Als mir eine Freundin einen Artikel zum Thema “Indianer”-Kostüme in einer Hamburger Kita schickte, habe ich die erste Regel des Internets gebrochen: Ich habe die Kommentare gelesen. Dort verstand fast niemand, was das Problem mit den Kostümen ist. Eine Frau namens Eva schrieb sogar: “Bitte schicken Sie mir einen Indianer vorbei, der sich von einem Kind mit Indianerkostüm beleidigt fühlt. Ich wette, Sie finden keinen.”
Hi Eva! Ich bin Ty, ein O’ohe Nuŋpa Lakota vom Stamm der Cheyenne River Sioux. Und ja, ich fühle mich davon wirklich beleidigt.
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Dieses Jahr war mein erster Karneval im Rheinland. Letzten Herbst bin ich aus dem karnevallosen Osten Deutschlands nach NRW eingewandert. Ich wollte unheimliche gerne an Karneval teilnehmen. Ich habe mir vorgestellt, dass ich mit der Nachbarschaft schunkele und mit einem Krug voller Kölsch “Drink doch ene met” trällere. (Oder lieber: Alt. Da ich jetzt in Düsseldorf wohne, muss ich zumindest so tun, als wäre ich leidenschaftlich an der Kölsch-Alt-Debatte beteiligt.)
Aber statt zu schunkeln, trällern und zu trinken, wollte ich mich dann eigentlich nur noch einbunkern, bis der Zoch vorbeigefahren ist. Der Grund dafür: “Indianer”-Kostüme.
Tut mir leid, aber “die Indianer” gibt es überhaupt nicht
Warum die Anführungszeichen? Weil es den Begriff nicht gibt. Weil über 500 indigene Stämme allein in den USA existieren. Und weil alle über 500 indigene Stämme sich in etwa so sehr ähneln wie die Deutschen den Russen. Gleiche Hautfarbe – und da hört es dann schon auf. Doch obwohl alle über 500 Stämme sich in so ziemlich allem unterscheiden – Sprache, Region, Kultur – haben Sie doch eine Gemeinsamkeit: die Erfahrung mit Rassismus. Rassismus, der sich in nichts so schön widerspiegelt wie in Karnevalskostümen.
Ich könnte hier die Probleme solcher Kostüme auflisten: Kolonialismus, kulturelle Aneignung und natürlich Rassismus – alles Vorwürfe, die in manchen Kreisen schneller unter den Tisch gekehrt werden als die Krümel vom Sonntagskaffee. Da machst du nur den Mund auf, und schon ist die Stimmung im Eimer. Rassismus ist salonfähig – darüber zu reden nicht. Aktivisten und Akademiker (Leute, die deutlich klüger sind als ich) haben sich schon dazu geäußert. Ich bin weder das eine noch das andere. Ich bin ein Migrant, dem man es verdammt schwer macht, sich zu Karneval im Rheinland zu integrieren.
Ich komme ursprünglich aus South Dakota (Mitte USA, knapp unter Kanada, das mit den Präsidentenköpfen). Wegen der Liebe und des Masterstudiums bin ich 2012 nach Deutschland gekommen.
Als O’ohe Nuŋpa Lakota gehöre ich zu einem der Stämme aus der nördlichen Prärie, die traditionell Wildleder und Federn tragen und getragen haben. Dank Winnetou und Yakari diene ich also als wandelndes Stereotyp aller über 500 Stämme. Dabei besitze ich nur fünf Adlerfedern. Jede einzelne habe ich bekommen, weil ich sie verdient habe. Leute aus meiner Gemeinschaft haben fünf Mal entschieden, dass ich solch einer Ehrung würdig bin.
Die Federn bewahre ich gut auf und würde sie nie auf einer Party anziehen. Wenn ich so weitermache wie bisher, werde ich in meinem Leben wahrscheinlich trotzdem nie genug Federn verdienen um einen Headdress (Kopfschmuck) tragen zu können. Aber genau das machen die Rheinländer mit künstlichen Federn, ohne den religiösen und kulturellen Hintergrund zu verstehen. Für sie ist das ein lustiger Gag, wenn sie sich “verkleiden”. Ich lache nicht. Es tut mir weh.
Ich kann mein Kostüm nicht ausziehen
In der fünften Klasse, noch in den USA, bin ich für ein Jahr zu einer Schule mit überwiegend weißen Kindern gegangen. Damals trug ich meine Haare lang. Ich wurde von Schulkindern und deren Eltern gemobbt. Mir wurden rassistische Schimpfwörter zugeworfen, als ob es kein Morgen gäbe (“dummer Indianer”, “dreckiger Indianer” – es fällt weißen Leuten scheinbar schwer, kreative Schimpfwörter für jemanden wie mich zu finden …). Ich habe meine Eltern gebeten, mir die Haare abzuschneiden. Am liebsten hätte ich meine Hautfarbe gleich mit geändert. Aber ich konnte mein Kostüm nicht ausziehen. Ich musste mit der Diskriminierung leben. Als ich mit der High School fertig war und noch bevor ich zur Uni ging, habe ich mir dann meine Haare abgeschnitten. Gebracht hat es nichts, ich wurde immer noch als stupid fucking Indian bezeichnet.
Der Rheinländer zieht nach einem Tag voller Schunkeln und Singen und Trinken sein Kostüm aus. Meins kann ich nicht ausziehen. Aber es ist ja alles nur ein Witz. Ich lache nicht. Mir tut das weh.
Ich denke an meine Vorfahren, und wie es für sie verboten war, sich traditionell zu kleiden: keine Federn, kein Leder, keine langen Haare. Bis in die 70er Jahre wurden Kinder aus ihren Familien gerissen und in Internate gesteckt, wo sie lernen mussten, weiß und nicht indigen zu sein, weil Indigensein falsch war, weil ihre Kultur, weil ihre Muttersprache falsch war. “Tötet den Indianer und rettet den Mann in jedem Kind”, so hieß die Parole der amerikanischen Regierung. Erst 1978, mit dem American Indian Religious Freedom Act, war es erlaubt, die traditionelle Religion und Kultur auszuüben. Der Rheinländer durfte sich also zu einer Zeit als “Indianer” verkleiden, als das meinen Vorfahren noch verboten war. Aber es ist alles ein Witz. Wir lachen nicht. Uns tut das weh.
Ich mag das rheinländische Gefühl. Dass man jemandem ein Bier ausgibt, wenn er kein Geld hat. Und dass es okay ist, dass jeder Jeck anders ist. Und ich möchte auch ein Teil davon sein. Ich will auch nach einem Tag voller Schunkeln und Singen nach Hause kommen und mein Kostüm ausziehen. Bloß kann ich das nicht. Und solange der Karneval “Indianer”-Kostüme akzeptiert, weiß ich, dass er mich nicht akzeptiert. Aber es ist doch alles nur lustig gemeint. Aber ich lache nicht, wenn ich mich mit meinen Katzen einbunkere und warte, bis der Veedel-Zooch endlich abgedampft ist. Mir tut das weh.
Update, 29.08.2022, 12:09 Uhr: Der Autor würde das Wort “Ir” heute nicht mehr ausschreiben. Zusätzlich zu seiner Einordnung in diesem Text, dass der Begriff historisch ungenau und problematisch ist und dazu dient, über 500 einzelne Nationen und Communities auf ein schädliches Stereotyp zu reduzieren, weist er an dieser Stelle darauf hin, dass es Indigene Menschen in Deutschland gibt, die dieses Wort nur im Zusammenhang mit Scham und hasserfüllter Rede kennen. Die Verwendung ausgrenzender, kolonialer und rassistischer Begriffe durch nicht Betroffene unterstützt er nicht.
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