ähnlich wie bei Geistheilung, Klangschalentherapie und anderen wissenschaftlich nicht gesicherten Ansätzen wie zum Beispiel auch Homöopathie.”
Noch viel absurder ist, dass die Krankenkassen für die Kosten von Konversionstherapien aufkommen! Ein Journalist der Zeit hat das in einem Selbstversuch herausgefunden, seine Krankenkasse bezahlte die Rechnungen. Die Ärzte hatten auf diesen einfach Überbegriffe wie “Behandlung einer psychischen Störung” oder “Erörterung einer lebensverändernden Erkrankung” aufgeschrieben. Letzteres wird normalerweise für Krankheiten wie Krebs verwendet.
Wir haben bei Markus Ulrich vom Lesben- und Schwulenverband nachgefragt, warum es die Behandlungen noch immer gibt und was sie so gefährlich macht.
VICE: Wie verbreitet sind Konversionstherapien in Deutschland?
Markus Ulrich: Von solchen Fällen hört man immer wieder, genaue Zahlen gibt es aber nicht. Was man grundsätzlich sagen kann, ist, dass diese Angebote oftmals einen religiös-fundamentalistischen Hintergrund haben und davon ausgehen, dass Homosexualität eine Sünde ist. Sie gehen auch davon aus, dass wir alle ein homosexuelles Potential in uns haben und für diese Sünde anfällig sind. Das macht ihnen Angst. Wenn wir nicht aufpassen, sind wir morgen alle schwul bzw. lesbisch und übermorgen dann ausgestorben.
Warum sind diese Behandlungen so gefährlich?
Dort wird Geld mit Homophobie gemacht. Die Therapien bestärken Depressionen, Schuld- und Schamgefühle bei Lesben und Schwulen, die mit ihrer Sexualität nicht klarkommen. Diese Therapien sind zum Scheitern verurteilt. Im Endeffekt werden Patienten und Patientinnen um Lebenszeit betrogen.
Weshalb bieten Ärzte diese Behandlung an?
Sie sagen von sich, dass sie nur denen helfen, die es wollen. Aber statt sie zu ermutigen, sich selbst anzunehmen und ein glückliches Leben zu führen, machen sie ihnen das dubiose wie unwissenschaftliche Versprechen, die unerwünschte Sexualität loswerden zu können. Andererseits hört man nie von heterosexuellen Menschen, die nicht heterosexuell sein wollen. Da sieht man, dass gesellschaftlichen Normen eine große Rolle spielen.
Wie sieht so eine Diagnose aus?
Sie sagen, dass etwas in der Kindheit falsch gelaufen sei, etwa sexuelle Gewalt oder aber eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung. Dass ich schwul geworden bin, würde also daran liegen, dass ich eine zu enge Beziehung zu meiner Mutter und ein gestörtes Verhältnis zu meinem Vater hatte. Deswegen fühle ich mich zu anderen Männern hingezogen, um zu kompensieren, dass ich die Liebe meines Vaters nicht bekommen habe. Doch das müsste dann ja auch für Heteros gelten, nicht? Dann müsste man auch sagen, dass eine heterosexuelle Frau ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Vater hatte und sich deswegen zu Männern hingezogen fühlt. Oder alle Söhne alleinerziehender Mütter werden dann schwul. Da sieht man, was für ein gefährlicher Blödsinn diese Theorien sind.