Ein Interview mit einem Mädchen aus der Mühl-Kommune

An einem verregneten Sonntag im Frühling dieses Jahres, als man noch gar nicht glauben konnte, dass es jemals wieder zu heiß werden würde, bin ich ziemlich desillusioniert aus dem Gartenbaukino gekommen. Ich habe mir „Meine keine Familie“ von Paul-Julien Robert angeschaut, von dem ich auch nach dem Verlassen des Kinos noch überzeugt war, dass er „Meine kLeine Familie“ heißt, weil ich als Teil einer immer ironischen Generation der Ansicht war, das „klein“ sei eine Anspielung auf die wohl größte Familie, die Österreich jemals beherbergt hat.

Die Rede ist von der AA-Kommune, die Anfang der 70er Jahre zuerst eine Wohnung in der Wiener Praterstraße und dann den berühmt-berüchtigten Friedrichshof bewohnte. Deren Gründer, der Künstler Otto Mühl, vermischte die ziemlich gute Idee, dem Nazi-Establishment den Mittelfinger zu zeigen mit der gut gemeinten Idee der Absage an Privatbesitz, Aufbruch arrivierter Familienideale und freier Liebe um wieder einmal den Versuch zu starten, eine Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Leider hat sich im Laufe der Jahre jedoch herausgestellt, dass Mühl eher einem diktatorischen Sektenführer ähnelt, der seine Kommune wie eine südkoreanische Firma leitet und gleichzeitig mit fast all seinen, teils auch minderjährigen Mitarbeiterinnen schläft, als einem Erneuerer unserer Gesellschaft.

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Anfang der 90er wurde Otto Mühl wegen Kindesmissbrauch und Drogendelikten zu sieben Jahren Haft verurteilt. Aber nach dem Gefängnis machte er genau dort weiter, wo er 91 aufgehört hatte: Er gründete wieder eine Kommune, dieses Mal in Portugal, wo er bis zu seinem Tod am 26. Mai 2013 auch lebte.

Schon vor seiner Tätigkeit als Kommunen-König, der die Menschen von ihren Zwängen befreien wollte, war Mühl künstlerisch tätig. Als Teil der Wiener Aktionisten hat Otto Mühl in den 60er Jahren allerlei Schweinskram aufgeführt und am laufenden Band Skandale provoziert. Gottfried Helnwein hat unlängst im VICE Interview vom „wilden, anarchistischen Wien“ und der „Sehnsucht nach Ekstase und Rundumschlag“ gesprochen. Diese enge Welt dürfte sowohl für Mühl selbst der Grund gewesen sein, die Kommune ins Leben zu rufen, als auch für seine Anhänger, ihre Familien zu verlassen und ihm zu folgen. Für uns ist eine Gesellschaft, in der viele Machtpositionen immer noch von Nazis besetzt sind, kaum vorstellbar. Selbst als 2000 die Blau-Schwarze-Wenderegierung an die Macht gekommen ist, war der Protest dagegen in weiten Teilen der Gesellschaft Konsens. Die meisten unserer Eltern wissen, wie es riecht, wenn jemand einen Joint raucht und wenn sich jemand beschwert, dann darüber, dass unsere Haare zu kurz und brav sind.

Utopien haben für uns mittlerweile einen recht üblen Beigeschmack, und immer wenn mir jemand erzählen will, dass er einen Weg gefunden hätte, unsere Welt substantiell besser zu machen, kann man darauf nur antworten, dass man schon Mitgliedsbeitrag zahlt. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum mich Otto Mühl und sein alternativer Lebensentwurf so sehr interessiert. Also hab ich mich mit Hatschepsut Huss unterhalten, die zum einen eine ziemlich begabte Künstlerin und somit vom Fach ist (falls ihr euch davon überzeugen wollt, habt ihr bis zum 20. September im Magazin am Getreidemarkt Nummer 11 die Gelegenheit dazu) und zum anderen ihre Kindheit am Friedrichshof verbracht hat.

VICE: Als ich dich vor sechs oder sieben Jahren in der Videothek kennengelernt habe, dachte ich immer, du hättest dir einen coolen Künstlernamen einfallen lassen. Wobei, eigentlich warst du immer nur die Feministinnen-Frau …
Hatschepsut Huss
: Und du der Videothekarsjunge!

Aber Hatschepsut ist dein tatsächlicher Name, oder?
Ja, in der Kommune gab es verschiedene Generationen und jede Altersgruppe hatte ein ganz eigene Art von Namen. Wir waren die Atlanten und hatten alle ziemlich ausgefallene Namen. In meiner Generation gab es neben mir als Hatschepsut noch Venus, Echnaton, Odysseus, Kalypso, Nofretete und so weiter.

Also hatte Mühl damals eine Vorliebe für ägyptische Götter, aber offensichtlich nicht nur.
Es war fast alles dabei. Aber unsere Generation hatte echt die verrücktesten Namen. Das ist ziemlich lustig, wenn man mit Leuten aus der Kommune unterwegs ist und es fragt jemand, wie wir heißen, dann glauben immer alle, wir wollen sie verarschen. Aber das sind halt wirklich unsere Namen.

Wenn du von deiner Generation redest, dann sind das recht junge Leute. Das heißt, ihr habt die Kommune nur als kleine Kinder erlebt.
Ich bin 1986 geboren und meine Schwester kam 1990 auf die Welt. Das war kurz bevor Otto Mühl verurteilt wurde und ins Gefängnis musste.

Wie viele Geschwister hast du eigentlich?
Von meiner Mutter aus habe ich einen Bruder und eine Schwester, aber wir haben alle einen anderen Vater. Und von meinem Vater aus hab ich in München noch eine Schwester, aber die habe ich bis jetzt nur einmal gesehen.

Diese Schwester väterlicherseits ist auch aus der Kommune?
Sie wurde dort gezeugt. Aber es war ja freie Sexualität und deshalb wusste man bei fast keinem der Kinder genau, wer eigentlich der Vater ist. Später wurden viele Vaterschaftstests gemacht um das herauszufinden.
Nach der Kommune machte es den Eindruck, viele ehemalige Mitglieder wollten damit abschließen. So war das auch bei meinem leiblichen Vater. Ich hatte nie Kontakt zu ihm. Es war auch so, dass jeder andere mein Vater hätte sein können. Es war einfach ein reiner Zufall. Aber es war generell schwierig mit den Vätern, viele hatten dann ja auch mehrere Kinder, so wie im Falle von Otto Mühl.

Weißt du, wie viele das eigentlich sind?
Ungefähr zehn. Ein paar dieser Kinder haben dann auch bei ihm in der Kommune in Portugal gelebt, aber die, die hier sind, haben meines Wissens kaum Kontakt gehabt.

Deine Mutter ist aber nicht nach Portugal gezogen, oder?
Anfang der 70er wurde die Kommune in der Praterstraße gegründet, wobei das eher so eine große WG war. Und später sind alle auf den Friedrichshof gezogen, welchen sie dann gemeinsam aufgebaut haben. Mein Mutter war von Beginn an dabei und hat bis zu ihrem Tod am Friedrichshof gelebt. Ein Grund dafür war, denke ich auch, dass es nach dem Zerbrechen der Kommune für Frauen ohne Ausbildung und mit teilweise mehreren Kindern recht schwierig war, wegzuziehen und ganz alleine Fuß zu fassen. Vor allem, weil damals bei der Gründung alle davon ausgegangen sind, das sei für immer und es in Wahrheit ganz anders gekommen ist. Aber im Friedrichshof war noch so etwas wie ein gemeinschaftliches Leben, wo sich viele Mitglieder auch später noch gegenseitig geholfen haben.

Das heißt, Mühl war im Gefängnis und später in Portugal, aber die Gemeinschaft am Friedrichshof ist bestehen geblieben?
Ja, aber eher in Form einer Wohngemeinschaft. Jeder hatte seine Wohnung, aber man hat nicht abgesperrt. Wenn ich ehrlich bin, hat man auch nicht angeklopft, haha. Später hat sich das auch geändert, aber kurz nach der eigentlichen Auflösung der Kommune war noch alles eher offen.

Mich verwundert immer wieder, dass nach der Verurteilung von Mühl nicht alles zerbrochen ist und den Menschen klar wurde, dass der Traum geplatzt ist.
Jeder ging auf eine andere Art damit um, einige wollten damit abschließen, und ein neues Leben anfangen, andere wie auch meine Mutter, blieben dort, was teilweise auch finanzielle Gründe hatte. Dann gab es Leute die noch sehr an ihm hingen. Die sind zuerst nach Frankreich gegangen, dann nach München, wo sie quasi auf Mühls Entlassung aus dem Gefängnis gewartet haben und ihm dann nach Portugal gefolgt sind.

Wie hat deine Mama Mühl eigentlich kennengelernt?
Sie hat mir erzählt, dass Otto Mühl ihr ursprünglich in Mathematik Nachhilfe gegeben hat.

Sie hat für ihren Nachhilfelehrer ihr Leben aufgeben und ist in eine Kommune gezogen?
Es war damals einfach eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Luft. Ich hab von vielen auch gehört, dass die Eltern sehr streng waren und man das kleinbürgerliche Leben hinter sich lassen und ausbrechen wollte. Aber ich kann mir auch schwer vorstellen, die eigene Familie einfach so zu verlassen. Viele Eltern haben ja komplett den Kontakt abgebrochen, weil es in deren Augen so ungeheuerlich war, was ihre Kinder da gemacht haben.

Fällt es dir schwer, darüber zu reden?
Ganz ehrlich, ich hab mir den Film von Paul damals nicht angeschaut, weil es zu aufwühlend war. Ich kenne natürlich auch einige Geschichten über Missbrauch und was sonst noch passiert ist, aber ich hab mich nie so richtig damit beschäftigt. Ich war wie gesagt zum Glück auch zu jung, um etwas tatsächlich miterlebt zu haben. Früher bin ich immer wieder zum Friedrichshof gefahren und hab zum Beispiel meine Ferien dort verbracht. Aber jetzt, da meine Mutter nicht mehr dort lebt, setze ich mich wenig mit dem Thema auseinander. Das war auch ein Grund, warum ich nicht zur Premiere von „Meine Keine Familie“ gegangen bin.

Mich hat der Film schon so mitgenommen…
Es kommen ja auch echt sehr schockierende Szenen vor. Viele Themen, die im Film aufkommen, und wie verschiedene Menschen aus der Kommune auch unter Mühl gelitten haben, gehen mir ja auch sehr nahe.
Bei mir gab es diese ganzen Strukturen zum Glück nicht mehr so krass, weil ich eben so viel jünger bin, aber Luzi, der im Film vorkommt und auch der Bruder von meinem Bruder ist, so wie auch ganz viele andere Leute, haben echt Schreckliches miterleben müssen.

Wie war es, als Kind dort aufzuwachsen?
Ich muss sagen, als kleines Kind, in meiner Generation war es schon voll schön. Der Friedrichshof ist ein sehr kleiner relativ geschlossener Ort. Jetzt wurden ein paar neue Häuser hingebaut, aber es ist noch immer so, dass kaum Autos innerhalb der Ortes fahren. Als Kind war das echt super. Du konntest rumlaufen wo du wolltest, warst immer in der Natur, es gab immer jemanden, der auf mehrere altersgleiche Kinder geschaut hat und es gibt einen See, in dem man baden gehen konnte.

Aber als du ungefähr fünf warst, wurde die Kommune aufgelöst und Mühl zu sieben Jahren Haft verurteilt. Kannst du dich noch erinnern, wie deine Mama darauf reagiert hat?
Ich kann es nicht so genau sagen. Ich hab den Eindruck, dass viele, die nach der Verurteilung noch am Friedrichshof geblieben sind, nicht wussten, wo sie auf einmal hinsollen. Ich denke, es muss ein ziemlicher Schock für sie gewesen sein. Bestimmt sind sehr viele der Ex- Kommunarden anfangs noch hinter Mühl gestanden. Bei einigen dauerte es eben auch eine Weile bis ihnen eigentlich bewusst wurde, was da damals falsch gelaufen ist.
Ich erinnere mich, dass ich als Kind den Mühl mit meiner Mutter zusammen ab und zu im Gefängnis besucht habe. Aber ich bin sehr froh, dass sie nicht eine von denen war, die ihm auch noch nach Portugal gefolgt sind.

Ok, letzte Frage. Wie findest du eigentlich die Kunst von Otto Mühl? Als Mag.Art bist du ja eigentlich eine Expertin.
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich von seinen Sachen nie sonderlich begeistert war. Beeinflusst hat es mich vielleicht schon, weil ich ja von klein auf mit seinen Werken aufgewachsen bin. Kunst war immer das „einzig Wahre“ und alle Eltern waren immer total stolz, wenn man etwas gemacht hat und kreativ war. Als Kind haben wir auch sehr viele sogenannte „Materialaktionen“ gemacht, wo wir Zeug wie Lebensmittel und Farben etc. in die Hand bekommen haben und einfach losgemalt und damit herumgeschmiert haben. Aber seine Kunst fand ich nie besonders spannend, oder habe mich jemals näher damit ausseinandergesetzt.

David auf Twitter: @rznr