Sex

Zu Besuch in Deutschlands größter Dildofabrik

Michael Pahl hält einen pinken, leicht gekrümmten Stab in der Hand. Das Teil ist etwa so lang wie sein Unterarm. Eigentlich ist es dafür gedacht, dass sich Paare damit gegenseitig zum Höhepunkt bringen. Und eigentlich heißt der Dildo “Sonic” und verspricht “flexible Möglichkeiten für eine unbändige Lust”. Doch Pahl scheint an Sex überhaupt nicht zu denken. Er fasst den Dildo so sachlich an wie andere einen Föhn oder Mixer. Stumm biegt er ihn, fährt mit seinen großen Händen darüber, dann bleiben seine Finger bei zwei kleinen Löchern stehen—als hätte jemand mit einer Nadel hineingepiekst. “Das ist zum Weinen. Den müssen wir jetzt wegschmeißen”, sagt er und legt den Dildo in eine Schachtel, wo noch mehr pinkes Silikon liegt.

Dirk Bauer, einer der Fun-Factory-Gründer | Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Fun Factory

Dirk Bauer sitzt in einem Konferenzraum, zurückgelehnt, Jeans, weißes Hemd. Hinter ihm Dildos und Vibratoren. Lange, kurze, knubblige, gebogene, pinke, grüne, schwarze, blaue. Vor ihm die Weser. “Viele Frauen müssen 40 Jahre alt werden, bis sie einen Orgasmus kriegen.” Er will dazu beitragen, dass sie ihn früher erleben, schneller und intensiver. Dirk Bauer ist Ende 40 und leitet die Sexspielzeug-Fabrik in Bremen. Sexuelle Höhepunkte sind sein Geschäft.

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Die Idee, dass man für einen Orgasmus künstliche Hilfsmittel benutzt, ist über 2.000 Jahre alt. Selbst Kleopatra soll sich mit einem mit Bienen gefüllten Papyrusbeutel selbstbefriedigt haben. Und im 19 Jahrhundert galten Dildos als Heilmittel gegen alle möglichen psychischen Krankheiten. Man glaubte, dass Hysterie von der Gebärmutter ausgeht.

Dirk Bauer und Michael Pahl sind eigentlich Elektrotechniker. Zwei Kopf-Menschen. Sie kennen sich seit dem Studium in Bremen. Sie wissen: Sie können sich aufeinander verlassen. Dann wurde Bauers Frau schwanger, er musste sich mit dem Studium beeilen und Geld verdienen. Das trennte die zwei Freunde eine Weile, bis sie die Idee zum Unternehmen Fun Factory wieder zusammenbrachte.

Dirk Bauer und Michael Pahl kurz nach der Firmengründung

Bremen, 1995. Bauers damalige Frau Christine sieht im Fernsehen, wie eine andere Frau in München einen Sexshop für Frauen eröffnet. Das will Christine auch—obwohl sie mit Sextoys bislang noch nichts zu tun hatte. Das Problem: Keiner will die Produkte kaufen. Sie sehen billig aus, sind schlecht verarbeitet und bringen wenig Spaß zwischen den Beinen. Immer wieder kommen Frauen in den Laden, die sich beschweren. Grund für Bauer und Pahl, selbst Hand anzulegen, immerhin sind sie Ingenieure. Sie formen ihren ersten Dildo aus Knetgummi am Küchentisch. Eigentlich soll es ein Pinguin werden, sieht dann aber aus wie ein Delfin.

Sie stellen ihn in eine Parmesanrolle und übergießen ihn mit lila Silikon. Dann ziehen sie das Modell heraus, der Ur-Dildo ist geboren. Die Gussform dafür steht in Pahls Regal. Es ist sein Schatz. “Normalerweise bewahre ich sie in meinem Tresor auf”, sagt er. Genauso wie den kleinen Spachtel, mit dem er das Silikon für den ersten Dildo angerührt hat. Pahl hängt an den kleinen Dingen. Sünde ist für ihn, einen Dildo wegzuwerfen. Weil das Silikon so teuer ist. 400 Gramm kosten zehn Euro. Aber noch mehr liegen ihm die Motoren der Vibratoren am Herzen. Die sind sein Spezialgebiet. Er liebt es, aus kleinen Dingen große Leistung herauszuholen. Die Motoren sind winzig und wirken noch winziger, wenn Pahl sie in den Händen hält. Er ist ein Hüne, blond, blaue Augen, Sommersprossen auf der Stirn.

Pahl baut die Motoren im zweiten Stock der Fun Factory, in einem Raum, der Büro und gleichzeitig Werkstatt ist. Links steht eine Werkbank, auf der Schraubenzieher, Zangen und Kabel liegen. “Jungskrams”, wie Pahl sagt. Hier entwickelt er Rhythmen und Geschwindigkeiten für Vibratoren. Sie sollen nicht einfach nur gleichmäßig brummen, sie haben unterschiedliche Rhythmen. Er will die Ferraris unter den Sexspielzeugen bauen, jedes mit eigenem Charakter. Manche Teile haben bis zu acht Vibrationsstufen.

“Für die Entwicklung haben wir uns genau angeschaut, wie eine Frau masturbiert”

Sein Freund Dirk Bauer ist Geschäftsmann. Er hält einen Vibrator in den Händen, in Form eines S, ein bisschen wie ein Seepferdchen. Auf den ersten Blick kann man sich nicht vorstellen, in welche Körperöffnung man ihn stecken sollte. “Für die Entwicklung haben wir uns genau angeschaut, wie eine Frau masturbiert”, sagt er und bewegt den Vibrator langsam in der Luft hin und her, als würde er die Bewegung der Frau nachmachen. Bauer hat einen technischen Blick auf Sex. Er fragt ständig Frauen, wie sie sich befriedigen—alles für die nächste Produktidee. “Aber wenn ich nach Hause gehe, ist mein Tag hier vorbei.”

Die Produktion der Vibratoren und Dildos läuft im Prinzip immer noch so ab wie damals in Dirk Bauers Küche. Nur klappt es schon lange nicht mehr zu zweit—150 Menschen arbeiten für die Fun Factory inzwischen, mehr als eine Million Artikel hat das Unternehmen im vergangenen Jahr verkauft. Die Produkte werden in 90 Länder verschickt. Der Umsatz, so die Besitzer, steige stetig. Zehn Prozent höher als dem Vorjahr soll er sein, genaue Zahlen wollen sie aber nicht nennen.

Anders als die meisten Sexspielzeughersteller produziert Fun Factory in Deutschland—und in Handarbeit. Eine Mitarbeiterin, eine junge Frau mit dunklen Haaren und einer schwarzen Latzhose, hat seit drei Wochen die gleiche Aufgabe: Sie muss mit feinem Schleifpapier über ein etwa zehn Zentimeter großes, knubbliges Vibrator-Modell mit zwei kleinen, fühlerartigen Stummeln fahren. Später, wenn die Modelle fertig sind, gießen die Mitarbeiter einen Stock tiefer aus flüssigem Silikon das Sexspielzeug. Was sie da produzieren, haben sie nicht die ganze Zeit im Kopf. “Wir sind Handwerker”, sagt Michael Pahl.

Dirk Bauers Freunde und Familie haben kein Problem mit dem, was er macht. Trotzdem sagt er: “Erotik war vor 20 Jahren viel präsenter als heute.” Er nimmt seine Brille ab und zählt mit seinen Fingern ab: “Es gab TV-Shows wie Tutti Frutti, Klimbim—auf jeder Fernsehzeitung war eine barbusige Frau drauf.” Das klingt seltsam. Denn Busen und Sex sind heute überall, in jeder Werbung, auf jedem Plakat, in jedem Film. Es gibt kaum etwas, das wir auf YouPorn noch nicht gesehen haben, kaum etwas, das uns erschrecken kann. Bauer sieht das anders: “Es gab einmal 1.800 Sexshops in Deutschland, heute sind es nur noch 400.” Das Internet hat sie verdrängt. Aus Bauers Sicht hat das die Folge: Wir werden zu Zuschauern, passiv, und die direkte Auseinandersetzung mit uns und unserem Körper wird fremd.

Um Sex wieder in die reale Welt zu holen, eröffnet Bauer in deutschen Großstädten Sexshops und zwar nicht in entlegenen Bahnhofsgassen, sondern im Zentrum—zuletzt am Münchner Viktualienmarkt. Ein amerikanischer Designer hat den Laden entworfen. Die Wände glänzen schwarz, die Vibratoren liegen auf Glasplatten, Neonlicht strahlt sie an. Es gibt keine Poster von blonden Frauen mit Atombusen und aufgespritzten Lippen, es gibt auch kein rotes Licht oder aufblasbare Puppen. Alles ist aufgeräumt, modern, eher kühl.

Gewandelt haben sich auch die Internetportale, auf denen Sexspielzeug verkauft wird—denn ganz zurück in die reale Welt konnte Bauer den Sex offenbar doch nicht holen. Auf Amorelie zum Beispiel, einem Onlineversand, der vor drei Jahren gegründet wurde, ist von Geschlechtsteilen nichts zu sehen. Dafür Paare, die im Bett kuscheln, zusammen lachen, sich küssen. Die Fun Factory habe diese neue Ära im Sextoymarkt ausgelöst, sagt Anne Gröschel, die bei Amorelie für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist.

Weg von realistischen Nachbildungen, hin zu einem “spielerischen, lifestyligen Look”. Dementsprechend wichtig sei die Marke. “Die Produkte besitzen für uns auch einen hohen ideellen Wert.” Wie viele sie allerdings verkauft oder ob andere Anbieter die Fun Factory mittlerweile überholt haben, verrät Amorelie nicht. Wenn man sich aber auf der Seite umsieht, erkennt man schnell: Das gleiche Rezept wie die Fun Factory verwenden inzwischen viele Firmen. Vou, Cupe, Lelo gehören neben Fun Factory zu den “Topsellern” und irgendwie sieht alles ziemlich ähnlich aus: pink oder lila, glattes Silikon, bloß keine fleischfarbenen Plastikpenisse mit Adern. Die neue Zielgruppe sind eben nicht mehr Männer, die sich mit hochgeklappten Mantelkragen heimlich in Videokabinen am Hauptbahnhof schleichen. Die neuen Kunden sind jung, weiblich, modern und sie investieren eben auch mal 70 Euro für einen Vibrator mit acht Stufen.

“Es gab einmal 1.800 Sexshops in Deutschland, heute sind es nur noch 400.”

Die beiden Ingenieure bauen weiter an ihrem Imperium mit deutscher Akribie: “Mir ist Ordnung wichtig”, sagt Michael Pahl. Aufgeräumt ist auch seine Fabrikhalle. Die Maschinen stehen in einem Glaskasten, man kann also zuschauen, wie das flüssige Silikon in eine Form fließt und wie der Dildo mit einem Greifarm aus der Form gezogen wird. Pahl hat die Maschinen mitentwickelt, sie sind einzigartig, wie sie funktionieren, ist geheim.

Dirk Bauer findet, die Gesellschaft war selten so spießig wie heute. “Uns werden von allen Seiten Daumenschrauben angelegt.” Wir müssten immer und überall ein gutes Beispiel abgeben. “Wenn ich mit meinem Porsche, der zehn Liter verbraucht, durch die Gegend heize, wird einem gleich ein schlechtes Gewissen eingeredet.” Bauer fährt selber Porsche, einen alten, aber auf die Arbeit fährt er mit dem Fahrrad. “Einfach Spaß zu haben, ist gar nicht mehr drin.” Und mit Sex sei es das Gleiche. Seine Mission: den Spaß zurückbringen.

Liegt am Ende das Geheimnis für guten Sex und einem erfüllten Leben also in der Technik und in deutscher Qualität? Kritiker glauben, dass Spielzeug aus Silikon für ein besseres Sexleben gar nichts bringt. Sie sagen sogar, dass es viel mehr zu einer Entfremdung des Körpers führt und dass man sich irgendwann so sehr an die Gerätschaften gewöhnt, dass man ohne sie gar nicht mehr zum Höhepunkt kommt. Quatsch, findet Bauer. “Ein Orgasmus ist ja nicht das gleiche wie ein Liebesspiel. Aber trotzdem toll.”