Warum der jüngste Money Boy-Ausraster tatsächlich eine ziemlich große Sache ist

Wenn ihr die letzten beiden Tage nicht in einer Boulevardzeitungs- und WLAN-freien Höhle im Hochgebirge verbracht habt, dürftet ihr mitbekommen haben, dass Money Boy bei seiner Show im Wiener WUK in einem Moment ziemlich roher Aggression sein Mikrofon ins Publikum geschossen und dabei angeblich eine Besucherin am Kopf verletzt hat. Auslöser dieses Ausrasters waren zahlreiche Getränkebecher, die aus dem Publikum auf die Bühne geworfen worden waren.

Dem wiederum war ein für die Besucher sehr frustrierender Abend vorausgegangen, bei dem der Boy und seine Glo Up Dinero Gang mit Stunden Verspätung auf die Bühne kamen und Money Boy selbst, der laut Besucher-Berichten sichtlich berauscht war, es nicht einmal auf die Reihe bekam, zu seinem eigenen Playback zu performen. Nachdem die Ereignisse bekannt wurden, strich ihn das Nova Rock, bei dem er im Juni aufgetreten wäre, von seinem Lineup.

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Auf der einen Seite hat die Tatsache, dass dieser Meltdown am Sonntag das Internet und am Montag sogar die Gazetten dominiert hat, ziemlich gut veranschaulicht, wie sehr dieser Mann mittlerweile zur Person des öffentlichen Interesses geworden ist—weit über seine eigentliche Zielgruppe hinaus. Auch wenn nur ein Teil dieser Leute richtige Fans sind, gibt es tatsächlich gar nicht so viele Künstler, die in diesem Land so viel Aufmerksamkeit bekommen und derart starke Reaktionen auslösen.

Auf der anderen Seite wirkt es gerade zum ersten Mal so, als würde Money Boy für eine seiner Grenzüberschreitungen, die ja Tradition haben, mehr Kritik als Sympathiepunkte ernten. Bis jetzt schienen Money Boy und der Rest der Glo Up Dinero Gang immer völlig unangreifbar, selbst wenn sie noch so abartiges Zeug von sich gaben. Das hatte vor allem einen Grund: ihre extrem loyalen Fans. Wer sich über Money Boys Aussagen und Aktionen ernsthaft aufregte, machte sich aus deren Perspektive immer zum kompletten Vollidioten, weil er auf seinen Humor hereingefallen war und seinen Sarkasmus ganz einfach nicht verstanden hatte.

Jeder, der mutig oder dumm genug war, den Boy in einem Facebook-Kommentar ernsthaft zu kritisieren, weil er wieder mal den Bogen endgültig überspannt hatte—ob mit einem Posting übers Heroin gönnen, Mösen zukleistern oder abstürzende German Wings-Maschinen—, wurde von seiner Fanbase in den Folgekommentaren mit so viel Spott (und oft auch mit Beleidigungen) auseinandergenommen, dass man beim Mitlesen fast ein bisschen Mitleid bekommen konnte. Selbst Bushido feierte Money Boys Scheiß-auf-alles-Attitüde bereits ausgiebig.

Es wirkt, als würde Money Boy diesmal versuchen, sich seine eigene Filterblase zu erschaffen, in der nur sein (lippensynchrones) Playback läuft.

Dieses Mal aber gestaltet sich die Situation ein bisschen anders. Dieses Mal sind die Leute, die sich aufregen, nämlich keine Außenstehenden, denen man einfach nur Unwissen unterstellen muss; es ist ein Teil der Fanbase. Es finden sich zwar auch diesmal wieder die obligatorischen „Der Boy hat bei dem Konzert nur 1 Joke gemacht” oder „fly so wie Mikrophone”-Kommentare der ganz loyalen Jünger. Aber dem gegenüber stehen auch vergleichsweise viele Fans, die sich keine Mühe mehr geben, die Aktion ihres Idols runterzuspielen oder zu rechtfertigen, sondern sowohl den Auftritt als auch den Mikrowurf dezidiert scheiße finden.

Schadenfreude von denen, die Money Boy seit jeher hassen, war natürlich vorprogrammiert—wenn ein Typ, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die ganze Welt zu trollen, auf einmal selbst ausflippt und aus seiner Rolle fällt, ist auch nichts anderes zu erwarten.

Erstaunlicher ist da schon die Tatsache, dass Money Boy selbst ein bisschen anders reagiert hat als sonst, wenn er in die Kritik gerät: Statt Jokes auf Facebook und unbeschwert unkorrekten Tweets gab es semi-lustige Selbstverteidigungsversuche, sein YouTube-Account wurde offline genommen und sein Twitter-Name (bei gleichbleibendem Handle) in Why SL Beezy geändert.

Noisey: Money Boy rastet aus—Turndown in Wien

Wo er sonst die Situation ins Lächerliche gezogen hätte, retweetet Money Boy diesmal Fans, die ihn weiterhin feiern oder postet ein Video von dem Teil des Auftrittes vor dem Ausraster—so als wollte er damit unter Bildbeweis stellen, dass er sehr wohl ordentlich performt hat und nicht nur völlig dicht zum Playback auf der Bühne herumgestanden ist. Es wirkt, als würde Money Boy versuchen, seine eigene Filterblase zu erschaffen—eine ganz eigene Echokammer, in der nur sein (lippensynchrones) Playback läuft und wo ihn die Fan-Postings wie Watte vor den Angriffen im sozialen Netz schützen.

Dass Menschen lieber positives Feedback verstärken als sich mit negativem auseinanderzusetzen, ist dabei weniger bemerkenswert. Bret Easton Ellis, Autor von American Psycho, nannte unsere Social-Media-Generation deswegen in einem VICE-Interview einen Haufen „Mimosen”.

Der Punkt ist eher, dass sich der Erfolg von Money Boy immer auf das genaue Gegenteil davon gegründet hat: Der Boy war unsere Antithese zur Generation Weichei, die unbeeindruckte Kunstfigur, der jede Kritik komplett egal ist und durch den wir unsere politisch-unkorrektesten Gelüste channeln können, weil er gleichzeitig selbst immer zu wissen schien, was wirklich und was Show war.

Das heißt: Immer bis auf einmal, als ihm bei einem Auftritt vor fünf Jahren sein legendäres Gucci Bandana von einem Fan gestohlen wurde und er daraufhin etwas verzweifelt forderte, dass man das Licht im Club anmachen sollte. Aus heutiger Sicht könnte man von damals natürlich eine gerade Linie ziehen und so tun, als wäre eine gewisse Tendenz schon immer da gewesen. Aber das wäre Bullshit.


Noisey hat Money Boy und die Glo Up Dinero Gang letztes Jahr durch Deutschland begleitet:


Denn die große Wirkung des momentanen „Kollaps” besteht wie gesagt darin, dass ihn niemand so deutlich kommen gesehen hat. Genau deshalb gibt es neben der schadenfrohen Fraktion jetzt auch diejenigen, die einfach nicht wegschauen können und ihn als die österreichische 2016er-Version von Charlie Sheen oder Britney Spears sehen: den Post-Empire-Helden, der vor den Augen der (österreichischen) Öffentlichkeit seinen eigenen Untergang feiert—nicht ganz komisch, nicht ganz tragisch und angesichts des selbst kultivierten Images vor allemnicht ganz unverdient.

Wie viel davon ihm wirklich zusetzt—und wie stark—, ist schwer zu sagen. Genauso, wie seit jeher schwer zu sagen ist, wie viel von seinem sorgfältig inszenierten Drogenkonsum oder Frauenaufriss der Wahrheit und wie viel der Legende zuzurechnen ist. Aber das ist eigentlich gar nicht der Punkt.

Sein Ausraster vom Sonntag wird seiner Karriere vielleicht kurzfristig ein paar Steine in den Weg legen, längerfristig wird uns Money Boy aber noch einige Zeit erhalten bleiben. Und ja, es mag bessere Künstler geben, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten; aber erstens kommt Kunst nicht von Können und zweitens erfüllt sie mehr Zwecke für Menschen als nur die Befriedigung von gutem Geschmack.

Die eigentlich große Sache—und vielleicht auch die Ironie an ihr—ist, dass Money Boy gerade durch das Bröckeln seiner Fassade wieder spannend wird; zu einer Zeit, als sich sein Gimmick gerade ganz schön abgenutzt hat. Wo bis vor kurzem noch jeder dachte, dass die Kunstfigur von der realen Person nicht mehr zu unterscheiden ist, haben wir es jetzt anscheinend mit einem waschechten Kanye-Fall zu tun. Damit löst der Boy neben Unverständnis auch zum ersten Mal so etwas wie das Bedürfnis aus, ihn zu verstehen. Next-Level-Shit.

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