Herzlichen Glückwunsch, du hast es bis in die 20er geschafft. Die 20er sind und werden wahrscheinlich ganz anders, als du dir vorgestellt hast. Eine aufstrebende Indie-Filmemacherin, die in einem geräumigen Loft mit gigantischen Fenstern lebt, fein säuberlich beschriftete Gewürzgläser im Küchenregal? Gut, das war vielleicht etwas zu ambitioniert. Aber wenigstens ein weichgekochtes Frühstücksei solltest du in diesem Alter doch meistern, oder? Oder?
Aber so läuft das Leben nun mal nicht. Mit einem Bachelor in Kunstgeschichte willst du in der Kulturszene einer überlaufenen Großstadt Fuß fassen, nur um festzustellen, dass man hier kein Geld verdient. Also lebst du die nächsten drei Jahre in einer verschimmelten Vierer-WG mit bescheidener Verkehrsanbindung. Du trägst immer noch den Nasenring, den du dir mit 17 stechen lassen hast, und gibst mehr Geld für Drogen aus, als gut für dich wäre.
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Keine Panik. Die 20er sind Lehrjahre und nicht selten schmerzhaft. Es ist die Zeit, die dich für dein Leben definieren wird. Du wirst durch Höhen und Tiefen gehen, aber am Ende gehst du aus diesem aufregenden Lebensabschnitt als selbstsicherer, geerdeter und selbstbewusster Mensch hervor – hat man uns jedenfalls erzählt. Hier ist jede größere und kleinere Lebenskrise, die du in deinen 20ern durchlaufen wirst, vorzugsweise um 2 Uhr morgens.
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Wann werde ich erwachsen?
Wenn du dir alte Fotos von deinen Eltern in Adidas-Pullovern anschaust, die genauso aussehen wie die Fotos von deinen Freunden, die du letztes Wochenende mit der Einwegkamera gemacht hast, dämmert dir plötzlich: Meine Eltern waren in diesem Alter, als sie sich kennengelernt haben, die Uni abgeschlossen, mich bekommen und ein Haus gekauft haben. Ich bin meilenweit davon entfernt. Was erwartet mich jetzt? Soll ich einfach darauf vertrauen, dass ich das alles mit 29 erreicht haben werde wie die ganzen Influencer?
Gesundheit vs LEBEN
Meine Haut wird strahlen und mein Hirn laufen wie eine gut geölte Maschine, denkst du dir und lächelst zufrieden. Es ist Freitagabend und du gönnst dir eine Schüssel Taboulé. Gleich willst du bei YouTube noch eine Runde “Yoga with Adriene” machen. Stattdessen schaust du dir Insta-Stories an und merkst: Alle außer dir sind unterwegs, hängen mit attraktiven Menschen in Bars und WG-Küchen ab. Sie lachen, leben und lieben sich durch ihre 20er, während du alles mit trockenem Eiweißknäcke vollbröselst. Ist das wirklich das Leben, das du dir immer gewünscht hast?
Was bin ich?
Dir wird plötzlich klar, dass du dir dein Studienfach wahllos auf der Grundlage vorpubertären Lobs ausgewählt hast. Obendrein verspürst du das Bedürfnis, dich von gesellschaftlichen Erwartungen und kapitalistischer Konditionierung zu entkoppeln. Was würdest du tun, wenn du die freie Wahl hättest? Aber scheiße, es ist alles schon zu spät. Außerdem: Ist nicht jeder Job am Ende einfach nur E-Mails schreiben? Als aufgeschlossenes Wesen in Zeiten der Portfolio-Karriere darfst du damit rechnen, diese Sinnkrise einmal im Jahr zu erleben, für den Rest deines Lebens.
Das Auslandsjahr
In der Schule hast du dich noch über die Schnöselkinder lustig gemacht, die zwecks Lebenslauf-Aufhübschung ein paar Monate nach Afrika oder Südamerika wollten. Jetzt googelst du selbst, bis wann du noch ein FSJ machen kannst.
Unser Planet stirbt
Die Krise, die alle anderen Krisen in den Schatten stellt. Wenn du davon überzeugt bist, dass in Niedersachsen in wenigen Jahren Mad Max-Zustände herrschen werden, erscheinen dir Karriere, Sex und Insta-Follower eher nebensächlich. Fast schon wieder beruhigend. Irgendwie.
Werde ich jemals nicht in einer WG leben?
Wenn du zum neunten Mal in sieben Jahren in derselben Stadt umziehst, kommen dir Fragen in den Sinn: Soll ich vielleicht einfach mit meinem neuen Freund zusammenziehen? Wir sind zwar erst drei Monate zusammen, aber dann könnten wir die Miete teilen. Soll ich an den äußersten Stadtrand ziehen? Keine Sorge, bald ist der Mietspiegel eh so hoch, dass du dir eine ganz andere Stadt suchen musst.
Mag ich meine Freunde überhaupt?
Als Teenager bestanden Freundschaften darin, sich im Park zu besaufen, die Hausaufgaben beieinander abzuschreiben und gemeinsam zu überlegen, wer in wen verknallt ist. Mit 25 bestehen Freundschaften darin, sich in WhatsApp-Gruppen zu beteiligen, sich zum Brunch zu verabreden und 200 Euro für Airbnbs in Lissabon zu überweisen, obwohl du dich nicht erinnern kannst, jemals zugesagt zu haben. Du kannst einfach so weitermachen, de facto tote Beziehungen pflegen, die es nur gibt, weil ihr mal zusammen im selben Klassenzimmer gesessen habt. Oder du kannst dir Leute suchen, die du wirklich magst.
Habe ich genug Sex?
Meine Titten werden nie wieder so schön aussehen, denkst du dir, während du langsam deinen nackten Körper vor dem Spiegel rotierst. Du hüpfst ein bisschen rum, um Festigkeit und Sitz zu kontrollieren. Aber wir alle kennen das Gedankenspiel: Wenn ein Baum im Wald umfällt und niemand ist da, um es zu hören, macht er überhaupt ein Geräusch? Nachbemerkung: Das mit dem Sex wird auch der Grund für mindestens eine deiner Trennungen sein – und das ist gut so, die Antwort auf die Eingangsfrage ist nämlich: nein.
Die Sache mit den Regalen
An welchem Punkt im Leben wird man von einer Person, die noch nie in ihrem Leben über Regale nachgedacht hat, zu einer Person, die extra ein Werkzeugset zum Anbringen von Regalen hat? Niemand weiß es, noch nicht mal dein Vater, der behauptet, sich selbst mit sechs beigebracht zu haben, wie man Regalbretter anbringt.
“Die eine große Liebe” gibt es nicht
Im Internet und anderen Unfugpublikationen hast du gelesen, dass jeder drei große Lieben hat. Und die dritte soll statistisch “die eine” sein. Aber du bist jetzt 25 und hast wie viele gehabt? Sieben? Acht, wenn du die Frau mitzählst, mit der du letztens auf der Rückbank vom Sammeltaxi rumgemacht hast. Neun, wenn du deine aktuelle Geschichte berücksichtigst. Also entweder ist die Formel im Arsch oder du bist es.
Plötzlich wird dir klar, was du all die Jahre nicht gecheckt hast: Die Ehe ist eine Farce und Monogamie ein überholtes Ideal. Wir alle sind nichts weiter als Sterbliche, die die Fehler unserer Eltern ausleben.
Ich bin nicht so genügsam wie Menschen, die aufs Land ziehen, 2,4 Kinder bekommen und sich nicht für Nachrichten interessieren
Entweder gehörst du zu ihnen oder du tust es nicht. Du hast etwa fünf bis acht Jahre, dich zu entscheiden. Wähle weise.
Habe ich meine besten Zeiten schon hinter mir?
Ich habe noch viele Jahre, um meine Träume umzusetzen, denkst du dir, während du im Schlafanzug abhängst und dir irgendwelche Netflix-Knast-Dokus anschaust – mal wieder. Aber dann dämmert dir, dass du schon viele zu alt für eine Modelkarriere bist. Und du weißt immer noch nicht, was TikTok ist.
Man kann nicht alles haben
Du hast so viel Zeit darauf verwendet, in den verschiedensten Lebensbereichen erfolgreich zu sein. Dann plötzlich geht dir ein Licht auf und ein depressiver Schub erfasst dich: Du wirst nie beruflich erfolgreich sein und gleichzeitig ein schönes Zuhause, einen Modelkörper UND eine glückliche Beziehung haben. Nie-mals.