Am 4. November, dem Tag der US-Zwischenwahlen, konnten einige amerikanische Bürger nicht nur Obama eine ordentliche Abreibung verpassen, sondern ebenso über ein Referendum abstimmen, das der Limonade den Kampf ansagt. Und in Berkeley stimmte die Mehrheit der Befragten dieser Initiative zu. Dass es gerade die 100.000 Einwohner starke Gemeinde in Kalifornien war, sollte nicht groß überraschen, schließlich wurde hier schon vieles gegen großen Widerstand durchgesetzt, was mittlerweile als selbstverständlich gilt, wie etwa das Verbot, am Arbeitsplatz zu rauchen. Trotzdem hatte das Unterfangen der Limonaden-Gegner etwas von David gegen Goliath, wenn man bedenkt, dass die Softdrink-Industrie jeden Tag über eine Million Dollar für Werbung ausgibt, die sich einzig und allein an Kinder richtet. Genauer gesagt ging es bei dem Volksentscheid um die Forderung, dass der Handel für gezuckerte Getränke einen Cent pro Unze (ca. 28 Gramm) an die Stadt Berkeley zu zahlen habe. Klingt nicht nach viel? Bei einer Dose wären das aber schon rund zwölf Cent. Und bei einer 2-Liter-Flasche Coca Cola würde der Preis von 2 Dollar (1,60 Euro) auf 2,64 Dollar (2,10 Euro) ansteigen. Das könnte einige preisbewusste Kunden zu (hoffentlich) gesünderen Getränken greifen lassen, und genau darum geht es bei dieser Initiative. Auf die Richtig- und Wichtigkeit einer derartigen Steuer wurde schon vor zwei Jahren in einer Studie der University of California San Francisco (UCSF) hingewiesen. Im Rahmen ihrer Untersuchungen haben Wissenschaftler damals herausgefunden, dass durch die Einführung einer Ein-Cent-pro-Unze-Besteuerung auf nationaler Ebene 8.000 Schlaganfälle, 240.000 Neuerkrankungen an Diabetes sowie 100.000 neue Fälle von Herzerkrankungen verhindert werden könnten—pro Jahr versteht sich. „Es geht bei dieser Initiative nicht nur um das Schicksal einer Stadt”, so Maureen Erwin, der sich auch in San Francisco für eine hohe Besteuerung von Limonaden eingesetzt hat (wo sich zwar die Mehrheit der Befragten für eine Limonaden-Steuer aussprach, die nötige Zweidrittelmehrheit dennoch verfehlt wurde). „Wir haben es hier mit einer langfristigen Entwicklung zu tun. In Berkeley ist nur der erste Dominostein umgefallen.” Auf jeden Fall hoffen Anti-Limo-Aktivisten auf eine gesalzene Besteuerung und eine Stigmatisierung, wie man sie schon vor rund 50 Jahren im Fall von Tabak erleben konnte. Ausgemachtes Ziel sei es, das Trinken von zuckerhaltigen Getränken zu regulieren und gleichzeitig zu „denormalisieren”. Dass der Vergleich zwischen Limonaden (bzw. ihrem Hauptbestandteil Zucker) und Zigaretten nicht hinkt, zeigt die Tatsache, dass beide eine große Mitschuld an vielen Volkserkrankungen tragen. Außerdem, berichtet die ÄrzteZeitung, kamen die Wissenschaftler in der Studie der UCSF zu dem Schluss, dass Zucker ähnlich ungesund und suchtfördernd sei wie Alkohol und Tabak. Harter Tobak, also. Um mehr über dieses Thema zu erfahren und um herauszufinden, ob wir—rund drei Wochen nach der Volksabstimmung in Kalifornien—in Zukunft auch anderswo mit ähnlichen Gesetzesinitiativen rechnen können, habe ich mich mit Robert Proctor (Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Stanford University) getroffen, der als erster Historiker vor dem US-Kongress gegen Tabakkonzerne ausgesagt hat. Er hat verschiedene Bücher darüber geschrieben, wie die Tabakindustrie ihren Einfluss bei wissenschaftlichen Untersuchungen und neuen Gesetzesvorschlägen spielen lässt, darunter den Bestseller Golden Holocaust: Origins of the Cigarette Catastrophe and the Case for Abolition. MUNCHIES: Hinkt nicht der Vergleich zwischen Zigaretten und Limonaden? Zigaretten sind schließlich ein reines Suchtmittel, während Limonaden eine Flüssigkeit sind, die wir Menschen, wenn auch nicht in dieser Form, zum Überleben benötigen. Robert Proctor: Nun ja, auch Tabak wurde früher als Nahrungsmittel angesehen. Man hat es sogar in Flugzeugen als Teil des Bordessens serviert. Und natürlich brauchen wir Menschen Lebensmittel, aber was wir nicht brauchen, sind Lebensmittel, denen Zucker zugegeben wurde. Noch im 19. Jahrhundert gab es kaum künstlich gesüßte Lebensmittel. Massenproduzierte Limonaden, Eis und Schokoriegel sind erst eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Wie wichtig ist denn diese Berkeley-Steuer? Mit ein bisschen Glück könnte es der Anfang vom Ende von zuckerbedingter Adipositas sein. Bisher gab es noch keine Gemeinde, die Limonaden aus Gesundheitsgründen besteuert hat. Wenn man bedenkt, dass Zucker einer der wichtigsten Auslöser für Fettleibigkeit ist, vor allem in Form von zugesetztem Zucker, könnte die Entscheidung in Berkeley einen riesigen Einfluss auf die Weltgesundheit haben. Ich finde es zudem bemerkenswert, dass sich nicht weniger als 75 Prozent der Befragten für eine Besteuerung ausgesprochen haben. Das macht Mut für ähnliche Gesetzesinitiativen in anderen Teilen dieser Welt. Sind Sie sicher? Die Softdrink-Industrie weist daraufhin, dass ähnliche Vorhaben in rund 30 US-Gemeinden abgeschmettert wurden. Die Zeiten ändern sich aber. Vor drei oder vier Jahren hätte man das Thema noch leicht bagatellisieren können. Doch die Adipositas-Epidemie ist zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Die Leute beginnen endlich damit, den Finger auf den richtigen Schuldigen zu richten—wie wir es schon im Fall von Nikotin erleben konnten. Am Anfang gab man ausschließlich dem Raucher die Schuld, dann wurde der Glimmstängel beschuldigt und erst in jüngster Zeit geriet die Tabakindustrie in die Kritik. Inwieweit ähnelt die aktuelle Limo-Kontroverse dem Kampf gegen Big Tobacco? Die Parallelen werden vor allem durch die Arbeit der American Beverage Association deutlich—dem wichtigsten Wirtschaftsverband der Softdrink-Industrie. Dort wird eine Taktik verfolgt, wie man sie schon in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren bei der Tabakindustrie erleben konnte. So werden wissenschaftliche Ergebnisse geleugnet, eigene Scheinstudien in Auftrag gegeben und „Bürgerbeiräte” gegründet, die in Wirklichkeit von der Industrie unterstützt werden. Außerdem behaupten sowohl die Limonaden- als auch die Tabakhersteller, dass sie sich für den mündigen Bürger einsetzen, um dessen Freiheiten gegen die Tyrannei der Regierung zu schützen. Können Sie uns ein Beispiel dafür geben, wie sich die Interessen der Tabak- und Zuckerindustrie im Einzelnen überschnitten haben? Zucker gehört zu den wichtigsten Verbindungen in Zigaretten. Er sorgt dafür, dass man den Rauch überhaupt erst einatmen kann. Und in den 80er-Jahren hat einer der ersten Whistleblower, Victor Denoble, dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit über gewisse Praktiken bei Philip Morris informiert wurde. So wurde bekannt, dass sein Team die Aufgabe hatte, Nikotin extrem abhängig zu machen. Wissenschaftler von Philip Morris haben dann herausgefunden, dass Zucker dabei eine entscheidende Rolle zukommt, da es Acetaldehyd produziert. Dessen Reaktionsprodukt Harman kann die suchterzeugende Wirkung von Zigaretten verstärken. Wenn sich also die Industrien so ähnlich sind, können sie dann auch mit denselben Mitteln bekämpft werden? Das werden sie jetzt schon. Die Gefahren von Zucker kommen immer mehr an die Öffentlichkeit und in das Bewusstsein der Menschen, was gut ist, denn Transparenz und Aufklärung gehören zu den besten Waffen. Gleichzeitig hat die Softdrink-Industrie allein für ihre Gegenkampagnen in San Francisco und Berkeley umgerechnet 10 Millionen Euro ausgegeben. Ein anderes effizientes Mittel besteht darin, die Verfügbarkeit einzuschränken. Wenn es zum Beispiel in Schulnähe unzählige Zigarettenautomaten gibt, können Schüler leicht zum Rauchen und vor allem zum Weiterrauchen verleitet werden. Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass der Konsum von Limonaden nicht mehr etwas Selbstverständliches darstellt. Früher haben meine Kollegen bei Fakultätssitzungen alle Cola getrunken, heute trinken fast alle Wasser. Ein Umdenken hat eingesetzt. Um dieses Umdenken zu beschleunigen, sollte man aber ebenso auf Besteuerung zurückgreifen. Denn je mehr ein Getränk besteuert wird, umso weniger wird es getrunken. Danke für das Gespräch. Oberes Foto: The Adventures of Kristin & Adam | Flickr | CC BY 2.0