Mit einem halben Gramm Koks in der Nase, aggressiv wie zehn Stiere, bremste ich kurz vor meinem inneren Abgrund ab. Ich wollte gegen eine Wand schlagen, musste irgendwie meinen Hass rauslassen. Stattdessen schlug dann die Droge ein. Mein Herz pumpte immer schneller, als würde es aus der Brust ausbrechen und mich zum Tanzbattle auffordern.
Es war mein letzter Abend, meine letzte Barschicht, der letzte Tag in der Gastronomie.
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Eigentlich war es mein Plan, komplett auszurasten. Mein Chef und ich hatten mehr als 200 Freunde und Stammgäste eingeladen, tagsüber bei 28 Grad hatten meine Kumpels schon Platten aufgelegt, alle feierten – und ich? Ich wollte nachts den ganzen Laden auseinandernehmen. Ich hatte den Segen meines Chefs. “Ab Mitternacht bist du frei, dann feierst du deinen letzten Abend so richtig.”
Die halbe Nacht hatte ich also das gemacht, was ich immer gemacht habe: hinter dem Tresen den Laden geschmissen. Nun war es schon eine halbe Stunde nach Mitternacht – endlich sollte meine Zeit kommen. Ich schnappte mir die kleine Tüte aus meiner Jacke, schnupfte eine Line und stürmte aus der Bar nach draußen.
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Immer mehr Freunde versammelten sich vor der Tür. Ich begrüßte alle paar Minuten Menschen, die ich kannte. Mein Blick wanderte rastlos umher – ich sah Menschen ankommen, weiter hinten kiffte jemand, Küsse, Umarmungen, ich war wie in Trance – bis mich eine Freundin antippte und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Ich hatte vergessen, dass wir zuvor in ein Gespräch vertieft gewesen waren, und schon längst, um was es ging. Als wäre ich anwesend, aber gar nicht da. Ich konnte einen Gedanken nur so lange festhalten, wie ein Longdrinkglas mit fünf Zentiliter Wodka gefüllt war. 21, 22, 23, 24, 25 – weg.
Seitdem die Droge wirkte, war lediglich eine halbe Stunde vergangen, aber noch nie hatte sie so eine heftige Wirkung auf mich. Plötzlich wurde mir klar, wo ich war. Nicht nur genau dort, vor der Tür der Bar, sondern insgesamt. Zwölf Jahre hatte ich in der Gastronomie gearbeitet – zehn davon fast immer nachts. In dieser Barschicht spürte ich alle knapp 4.380 Tage mit einer geballten Faust auf mich einschlagen. Mir war nicht nach Party. Ich spürte einfach nur noch Leere.
Doch wie war es dazu gekommen? Ich habe viel darüber nachgedacht. Und meine Selbstzerstörung in der Gastronomie in sieben Eskalationsstufen aufgeschrieben.
1. Im Restaurant der Eltern
Ich habe in München im Restaurant meiner Eltern mit der Gastronomie angefangen. Mein Vater ist gelernter Koch und bot gehobene mediterrane Küche an. Innerhalb der eigenen Familie zu arbeiten, ist nicht leicht, aber wir unterstützten uns. Selbst mein Großvater schenkte an der Theke Bier aus. Meine Oma schnippelte in der Küche Gemüse.
Ich war erst 16 Jahre alt, aber als ich meine Eltern sah, die vor lauter Existenzangst gefühlt jede Woche ein Kilo an Gewicht verloren, war es klar: Ich musste, so gut es geht, mithelfen. Mein Vater sagte oft: “Andere arbeiten, um zu leben, wir leben, um zu arbeiten.” Er hatte irgendwie Recht.
Nach der Schule stieg ich immer in die Tram und fuhr in das Bonzenviertel Grünwald in der Nähe von München. Ich hasste die Villen und ihre Bewohner.
Ich hatte im Restaurant mit den reichen Säcken zu tun. Einmal gab mir ein ehemaliger Fußballvorstand seine Bankkarte, weil er kein Geld dabei hatte, aber zu faul und alt war, welches zu holen. Lieber wollte er mit seinen 40 Jahre jüngeren Frauen Schampus saufen, deshalb sollte ich ihm 500 Euro vom Automaten holen. Ich war noch unerfahren und hätte ablehnen sollen, ich war nicht sein Diener! Er hatte 250.000 Euro auf seinem Konto. Ich habe bis heute nie so viel Nullen auf einem Kontostand gesehen. Nächste Woche gleiches Spiel – wieder 500 Euro –, aber da waren nur noch 100.000 Euro darauf. Er hatte sich aus einer Laune heraus eine Mercedes G-Klasse gekauft. Die Bundeswehr fährt sonst mit solchen Wagen durch Afghanistan. Er klopfte mir damals großväterlich auf die Schulter und gab mir, bei einer Rechnung von mehreren hundert Euro, ein paar Münzen Trinkgeld.
Nachts um 2 Uhr schlossen wir die Tür, morgens saß ich wieder im Matheunterricht.
Mein Leben änderte sich noch nicht einmal entscheidend, als ich mit Anfang 20 nach Berlin ging. Ich wollte Journalist werden und musste schlechtbezahlte Praktika machen, für 200 bis 400 Euro pro Monat. Das bedeutete für mich, nach 40 Stunden Büroarbeit am Abend und am Wochenende wieder in der Gastro zu schuften. Gäste bedienen. Drinks mixen.
Berlin ist ein Moloch, vor allem für Gastro-Menschen. Er schnappt nach dir, zerkaut dich, schluckt dich herunter und wenn du Glück hast, kotzt er dich wieder aus. Es gab Schichten, da haben wir erst nach 16 Stunden zugemacht, obwohl das illegal ist. Mehrmals bin ich bei Abrechnungen eingeschlafen.
Später ging ich auf die Journalistenschule, aber da wurde es noch schlimmer. Ich freute mich, wenn ich mal fünf Stunden schlafen konnte. Schließlich griff die dauerhafte Müdigkeit meine Psyche an. Ich hatte das Gefühl, ich entwickle eine soziale Phobie, weil ich jede Regung meiner Mitmenschen auf mich bezog.
2. Das Teufelsdreieck
Ich habe in Berlin nie verstanden, wie dreckig Menschen Toiletten hinterlassen können. Mir ist klar: Alle sind auf Drogen unterwegs, aber die Frage nach Anstand sollte man trotzdem stellen dürfen. Irgendwer muss den ganzen Dreck ja auch sauber machen. Ich arbeitete eine Zeit lang in einer Bar zwischen drei bekannten Clubs – Die Wilde Renate, about:blank und Sisyphos. Ich nannte es das Teufelsdreieck.
An einem Morgen – wir hatten die letzten Gäste gerade rausgeschmissen – zog ich mir meine Handschuhe an, die so lang waren, als müsste ich eine Kuh künstlich befruchten. Ich war auch froh, dass ich sie anhatte.
Jemand hatte ein kaputtes Glas ins Klo geschmissen und reingeschissen. Ich war der festen Überzeugung, dass es Absicht war, um denjenigen zu verletzen, der das sauber machen musste. Also mich.
Die Bar, in der das passiert war, war immer brechend voll. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr. Ich wollte mir nicht mehr anhören, warum der Fast-Bräutigam sich jetzt zusäuft, weil seine Fast-Braut nicht zur Hochzeit erschienen war oder welches Koks von welchem Dealer am wenigsten “speedy” war. In dieser Bar verkam ich zum Menschenhasser.
3. Meine Droge – das Geld
Jeder Gastromensch hat seine eigene Technik, mit dem ganzen Abfuck umzugehen.
Nach jeder Schicht war mein Hirn regelrecht Matsch. Trash-TV half mir, irgendwie einzuschlafen. Ich habe den Homeshopping-Kanal geliebt, fast den Nicer-Dicer bestellt. Frauentausch, Tele-5-Alienfilme, Curling oder Dart auf Eurosport, Nazi-Dokus auf n-tv, und besonders viel Bullshit wurde in der Talkshow von Markus Lanz geredet (“Philipp erzähl doch mal, wie war das mit der Angi”). Entspannung pur.
Wenn ich mal eingeschlafen war, schlief ich unruhig. Die Nacht ließ mich schwer los. Meist schlief ich deswegen nur fünf Stunden. Das war kein Problem, solange die Sonne schien. Sie gab mir viel Kraft. Deswegen hielt ich im Sommer den Schlafmangel besser aus als im Winter. Doch weil ich wach war, hieß das lange nicht, dass ich voll funktionierte. Meine Rechnung ging nicht auf.
In vielen Läden verdiente ich in kurzer Zeit relativ viel Geld. In Bürojobs hätte ich dafür die doppelte Zeit investieren müssen: In Bars kam ich inklusive Trinkgeld auf Stundenlöhne über 26 Euro, im Büro bekam ich als Werkstudent nur die Hälfte davon. Das schnelle Geld wurde zur Sucht und ich fing früh mit dieser “Droge” an, konnte mich bis zum Schluss schwer von ihr losreißen. Alleine mit dem Trinkgeld von 80 bis 250 Euro konnte ich meine Woche bestreiten. Doch wie eine Droge hatte das schnelle, aber hart verdiente Geld seine Nebenwirkungen: Ich war für meine Mitmenschen schwer zugänglich und einfach k.o.; meinen ersten Bandscheibenvorfall hatte ich mit 24 Jahren.
4. Bitte, führe mich in Versuchung
Nachts arbeiten heißt: tagsüber schlafen. Wenn überhaupt richtig schlafen. Mein Leben zog an mir vorbei. Wenn ich mich schlecht fühlte, wollte ich hinter die Bar. Aber nicht nur dann.
Meine Cousine feierte in dieser Zeit einmal ihren Geburtstag. Mehrere Freundeskreise schmolzen für diesen Anlass zusammen. Ich war mit meiner damaligen Freundin da, hatte für meine Cousine Cocktails vorbereitet, es sollte ein genialer Abend werden, auf den wir alle uns lange gefreut hatten. Dann aber bekam ich eine SMS von meinem damaligen Chef: “Kannst du heute einspringen?” Und ich sprang ein. Der Blick meiner Freundin zerriss mich förmlich. Ich verstand ihre Wut. Und ging trotzdem.
Für sie war das alles schwer nachzuvollziehen. Und ich konnte es ihr nicht mal erklären. Ich brauchte es einfach, den Stress, das “Rausballern” von Getränken, das Zwei-Kästen-über-dem-Kopf-durch-die-Menschen-Schleppen, die Hitze, den Lärm, den wummernden Bass. Es war Masochismus, die Geilheit auf den Schmerz. Und auch die Gewissheit, dass meine Kollegen und ich für den Laden Tausende von Euros erwirtschaften.
Sehr spät fiel mir auf, dass ich auf Fotos von meinen Freunden nie zu sehen war. Ich war nicht mehr da.
5. Vor dem Nervenzusammenbruch
Der Schalter war schon lange gedrückt, aber bis bei mir das Licht anging, dauerte es Jahre. Ich bemerkte, dass ich mir eine gewisse Attitüde angewöhnt hatte: Ich war zu den Gästen nett, die um meine Gunst buhlten, den anderen gegenüber war ich ein Arschloch. Wenn jemand unseren Feierabend störte und ein Bier wollte, obwohl alles geputzt war, bot ich ihm ein “Verpiss-dich-Bier” an, wie ich es nannte.
Das erste Mal dachte ich, ich kriege einen Nervenzusammenbruch, als ein Gast einfach nicht gehen wollte. Er setzte mich psychisch unter Druck und ich war dem nicht gewachsen.
Wir hatten einen schönen Freitagabend, ich hatte neue Gäste in der Bar, die ich sofort ins Herz schloss. Sie bestellten, ich brachte ihnen die Getränke an die Bar und sah ihnen zu, wie sie sich zur Musik bewegten. Sie gingen darin voll auf, schwangen sich hin und her, schlossen die Augen, knutschten miteinander und genossen, dass sie sich hatten. Ich war mir nicht sicher, aber ich hatte das Gefühl, sie hätten ein bisschen Emma gedippt. Später war ich froh, dass sie bis zum Schluss blieben, weil sie mich davor schützten, an diesem Abend meinen Verstand zu verlieren.
Die Schicht ging langsam zu Ende. Irgendwann begann ein Gast, mit dem DJ zu diskutieren. Der DJ rief: “Ich habe keine Bob-Marley-Platte!” Ich ging hin und spuhlte mein gesamtes Deeskalations-Programm ab. Darin, dachte ich, wäre ich gut. Ich ließ mir von beiden erklären, was los sei, und nahm den Störer mit. Ich sagte ihm, dass wir so einen schönen Abend zusammen hatten und dass wir den doch noch ausklingen lassen könnten. Er sah es nicht ein, forderte vehement, dass der DJ einen ganz bestimmten Bob-Marley-Song spielte. Er wurde immer wütender und ballte seine Fäuste. Ich griff ihn an der Hüfte und drückte ihn nach hinten. In dem Moment merkte ich: Der Typ ist stabil. Er hatte nicht diese aufgepumpte Stärke eines Mannes, der Proteinshakes in sich reinkippt und zu Fitnessstudios pilgert wie zu Wallfahrtsorten, sondern so eine “Handwerker-Stärke”. Er musste Schreiner oder Dachdecker sein.
Er sagte, er hätte nichts gemacht und dass ich ihm nun seinen Abend zerstören würde. Ich hielt es nicht mehr aus, winkte meine Kollegen weg, die angerannt kamen. Dann vergaß ich alle meine guten Vorsätze, schlug mit der Faust auf die Bar und schrie ihn an, er solle gehen. Meine Sicherungen waren durchgebrannt. Ich verlor jede Kontrolle. Nichts half.
6. Mein letztes Jahr in der Gastro
Der Höhepunkt begann mit meinem letzten Jahr in der Gastronomie. Da arbeitete ich wieder in München. Ein Laden in der Nähe vom Hauptbahnhof hatte sein einjähriges Jubiläum und wir haben dazu beigetragen, dass er immer voll war und die Gäste eine tolle Zeit hatten. An diesem Tag bereiteten wir uns auf eine fette Party vor. Wir begannen mittags aufzubauen, kühlten Unmengen an Getränken. Alle machten sich frisch, lackierten sich die Fingernägel oder zogen schicke Kleidung an. Wir dachten, wir wären gut vorbereitet, aber auf manche Ereignisse konnten wir uns nicht vorbereiten.
Kurz gab es die Idee, auf dem Höhepunkt der Nacht ein bisschen zu ziehen. Ein Freund hatte zuvor ein bisschen Koks in den Rucksack gesteckt. Ich habe sonst selten etwas genommen. Aber an diesem Abend beruhigte es mich, dass etwas da war.
Ich begann meine Barschicht. Und sie hatte mich sofort eingeatmet. Bis zu meiner ersten Zigarettepause sollten elf Stunden vergehen. In dieser Zeit bewegte ich mich in einem maximalen Umkreis von einem Quadratmeter. Als wäre ich in Trance, griffen meine Hände fast automatisch nach Rum, Gin, Säften, Longdrinkgläsern und Bierflaschen. Ich muss hinter dieser Theke ausgesehen haben wie ein Oktopus mit seinen Tentakeln.
Irgendwann kam eine Frau an die Bar, sie war aufgebracht und wütend. Jemand hätte sie begrapscht. Ich ging sofort hin. Der mutmaßliche Grapscher war aggressiv, fuchtelte um sich und schrie ihren Freund an. Ich ging dazwischen und packte seinen Kopf und sagte, er solle sich beruhigen. Ich versuchte zu deeskalieren. Der Laden war voll, ein Durchkommen fast unmöglich. Während ich auf den Typen einredete, setzten mich die Frau und ihr Freund unter Druck: Würde ich ihn nicht endlich rausschmeißen, würden sie gehen. Ich drehte mich zu ihnen um und rief, sie sollen sich raushalten.
Als der Täter wie ein Lamm vor mir stand, forderte ich ihn auf zu gehen. Ich sagte ihm, egal was passiert sei, im Zweifel muss ich der Frau glauben. Eine unserer Grundregeln in dieser Bar war: Sie ist ein Safespace für jeden Menschen. Sexismus und Belästigung haben bei uns keinen Platz. Der Typ aber weigerte sich zu gehen.
Ich rief meinen Kollegen, er sollte mir helfen. Ich griff den Typen am linken Arm, mein Kollege am rechten. In dem Moment rastete er komplett aus, griff sich eine Flasche und schlug sie auf seinem Kopf kaputt. Er wollte die abgebrochene Flasche als Waffe benutzen. Zum Glück bestand sie aus Sicherheitsglas und zerschellte in tausend kleine Splitter. Er griff sich die nächste und traf meinen Kollegen am Kopf. Wir zerrten ihn aus der Türe. Draußen fixierten wir ihn auf dem Boden. Er schrie, als würden wir ihn abstechen. Ich hatte lange nicht mehr so ein wahnsinniges Schreien gehört. Wir wollten ihm so wenig weh tun wie möglich. Für ihn galt das nicht, er wollte uns umbringen. Ich lag mit meinem ganzen Gewicht auf ihm. Es fühlte sich an, als würde er meine ganze Lebenskraft langsam aufsaugen. Ich wurde immer müder.
Ich schaute mich um, die Terrasse war voll, der Bürgersteig vor der Bar, der komplette Parkplatz drei Häuserblocks lang – alles war voll. Mehrere Gäste brüllten mich an, ich solle ihn loslassen. Ich schrie zurück, dass sie sich nicht einmischen sollten, weil sie den Kontext nicht kannten. Irgendwann kam die Polizei und nahm den Typen fest.
Nach dieser Aktion war ich fertig mit den Nerven, torkelte umher und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Ich erinnerte mich an das Koks. Schließlich musste ich weiter arbeiten und konnte in dem Chaos meine Kollegen nicht im Stich lassen. Ich war an dem Punkt angelangt, an dem ich eine Droge brauchte, damit ich weiterhin funktionierte. In dieser Nacht schmiss ich noch vier weitere Gäste aus der Bar, weil sie sich nicht benehmen konnten. Wir schlossen die Tür um 9 Uhr morgens. Ich hatte 18 Stunden gearbeitet.
7. Der Absturz
Es ist ein offenes Geheimnis, dass viele Barmenschen ein Alkoholproblem haben. Anders halten sie es nicht aus. Viele Barleute versuchen deshalb, in den Wintermonaten ein paar Wochen keinen Alkohol zu trinken. In zehn Jahren Nachtgastro habe ich diese Pause sechs Mal geschafft.
Das Trinken bürgert sich schnell ein. Zu Beginn ein Branca Menta, zwischendurch Drinks, danach, um wach zu bleiben, ein paar Espressoshots und zum Feierabend ein Whiskey oder dunkler Rum. Und wenn man kurz relaxen will, ruft einer “Das Telefon klingelt. Ein Ferngespräch. Wer geht ran?” – und im Keller liegt ein Joint bereit.
Viele schnupfen ihr Trinkgeld auch am gleichen Abend in Speed und Koks regelrecht weg. Ein typischer Abend eines meiner Kollegen sah so aus: Er stand am späten Nachmittag auf, weil er bis mittags im Club gefeiert hatte. Er zog erstmal eine Line Speed, wie andere Menschen einen Morgenkaffee trinken. In der Bar ging es weiter mit Drinks und Speed, zum Feierabend ein Joint und wenn wir danach in den Club gingen, schmiss er sich eine Bombe, in Zigarettenpapier oder einer Serviette zusammengeknülltes Koks mit Ketamin.
Mich schreckte all das am Anfang ab. Aber dann wurden die Schichten immer härter, der eigene Anspruch größer. Außerdem arbeitete ich weiterhin als Journalist. Regelmäßig griff ich auf die Wachmacher zurück. Ich folgte einer Leistungslogik, von der ich eigentlich nie beherrscht werden wollte. Ich wurde nicht abhängig von den Drogen, sondern von der Bestätigung. Bestätigung durch die Gäste, die Chefs, den erwirtschafteten Umsatz und mein eigenes Ego.
Der Absprung
Die Gastronomie lässt einen nicht so leicht los. Sie ist die Sirene unter den Dienstleistungen, sie bezirzt dich mit ihrem leicht verdienten Geld, dem Spaß und Exzessen, lässt dich nicht mehr los, um dich langsam aufzufressen.
So fühlte ich mich nun: Von mir war nicht mehr viel übrig. In meiner letzten Schicht wollte ich alles rauslassen, was sich die letzten zwölf Jahre angestaut hatte. Doch ich saß nur da. Meine neue Freundin sah das und umarmte mich. Sie sagte nur: “Es ist genug. Lass uns nach Hause gehen.” Und wir gingen. Ohne Abschied.
Leander, der gar nicht Leander heißt, ist seit mehreren Monaten nicht mehr Barkeeper, sondern arbeitet als freier Journalist in Berlin.