Das Thema K.O.-Tropfen bewegt sich stets irgendwo zwischen Panikmache und der beruhigenden Annahme, dass sowas im eigenen Umfeld ohnehin nie passieren würde. Fast könnte man sagen, dass K.O.-Tropfen so etwas wie ein urbaner Mythos sind: Vielen haben zumindest ein bisschen Angst davor, aber weil noch nie jemandem, den man kennt, K.O.-Tropfen ins Getränk gemischt wurden, hat man dann doch nicht genug Angst davor, um ernsthafte Konsequenzen für die eigene Lebensrealität zu ziehen.
Ich für meinen Teil lasse oft, wenn ich mit Freunden unterwegs bin, mein Glas unbeaufsichtigt neben der Tanzfläche stehen oder mich von Menschen auf ein Getränk einladen, obwohl ich sie nur flüchtig bis gar nicht kenne. Gedanken über mögliche Gefahren mache ich mir dabei nur selten—dabei gab es im Jahr 2015 doppelt so viele Anzeigen wegen K.O.-Tropfen wie im Jahr 2014. Nach Einflößen der Tropfen kommt es meist zu einem Diebstahl oder einer Vergewaltigung des Opfers. Sowohl Männer als auch Frauen können Opfer von K.O.-Tropfen werden.
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Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man, sobald man ein paar Spritzer getrunken hat, fahrlässig wird. Man schaut nicht auf sein Glas und trinkt von den Getränken anderer, ohne nachzudenken.
Dieser Artikel soll keine Anleitung zur Paranoia sein. Er soll euch nicht denken lassen, dass jeder, der euch auf ein Getränk einladen will, kriminell ist und euch etwas Böses will. Aber er soll ein Stück weit dazu beitragen, allgemeines Bewusstsein dafür zu schaffen, dass K.O.-Tropfen existieren und dass schlimme Dinge leider nicht immer nur den anderen passieren. Darum müssen wir auf uns und aufeinander aufpassen.
Was sind K.O.-Tropfen?
Auf Wikipedia findet man unter dem Schlagwort „K.O.-Tropfen” folgende Begriffserklärung: “Als K.-O.-Tropfen (auch: K.-O.-Mittel, Knockout-Tropfen, Date-Rape-Drogen, Vergewaltigungsdrogen) werden narkotisierend wirkende Stoffe bezeichnet, die im Rahmen von Straftaten wie Sexual- oder Eigentumsdelikten genutzt werden, um die Opfer zu betäuben und damit wehrlos zu machen.”
Prinzipiell gibt es über 100 Stoffe, die als K.O.-Tropfen verwendet werden können. Laut der taz ist das Problem “die Heimlichkeit, der Übergriff und der Vergewaltiger—und nicht der Stoff”. Auch das absichtliche Abfüllen von Personen, die ihren Zustand nicht mehr richtig einschätzen, könnte theoretisch als Einflößen von K.O.-Tropfen bezeichnet werden—wobei man hier vorsichtig sein muss, denn die Grenzen sind wohl fließend.
Man könnte einerseits argumentieren, dass jemand, der abgefüllt wird, immer noch aktiv eine Handlung setzt, nämlich das Trinken—auch wenn man de facto schon längst zu betrunken ist, um die Situation noch einschätzen oder rechtzeitig aufhören zu können. Wird einem ohne das eigene Wissen eine Substanz eingeflößt, hat man jedoch in keiner Weise eine Chance, sich dagegen zu wehren. Was am Ende übrig bleibt, ist in beiden Fällen relativ ähnlich: Durch die Anwendung von K.O.-Tropfen soll ein Opfer außer Gefecht gesetzt und wehrlos gemacht werden.
Wie viele Fälle gibt es in Österreich?
Laut einer parlamentarischen Anfrage zum Thema “Verwendung von K.O.-Tropfen” kam es im Jahr 2015 zu 113 Straftaten, für die Betäubungsmittel verwendet wurden. Im Jahr 2014 waren es zum Vergleich 63. Von den 113 Fällen kam es nach Anwendung der Betäubungsmittel in 53 Fällen zu einem Raub, in 4 zu schwerem Raub, in 54 zu einer Vergewaltigung und in 2 Fällen zu geschlechtlicher Nötigung. Im Jahr 2015 waren 73 der 119 Opfer weiblich, 14 davon minderjährig.
Bei vielen Fällen werden keine K.O.-Tropfen benutzt—es wird dies lediglich von den Opfern angenommen. Es ist meist auf eine sehr starke Alkoholisierung der Opfer zurückzuführen.
Ursula Kussyk vom gemeinnützigen Verein Notruf. Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen erzählt im Gespräch mit VICE, dass ihr Verein derartige Fälle, bei denen K.O.-Tropfen im Spiel waren, in der Statistik nicht extra zählen würde: “Generell kann man nur schwer sagen, wie viele Fälle es tatsächlich gibt. Wir hatten auch schon Fälle, wo eine starke Alkoholisierung vorhanden war und aufgrund dessen konnte sich die Frau dann nicht mehr zur Wehr setzen. Diese Frau wurde abgefüllt, hat das Ganze aber gar nicht so wahrgenommen, weil es sich über einen längeren Zeitraum hingezogen hat.”
Derartige Fälle kennt auch Vincenz Kriegs-Au vom Bundeskriminalamt, wie er im Gespräch mit VICE erzählt: “Anzumerken ist, dass die Erfahrung gezeigt hat, dass bei vielen Fällen keine K.O.-Tropfen benutzt worden sind und dies lediglich von den Opfern angenommen wird. Dies ist meist auf eine sehr starke Alkoholisierung der Opfer zurückzuführen.”
Welche Substanzen sind in K.O.-Tropfen und wie wirken sie?
Laut Karl Kociper, dem Leiter der Drogenberatungsstelle checkit!, wird vermutlich meist GHB oder GBL als K.O.-Tropfen verwendet. Zur Wirkung der Substanzen erklärt er auf Nachfrage von VICE: “Diese Substanzen werden nicht ausschließlich als KO-Tropfen eingesetzt, sondern manche Menschen konsumieren GHB als Partydroge. In niedrigen Dosierungen wirkt die Substanz alkoholähnlich. Je höher dosiert wird, desto dämpfender wirkt es—und es kann zu einem plötzlichen narkotischen Schlaf, aus dem die Person kaum zu wecken ist, oder Bewusstlosigkeit kommen. An Geschehnisse während der akuten Wirkung können sich die Opfer oder Konsumenten nicht mehr oder nur schleierhaft erinnern.” Aber auch Benzodiazepine können beispielsweise als K.O.-Tropfen verwendet werden. Werden GHB oder GBL als K.O.-Tropfen verwendet, setzt die Wirkung laut Kociper in der Regel rasch und intensiv ein—vor allem in Kombination mit Alkohol: “Diese Kombination kann lebensbedrohlich sein und im schlimmsten Fall zu einem Atemstillstand führen.”
Ursula Kussyk erzählt auf Nachfrage von VICE, dass es sich jedoch nicht immer um “klassische” K.O.-Tropfen handeln muss: “Wir hatten zum Beispiel auch schon Fälle, wo Koks ins Cola getan wurde oder schwere Psychopharmaka und Herzmedikamente verwendet wurden.”
Wie kann man verhindern, dass man Opfer von K.O.-Tropfen wird?
Laut einer Informationsbroschüre, die von der Kriminalprävention der Polizei gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Frauen herausgegeben wurde, gibt es einige Ratschläge, die Frauen beachten sollten, um sich zu schützen. Laut der Broschüre solle man sein Getränk nicht unbeaufsichtigt lassen, keine Getränke von Leuten annehmen, die man nicht kennt und mit Freundinnen kommen und mit Freundinnen gehen. Laut der Webseite der Notruf.Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen solle man sich außerdem nach Möglichkeit kleine Getränke kaufen, die man vor dem Tanzen austrinken kann und mit Freunden und Freundinnen vereinbaren, aufeinander aufzupassen.
Aber nicht immer ist man achtsam, denn K.O.-Tropfen sind keine Gefahr, die man ständig vor Augen hat. Vor allem wenn man selbst schon ein paar Getränke intus hat, nimmt man oftmals leichtfertig Getränke von mehr oder auch weniger fremden Personen an, ohne weiter darüber nachzudenken. Ursula Kussyk fasst die Problematik im Gespräch gut zusammen: “Ich denke, dass es hier ist wie bei vielen Dingen, vor denen gewarnt wird: Viele Frauen denken, dass ihnen sowas nicht passiert und immer nur die anderen trifft. Dann will man sich die Mühe nicht antun, beim Weggehen immer darauf zu achten. Die wollen beim Fortgehen entspannen und Spaß haben, was ja auch nur verständlich und menschlich ist.”
Was soll man tun, wenn man denkt, jemand hätte einem K.O.-Tropfen verabreicht?
Aus der Informationsbroschüre der Polizei geht ebenfalls hervor, dass man schnell reagieren soll, wenn man merkt, dass einem Tropfen verabreicht worden sein könnten: Laut der Broschüre solle man sich an Freundinnen oder Personal wenden, die Rettung rufen, Blut- und Harnproben abnehmen lassen. Das Problem hieran ist nur, dass man meist nicht merkt, wenn einem ein Betäubungsmittel verabreicht wurde. Da die Substanzen, die verwendet werden, meist geruch- und farblos sind und ihr seifiger und ein wenig bitterer Geschmack vor allem in Mischgetränken meist unbemerkt bleibt, ist es für Betroffene besonders schwierig, die Gefahr frühzeitig zu erkennen und einzuschätzen.
Ratsam wäre es auch, sich so bald als möglich an die Polizei oder einen Notruf für Frauen zu wenden. Dort wird man in allen Belangen unterstützt, wie Ursula Kussyk erklärt: “Wenn sich eine Frau bei uns meldet, klären wir zuerst am Telefon ab, worum es ihr geht. Wir bieten ihr an, vorbeizukommen und schauen uns in einem persönlichen Gespräch an, was sie braucht und will. Eine Möglichkeit ist dann, eine Anzeige zu machen. Wenn sie das will, erklären wir ihr, was da auf sie zukommt und bieten kostenlose psychosoziale und juristische Prozessbegleitung an. Wir begleiten sie zu Terminen, beraten sie und schauen, wie es ihr geht. Und sie bekommt kostenlos eine Rechtsanwältin, die ihre Opferrechte vertritt.”
Wie lange sind K.O.-Tropfen nachweisbar?
In England wurde eine Studie durchgeführt, der zufolge lediglich in 10 von 120 untersuchten Fällen nachgewiesen werden konnte, dass K.O.-Tropfen im Spiel waren. 99,2 Prozent der Befragten hatten lediglich viel Alkohol getrunken. Daraufhin stempelte das British Journal of Criminology K.O.-Tropfen sogar als urbanen Mythos ab. Im Rahmen einer weiteren britischen Studie konnten in 21 von 1014 Fällen entsprechende Substanzen nachgewiesen werden. Das kann zwei Gründe haben: Dem Übergriff ging massiver Alkoholkonsum voraus und die Opfer wurden mit Alkohol “abgefüllt”, oder die K.O.-Tropfen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits nicht mehr im Körper.
Vor allem prominente Fälle wie der von Gina-Lisa Lohfink oder dem Rapper Freddie Gibbs, der unter Verdacht stand, nach seiner Show in der Grellen Forelle einem Mädchen K.O.-Tropfen verabreicht und sie anschließend sexuell missbraucht zu haben, machen bewusst, wie wichtig es ist, dass Frauen, die einen derartigen Verdacht hegen, schnell handeln, denn viele Substanzen, die als K.O.-Tropfen verwendet werden, sind nur sehr kurz nachweisbar. Laut dem Bildungsministerium sind K.O.-Tropfen maximal 12 Stunden im Urin und 6 Stunden im Blut nachweisbar, wie auch Kociper von checkit! bestätigt: “Wenn jemand die Befürchtung hat, dass ihm so etwas passiert ist, empfehlen wir, bei der nächsten Gelegenheit eine Urinprobe aufzubehalten, weil diese Substanzen nur sehr kurz nachweisbar sind. Nach zirka 12 Stunden kann es schon zu spät sein.”
Auch laut Vincenz Kriegs-Au vom Bundeskriminalamtes kann es einen Tag nach dem Verdacht schon zu spät sein: “Falls das Opfer erst nach einigen Tagen zur Polizei geht, auf jeden Fall Blut und Harn abgenommen. Meist wird hier jedoch kein Betäubungsmittel mehr nachweisbar sein. Zusätzlich ist auch noch eine Haaranalyse möglich. Dies wird in Fällen, in denen zu viel Zeit zwischen Tat und Anzeigenlegung verstrichen ist und somit kein Nachweis eines Mittels mehr möglich ist, angewendet. Dabei wird einige Wochen nach der Tat ein Haarbüschel entnommen und auf Betäubungsmittel untersucht. “
Kann man K.O.-Tropfen erkennen, bevor sie wirken?
Laut Bildungsministerium gibt es mehrere Anzeichen für eine Vergiftung durch K.O.-Tropfen:
Plötzlicher Schwindel und Übelkeit, Wahrnehmungsschwierigkeiten, ein Gefühl, wie in Watte gepackt, Willenlosigkeit, eingeschränkte Beweglichkeit bis hin zur Regungslosigkeit und Erinnerungslücken bis hin zur Amnesie. “Um derartige Anzeichen jedoch in einem meist schon gegebenen Rauschzustand zu erkennen, bedarf es erhöhtem Bewusstsein für das Problem”, heißt es weiter.
Hier findest du weitere Infos und Ansprechpersonen:
Kostenlose Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555
Beratung für vergewaltigte Frauen und Mädchen: 01 523 22 22