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Zu Besuch bei den Jägern der Dunklen Materie

Ein Forscher bei Arbeiten am DEAP-3600 Teilchendetektor

Nur etwa fünf Prozent unseres Universums bestehen aus Materie, die wir kennen und wissenschaftlich verstehen. Mit anderen Worten: Alles von Sternen über Bäume, Tische, Eichhörnchen und Menschen macht nur einen winzigen Teil unserer Umwelt aus. 95 Prozent sind aus Stoffen, die nie ein Mensch gesehen hat.

Etwa ein Viertel davon ist Dunkle Materie, von der man glaubt, dass sie als „Gerüst des Universums” Galaxien zusammenhält—obwohl es bisher niemandem gelang, Dunkle Materie tatsächlich ausfindig zu machen. Wissenschaftler glauben jedoch, dass man die Spuren Dunkler Materie in den Rotationen von Galaxien sehen kann—doch worum es sich bei dieser Materie genau handeln soll, wissen die Forscher bisher noch nicht. Und dann ist da noch die Dunkle Energie: Der Großteil des Universums, etwa 70 Prozent, soll aus ihr bestehen. Über diese mysteriöse Kraft, die Raum und Zeit durchdringt, ist sogar noch weniger bekannt als über Dunkle Materie.

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Kein Wunder, dass sich die Forschung für Dunkle Materie interessiert: Ein Nachweis würde unser gesamtes Verständnis des Universums komplett verändern. Doch die Suche nach dem mysteriösen Stoff verlief 2016 erneut erfolglos—obwohl nicht wenige Forscher bereits zu wissen glauben, wie sie zu einem Erfolg kommen könnten: Bislang gelten nämlich die sogenannten WIMPs, schwach wechselwirkenden massereichen Teilchen, die als heißeste Kandidat gelten, um das Rätsel der der Dunklen Materie zu lösen.

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Bild: Ben Ruby

Doch, wie sollte es bei einem solchen komplizierten Sachverhalt auch anders sein: Es gibt viele Wege, die uns zum Ziel führen könnten—und die Wissenschaft ist sich längst nicht einig. Um herauszufinden, wie weit die Forschung von einem Durchbruch bei Dunkler Materie entfernt ist, habe ich mit verschiedenen renommierten Physikern gesprochen—und ich bin viele hundert Meter unter die kanadische Erdoberfläche hinabgestiegen, um dort in einem Labor, das jedem James Bond-Bösewicht zu Ehre gereicht hätte, über eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen der Physik zu sprechen.

Um das SNOLAB zu erreichen, muss ich zunächst einen beschwerlichen Weg hinter mich bringen: Erst geht es in voller Bergbaumontur mit einem ratternden Aufzug hinab in die Tiefe der Nickelmine in der nordkanadischen Provinz, dann noch etwa einen Kilometer Fußmarsch durch die Stollen. Schließlich erwartet mich die obligatorische Prozedur, die hier jeder Besucher oder Wissenschaftler über sich ergehen lassen muss: Ausziehen, waschen und danach faserfreie Kleidung und ein Haarnetz anlegen. Denn schon ein einzelnes Staubkorn aus der radioaktiven Mine könnte die Experimente, die hier durchgeführt werden, entscheidend stören.

Nun endlich kann ich jene Hightech-Anlage betreten, deren Forschung im Jahr 2015 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Im Inneren ist das Labor strahlend weiß und reiner als ein Operationssaal—und bildet damit einen geradezu absurden Kontrast zur schmutzigen Nickelmine, die es umgibt. So sieht es also an einem Ort aus, an dem unterirdische Detektoren nach Materieteilchen von sterbenden Sternen und der Sonne suchen—vor kosmischer Strahlung durch eine zwei Kilometer dicke Gesteinsschicht abgeschirmt.

Angekommen in der Hightech-Einrichtung treffe ich den Physiker Ken Clark, der genau wie ich mit einer Schutzbrille und einem Helm ausgestattet ist. Clark war bereits an hochkarätigen Forschungsprojekten zur Dunklen Materie beteiligt. Er arbeitet an CDMS und LUX und auch am IceCube-Detektor am Südpol in der Antarktis mit. Inzwischen widmet er sich dem PICO-Experiment, das sich auf die Suche nach WIMP-Teilchen fokussiert.

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Blasen im PICO-Teilchendetektor | Bild: PICO Collaboration

Das Herz des Teilchendetektors PICO ist eine Blasenkammer: ein Behälter, der mit Flüssigkeit gefüllt ist, dessen Temperatur über dem Siedepunkt liegt. In der Theorie hoffen die Forscher auf folgendes Ereignis: Wenn ein Dunkle Materie-Teilchen gegen ein anderes Teilchen prallt, müsste sich dadurch eine kleine Blase bilden. Da Dunkle Materie sich durch die Erde und unsere Körper bewegt, müsste sie auch den Detektor erreichen, ganz egal, wie tief er unter der Erde liegt.

Soweit die hoffnungsvolle Theorie: In der Praxis gehen Forscher davon ausgehen, dass Dunkle Materie, wenn überhaupt, nur sehr selten mit normaler Materie interagiert—weshalb es sehr schwer ist, diese Interaktion einzufangen. Clark allerdings glaubt, dass die Dunkle Materie innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahre gefunden werden könnte. „Wir leben in aufregenden Zeiten”, erklärt er mir optimistisch.

Und Clark und sein Team sind auf ihrer Jagd nicht allein: Schon bald sollen noch weitere Instrumente die Suche nach der Dunklen Materie unterstützen—es sind Maschinen die immer sensibler werden und so die Chancen auf einen Treffer steigern. Clark hält es für möglich, dass wir schon in diesem Jahr neue Ergebnisse von PICO, von DEAP (einem anderen Teilchendetektor im SNOLAB) sowie Chinas ambitionierten PandaX-Projekt und dem italienischen XENON1T-Projekt erhalten werden. Und für das Jahr 2018 sind sogar noch weitere Forschungen geplant.

„Vorausgesetzt, dass die Modelle korrekt sind, sollten wir bald Ergebnisse haben”, so Clark.

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Ein Forscher bei Arbeiten am DEAP-Teilchendetektor | Bild: DEAP Collaborator

Trotz der immer besseren Instrumente gibt es keine Erfolgsgarantie—denn bisher verliefen schlicht alle WIMP-Suchen erfolglos. So musste beispielsweise letzten Sommer das hochsensible Experiment LUX—das flüssiges Xenon in einer Mine in South Dakota als Detektor verwendet—bekannt geben, dass es auch nach über einem Jahr keine WIMPS nachweisen konnte.

Auch die renommierte theoretische Physikerin Lisa Randall glaubt nicht, dass wir in den nächsten zwei Jahre einen Erfolg bei der Suche nach Dunkle Materie erzielen werden: „Ich würde eher das Gegenteil erwarten”, erklärte mir die Harvard Professorin in einem Interview. Für den Fall, dass es sich bei Dunkler Materie tatsächlich um WIMPs handelt, glaubt zwar auch sie, dass die Experimente bald Erfolg haben könnten—doch Randall glaubt, dass die Sache in der Theorie etwas kompliziert ist.

Randall bezeichnet das WIMP als die am „niedrigsten hängende Frucht”. Was sie damit meint: Das theoretische Teilchen fügt sich gut in das bisher geltende Standardmodell der Physik ein, das erklärt, wie die einzelnen Komponenten des Universums miteinander agieren. Außerdem haben Wissenschaftler konkrete Vorstellungen, wie man nach WIMPs suchen kann—im Gegensatz zu einigen exotischeren Annahmen über die Dunkle Materie, die man wesentlich schwerer in Experimenten überprüfen kann. Die Autorin von Dark Matter and the Dinosaurs hält das WIMP nur für eine von mehreren Möglichkeiten bei der Suche nach der Dunklen Materie—sie will auch andere Thesen nicht von vornherein ausschließen.„Was wäre, wenn es gar kein WIMP ist?”, fragt Randall. „Könnten wir dann immer noch etwas über das Wesen der Dunklen Materie lernen?”

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GIF: Ben Ruby

Tatsächlich gibt es andere Physiker da draußen, die das Puzzle der Dunkle Materie mit anderen Strategien lösen wollen. Leslie Rosenberg ist einer von ihnen. Der Physikprofessor von der University of Washington arbeitet am Axion Dark Matter Experiment, kurz ADMX, das nach dem hypothetischen Elementarteilchen Axion sucht, das der Theorie nach viel leichter als ein WIMP ist. Dieses Teilchen sei das Ziel weiterer Untersuchungen auf der ganzen Welt, erklärt mir Rosenberg als ich ihn anrufe. Momentan sei ADMX jedoch „das einzige hochsensible Axion-Experiment”.

Die Vorgeschichte des ADMX-Experiments reicht bis in die Neunziger Jahre zurück: Entstanden ist das Projekt aus einem Mikrowellenresonator im Inneren eines riesigen supraleitenden Magneten. Seit einem Jahr hat es seine volle Empfindlichkeit erreicht und wird laut Rosenberg mit der Zeit noch weiter optimiert werden. Er hofft, dass er und seine Kollegen bald Ergebnisse vorweisen können—denn das nächste große Update wird schon im Sommer 2017 erwartet.

„Axionen sind im Universum verankert”, sagt Rosenberg. „Es sollte eine riesige Menge von ihnen geben und darauf bauen wir auch unsere Hoffnung auf, ein Signal zu empfangen.” Genau wie die WIMPs werden die Axionen gemeinhin als mögliche Kandidaten zur Erklärung der Dunklen Materie gehandelt. Doch es gibt auch noch exotischere Theorien.

„Ich persönliche interessiere mich sehr für die Theorie, dass Dunkle Materie gar nichts mit dem Standardmodell zu tun haben könnte”, erklärte mir Randall. „Eine Möglichkeit wäre, dass es eine andere Teilchenart ist. Vielleicht reagiert es durch sein eigenes Licht mit sich selbst, wie ein dunkles Photon.”

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Gaias erste Himmelskarte der Milchstraße, erstellt aus Daten, die zwischen Juli 2014 und September 2015 gesammelt wurden | Bild:ESA | Gaia | DCAP

Randall glaubt, dass man am meisten über die Dunkle Materie erfahren kann, wenn man die Strukturen der Galaxien studiert. Um die Funktionsweise des Universums besser zu verstehen, können laut Randall Projekte wie die Gaia Mission, die eine dreidimensionale Karte von über Tausend Millionen Sternen erstellt, sehr nützlich sein.

Wie das funktionieren könnte erklärte mir Asimina Arvanitaki, theoretische Physikerin am Perimeter Institute for Theoretical Physics. In einem Skype-Gespräch führt sie aus, dass Dunkle Materie durch Resonanzdetektoren aufgespürt werden könnte, die auch zum Nachweis von Gravitationswellen eingesetzt werden. Diese Wellen in der Raumzeit wurden 2016 erstmals nachgewiesen, 100 Jahre nachdem Einstein ihre Existenz vorausgesagt hatte.

Laut Avanitaki könnte sich Dunkle Materie auch wie eine Welle verhalten— „eingesperrt durch die Schwerkraft und in einer Frequenz hin und her schwingend, die durch die Masse bestimmt wird. Interessanterweise könnte man die Dunkle Materie je nach Frequenz vielleicht sogar hören”, sagt Arvanitaki.

Seit Millionen von Jahren haben sich die Menschen geniale Methoden einfallen lassen, um die Welt zu erforschen: Von Kopernikus bis Kepler, über die unzähligen Wissenschaftler, die an der Suche nach dem Higgs-Boson-Teilchen am Large Hadron Collider beteiligt waren, bis zu jenen, die nun damit beschäftigt sind, die unendliche Vielfalt an Exoplaneten zu erforschen, die unsere Galaxie bevölkern. Durch diese Wissenschaftler hat sich unsere Sichtweise auf das Universum, das uns umgibt, verändert. Wenn wir heute in den Abendhimmel schauen, wissen wir, dass auf jeden Stern den wir sehen, mindestens ein Planet kommt. Der erste bestätigte Exoplanet wurde gerade Mal vor zwei Jahrzehnten bekannt gegeben.

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Das Bullet-Cluster gilt bisher als einer der besten Nachweise für die Existenz von Dunkler Materie | Bild: X-ray: NASA/CXC/CfA/M.Markevitch et al.; Optical: NASA/STScI; Magellan/U.Arizona/D.Clowe et al.; Lensing Map: NASA/STScI; ESO WFI; Magellan/U.Arizona/D.Clowe et al.

Die Natur hält also noch immer Überraschungen für uns bereit. „Es ist möglich, dass es sich bei der Dunklen Materie gar nicht um ein Teilchen handelt”, erklärte mir Clark dann auch bei meinem Besuch in der kanadischen Nickelmine. „Einige Forscher gehen davon aus, dass es gar keine Dunkle Materie gibt. Wir verstehen einfach nicht, wie die Schwerkraft in großen Dimensionen funktioniert”, fügte er hinzu. Lassen wir uns also am Ende nur einreden, dass Dunkle Materie existiert?

Clark und zahlreiche weitere führende Physiker überall auf dieser Welt werden weiter der Dunklen Materie hinterherjagen. Wenn es sie wirklich gibt, „bestehen wir nicht aus dem gleichen Stoff, wie der Großteil des restlichen Universums”, erklärt mir Rosenberg. Wenn er Recht behält, dann ist es im Endeffekt gar nicht die Dunkle Materie, die so exotisch und sonderbar ist—sondern wir Menschen.