Zwei Fotografen erforschen die Veränderungen in ihren Leben

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Unsere diesjährige Fotoausgabe beschäftigt sich mit Vorbildern. Wir haben Nachwuchsfotografen und –fotografinnen gefragt, wer sie inspiriert hat, diesen Beruf zu ergreifen. Wir haben ihre Idole kontaktiert und dazu eingeladen, ihre Arbeit ebenfalls bei uns zu veröffentlichen. Das Ergebnis ist ein Dialog darüber, wie sich ältere und jüngere Künstler gegenseitig beeinflussen.

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Die Fotografin Olivia Bee stammt ursprünglich aus Portland, Oregon, aber inzwischen lebt sie abwechselnd in Brooklyn und Los Angeles. Mit 14 fotografierte sie eine Kampagne für Converse und seitdem hat sie mit anderen großen Namen wie Adidas, Hermès oder Nike zusammengearbeitet. 2016 wurde sie von Forbes in der Kategorie Art und Style in die “30 under 30”-Liste aufgenommen.

Foto von Olivia Bee
Foto von Doug DuBois

Doug DuBois, ihr Idol für die 2017er Fotoausgabe, ist derzeit als Fotografie-Dozent an der Syracuse University und als Lehrkraft im MFA-Studiengang der Hartford Art School tätig. Seine Arbeiten sind schon in den New York Times, bei Time, in GQ und im Telegraph erschienen und wurden unter anderem im Getty Museum Los Angeles, bei der Aperture Foundation und im Museum of Modern Art ausgestellt.

Foto von Doug DuBois
Foto von Olivia Bee

Olivia Bee: Verarbeitest du mit deinen Bildern dein eigenes Leben?
Doug DuBois: Natürlich. Das machst du bestimmt auch. Meiner Meinung nach arbeitest du wie eine Tagebuchschreiberin. Die Kamera ist ein Mittel, um das Leben zu dokumentieren. Das habe ich nie getan. Mir wurde klar, dass ich weniger Dinge fotografieren will, die passieren, sondern es mich mehr interessiert, Dinge selbst passieren zu lassen. Dieser Gedanke hat mich schon früh beeinflusst und ich glaube, dass es bei dir ähnlich läuft. Du erschaffst Dinge oder baust sie nach. So sehe ich deine Bilder.

Ja, du hast recht. Die Fotos, die ich für mein “Tagebuch” mache, sind wie Notizen für die Bilderreihen, die ich erschaffe. Sie ergeben eine Geschichte. Ich fotografiere meinen Alltag also immer noch für mich selbst, aber was die Kunst und Erfüllung betrifft, verwandle ich diese Notizen gerne in etwas Größeres.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich im Vergleich zu früher nicht mehr so geübt darin bin, “im Moment” zu fotografieren. Ich vergesse immer, dass ich ja einen Fotoapparat dabei habe. Das liegt wohl an meiner Generation: Ich hatte damals nicht ständig ein Handy mit Kamera in meiner Tasche. Deswegen muss ich mich bewusst in einer Art Fotografier-Modus befinden, um gute Bilder zu schießen.


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Willst du mehr den Moment genießen?
Ich glaube, das liegt mehr am motorischen Gedächtnis. Ich habe mein Auge und meine Kamera schon lange nicht mehr auf eine bestimmte Art und Weise bewegt. Das liegt zum Großteil daran. dass ich seit Jahren mit großen Fotoapparaten arbeite. Wenn ich jetzt eine kleine, handliche Kamera in die Hand nehme, dann sind die Fotos oft verschwommen, weil ich meine Hand nicht still halte. Deswegen mag ich diese Geräte nicht. Was ich hingegen mag, sind deine Bilder. Wenn ich sie mir anschaue, dann denke ich mir immer, dass ich so etwas niemals selbst hinbekommen würde.

Vielen Dank! Früher ist dir aber noch gelungen, Bilder “im Moment” zu machen?
Vielleicht. In meinen 20ern habe ich mich nicht als Journalist gesehen, weil mich dieser ganze Bereich nicht interessierte. Ich wollte aber trotzdem draußen in der Welt sein. Meine ersten Bilder machte ich also auf politischen Demonstrationen gegen Nuklearwaffen. Das war richtig aufregend. Wir sind durch die Polizeibarrikaden durch, weil wir wie Demonstranten aussahen, und fühlten uns wie im Rausch.

Wo genau war das?
In New York und Washington D.C. Wir hatten 25 Rollen Schwarz-Weiß-Film dabei und knipsten einfach drauflos. Das war der Spaß meines Lebens.

Foto von Doug DuBois

Was interessierte dich an diesen Protesten? Warst du politisch? Oder empfandest du diese Fotos als eine Art Tanz?
Beides. Ich interessierte mich schon in der Schule für solche Themen und die US-Regierung hatte gerade die Registrierung zum Wehrdienst wieder eingeführt. Also hing ich in meiner Heimatstadt Protestposter auf und bekam kurz darauf einen Anruf von einer Frau, die vorher schon demonstriert hatte und mich zu einem Treffen einlud. Dort lernte ich weitere mittelalte Frauen kennen, die sich linkspolitisch engagierten. Zusammen organisierten wir eine weitere Demonstration. Ich liebte den Aktivismus und ich liebte es, diesen Aktivismus zu fotografieren.

Wie kam es dann zum Wechsel hin zu gestellten Fotos?
Ich stand auf die handgeschriebenen Reaktionen der porträtierten Leute im Jim Goldbergs Buch Rich and Poor. Deswegen fotografierte ich eine Zeit lang jeden, der sich von mir fotografieren ließ – egal ob Freunde oder Familie. Anschließend sollten sie etwas unter das ausgedruckte Foto schreiben. In anderen Worten: Ich habe Jims Idee ganz naiv kopiert. Leider waren 90 Prozent der Antworten eher öde. Als ich Jim einige Jahre später kennenlernte und ihm beim Arbeiten zuschaute, wurde mir klar, dass die Reaktionen in seinem Buch ja gar nicht spontan gewesen waren, sondern sie genauso wie die Fotos besprochen und in eine gewisse Richtung geführt wurden.

So lernte ich, dass man die Wahrheit auch durch Fragen und Zusammenarbeit finden kann – und nicht nur durch die Jagd mit der Kamera.

Als ich gerade mit den Porträts und den Reaktionen darauf angefangen hatte, fiel mein Vater von einem Pendelzug. Nach dem Unfall ging ich dazu über, die Kamera als Werkzeug zu nutzen, um mit dem Schicksal von mir und meiner Familie klarzukommen. Ich zog schweren Herzens wieder zurück nach Hause und fotografierte eigentlich nur, um am Leben zu bleiben. Bei den Fotos von meiner Familie ging ich viel gezielter vor. Ich musste vor allem die richtigen Lichtverhältnisse beachten. Ich war ungeduldig und versaute oft die Blitzeinstellungen – was ich wegen der Analogfotografie natürlich erst nach der Entwicklung der Filme bemerkte. Irgendwann wusste ich jedoch, wie ich bei uns zu Hause belichten musste.

Wie heißt die Fotoreihe, die nach dem Unfall deines Vaters entstand?
All the Days and Nights. Der Unfall meines Vaters ereignete sich im Sommer vor meinem Umzug nach San Francisco. Nach dem ersten Semester meines Studiums kehrte ich nach New Jersey zurück. Eines Abends fotografierte ich meine Eltern, als sie nach dem Essen einfach nur auf das Chaos auf dem Tisch starrten. Zehn Tage später versuchte meine Mutter, Selbstmord zu begehen. Das veränderte alles. Ich machte Fotos, ohne wirklich zu sehen, was da vor mir passierte. Die Fotografie verhinderte, dass ich mich um meine Familie kümmern konnte.

Ich fragte mich jahrelang, wie ich es schaffen kann, gleichzeitig zu fotografieren und wirklich da zu sein. Zur Lösung dieses Problems gehört für mich jetzt dazu, bei den Fotos alles vorher zu bestimmen. Ich versuche nicht mehr, die Entstehung des Moments einzufangen.

Genau das macht deine Bilder meiner Meinung nach stärker, weil du für diese Porträts alles gibst. Aber ganz allgemein gefragt: Wie sehr sind Fotos für dich ein Abbild der Realität?
Das kommt darauf an, wie man das definiert. Bei Fotos sind da zwei wichtige Dinge zu beachten: Unter welchem Umständen entstehen die Bilder und wie werden sie danach verwendet. Sprich: Welche Bedeutung wird ihnen zugeschrieben.

Als ich in Irland unterwegs war, habe ich viele der dort entstandenen Fotos genau bestimmt, aber die Arbeiten sind trotzdem eine realistische Darstellung des Landes und der Leute. Ich habe richtig hart gearbeitet, um ein Buch zu erschaffen, das genauso viel für die irische Gemeinschaft bedeutet wie für Außenständige. Auch von All the Days and Nights habe ich eine Extra-Auflage nur für darin abgebildeten Menschen gemacht. Wenn etwas die Realitätstreue einer Arbeit bestimmt, dann doch der Stellenwert innerhalb der Community. Wird sie akzeptiert und Teil des kollektiven Bewusstseins? Das klingt jetzt vielleicht sentimental, aber wenn die abgebildeten Personen sich in zehn Jahren hinsetzen und ihren Kindern mithilfe der Bücher erklären, wie es damals war, dann ist das für mich der Beweis dafür, wie realitätsgetreu und wertvoll die Arbeiten darin sind.

Ich finde es ganz außergewöhnlich, dass du so denkst, denn das tun wohl nur wenige Fotografen. Viele Leute fotografieren nämlich ständig irgendwelche anderen Leute, die sie nicht wirklich kennen, und beanspruchen das dann alles für sich. Erzähle mir zum Abschluss noch von den Fotos, die du von deiner Partnerin Leah gemacht hast.
Im vergangenen Jahr habe ich nicht so viel fotografiert. Über diese Tatsache ließ ich mich bei der Fotografin Justine Kurland aus, die daraufhin sagte: “OK, machen wir einen Deal: Wenn du bis Dezember keine 100 Bilder schießt, schuldest du mir 100 Dollar!” Also machte ich mich ans Werk. 100 Bilder sind es nicht ganz geworden, aber zumindest fotografierte ich wieder. Weil ich mit Leah ein Kind erwartete, nahm ich sie als Model. Als Inspiration diente mir hier eine Fotoreihe von Laura Heyman namens The Photographer’s Wife. Ich wollte Leah bloß nicht wie meine Muse romantisiert darstellen und damit in die gleiche Kerbe schlagen wie viele andere Fotografen vor mir. Deswegen versuchte ich, die Bilder etwas rauer wirken und meine Ängste als baldiger Vater einfließen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt war Donald Trump auch gerade zum Präsident der Vereinigten Staaten gewählt worden. Einige Bilder entstanden so mitten in der Nacht, als wir beide wach dasaßen und uns fragten, wie es mit der Welt wohl weitergeht.

Ich sagte in einem solchen Fall, dass ich ich ein Bild machen wolle, und drei Stunden später waren wir dann um drei Uhr morgens fertig und erschöpft. Zum Glück war Leah immer bereit und total geduldig. Ich weiß allerdings nicht, ob ich letztendlich nicht doch in einige der patriarchalen Fallen getappt bin, die Laura Heyman kritisiert.

Inzwischen ist unser Sohn auf der Welt und ich benutze mein Handy jetzt mehr denn je, um Fotos zu schießen. Vielleicht muss ich zur Zeit gar nichts anderes mehr machen.

Olivia Bees dazugehöriges Gedicht:

i bought a blue dress so i could slip into the sky;
to cradle tangibility with camouflage,
dusk’s disappearance transpiring, the poison seeping, pooling around my ribs.

begging for affection from anyone while indian summer rain races towards wet earth,
feeling the wilderness of your weight.
blue fades,
to midnight,
to three.

i’ve heard death is like water.
and you were born in the morning.
your tiny eyelashes painting a silver sunset inside our mother.

settling like cobalt ash raining onto my shoulders.
unearthing blue

you are the other woman and your voice is strong and wild when it billows in the wind,
dissipating like grey confetti.

i hear it in oregon, speaking amongst the thunder.
(the rain sounds like a skittish heart)

i hear your gentle whisper embedded in my sheets (always).

how on earth can you harness love?
such became a death sentence,
your shadow of silver, holding my body in the light.

i feel you deepest when i want love the most.

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