Als ich im Sommer 2013 wochenlang Fotos auf einer Kreuzung am Bahnhof Zoo machte, ahnte ich nichts von den Schwierigkeiten, die kommen sollten.
Ich fotografiere Straßenszenen, die diesen Ort des Umsteigens von „A nach B” charakterisieren sollten. Menschen verweilen selten dort, es sei denn sie warten kurz oder sind obdachlos und trinken auf dem Boden sitzend Alkohol.
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Das Ziel war klar definiert: Es ging um eine Ausstellung im Ausstellungshaus für Fotografie, C/O Berlin, an der einige der Fotografen von Ostkreuz teilnehmen sollten.
Ich machte im Laufe der Zeit ca. 1.600 Bilder. Aus diesen wählte ich 12 aus, die schließlich in der Ausstellung landeten.
Nach der Eröffnung im Herbst 2013 bekam ich eine Unterlassungsklage von einer Passantin, die ich fotografiert hatte. Das Bild, das sie beim Überqueren der Straße zeigt, hing im Format 120 cm x 140 cm in der Ausstellung. Wir entschlossen uns, das Bild abzuhängen, um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden und nicht zuletzt aus Respekt davor, dass sie deutlich machte, nicht in der Ausstellung hängen zu wollen.
Kurz darauf erreichte mich die Schmerzensgeldklage in beträchtlicher Höhe.
Mein Anwalt reagierte nun sofort und hielt dagegen: mein Handeln, also das Fotografieren im öffentlichen Raum und das Ausstellen sei durch das Gesetz zur Kunstfreiheit legitimiert.
Im Frühsommer 2014 ging es vor das Landgericht Berlin. Der Richter hielt die Ansprüche der Passantin für unbegründet und wies ihre Klage auf Schmerzensgeld zurück. Er gab der Frau aber dennoch Recht, indem er sagte, ich habe ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und müsste ihre Anwaltskosten tragen. Daraufhin gingen wir und die Klägerin in Berufung. Nun wird es in der folgenden Instanz wieder um alles gehen, also auch ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld in Höhe von 5.500 Euro (inkl. Entschädigung).
Ich bin in die Berufung gegangen, weil ich die Verletzung der Persönlichkeitsrechte als unbegründet ansehe. Nicht, dass ich nicht verstehen kann, dass jemand nicht in einer Ausstellung hängen will, zumal ich die Frau ja nicht gefragt habe. Es geht um eine Abwägung: welches Recht ist höher anzusetzen: das am eigenen Bild oder die Freiheit der Kunst?
Straßenfotografen haben schon immer so gearbeitet: Man taucht ab in einen „Konzentrationstunnel”, um aus den permanent wechselnden Situationen, die sich vor der Kamera abspielen, Momente herauszulösen, die Besonderheiten zeigen: Verdichtungen und Zuspitzungen vom Leben auf der Straße. Charakterisierungen einer bestimmten Zeit und eines Ortes.
Diese Bilder, wenn sie intensiv sind, stehen als Zeitzeugnisse für nachfolgende Generationen bereit. Sie zeigen, wie das Leben zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aussieht. Sie interpretieren und dokumentieren, wie die Mode ist, welche Stimmungen auf der Straße herrschen, wie die Menschen sich zueinander verhalten. Sie geben wieder, wie der Zustand der Menschheit zu einem bestimmten Zeitpunkt ist.
Wenn man sich überlegt, mit welchem besonderen Interesse man Straßenfotografien berichtet, die vor 20, 50 oder 100 Jahren entstanden sind, bekommt man eine Ahnung davon, welchen Verlust es bedeuten würde, sollte ein Präzedenzfall geschaffen werden, der das Fotografieren auf der Straße kriminalisiert.
Auf der anderen Seite will ich auch keinen Präzedenzfall schaffen, der den willkürlichen Umgang mit Bildern von Menschen auf der Straße schafft, denn darum geht es mir nicht: es ist nicht gleichgültig, was mit den Fotos passiert: hier geht es nur um die Verwendung im Kunstzusammenhang.
Aber eben dies ist wichtig: Bilder, wie wir sie von Künstlern, wie Cartier Bresson, Walker Evans, Martin Parr, Beat Streuli oder Lorca Di Corsia kennen, wären noch schwieriger umzusetzen, wenn ein negatives Urteil fällt.
Es lohnt sich, dafür zu kämpfen und deshalb habe ich ein Crowdfunding begonnen.
Wenn ich es schaffe das Geld einzusammeln, soll es mir den Rücken freihalten, um möglicherweise bis zur letzten Instanz, dem Bundesverfassungsgericht, zu gehen.
Ich hoffe dadurch ein Grundsatzurteil zu bekommen, das allen Straßenfotografen, die ihre Bilder in Ausstellungen und Kunstkatalogen zeigen wollen, das ermöglicht, ohne kriminalisiert zu werden. In Deutschland nimmt die Tendenz klar zu, gegen Fotografen zu klagen. Es riecht stark danach, dass damit eine Einnahmequelle entdeckt wurde.
Sollte die Gegenseite den Fall gewinnen, hätte dies fatale Folgen für die traditionsreiche Straßenfotografie. Folgende Fälle würden sich auf diesen Fall beziehen und ähnlich negativ entscheiden. Die Kunstfreiheit würde stark eingeschränkt.
Die Kunstfreiheit ist ein hohes Gut, welches es zu verteidigen gilt!
Alle Fotos von Espen Eichhöfer