Am Tag nach der Razzia wollen sie Stärke zeigen: Etwa 150 Neonazis demonstrieren und marschieren von der Dortmunder Innenstadt aus in den Stadtteil Dorstfeld. Dort wohnt ein großer Teil von Dortmunds Rechtsextremen. Und dort fand am Tag zuvor eine der größten Razzien gegen Neonazis der letzten Zeit statt.
Im Mittelpunkt der Demonstration steht der Pit Bull Terrier Odin: Bei einer der Hausdurchsuchungen am Vortag erschossen SEK-Beamte den Hund—auch Blendgranaten sollen zum Einsatz gekommen sein. Anders als die anderen Wohnungen im Stadtteil wurde diese Wohnung nicht wegen der Ausschreitungen der Silvesternacht durchsucht—zu den Gründen für die Razzia mit SEK und Maschinenpistolen hält sich die Staatsanwaltschaft jedoch bislang bedeckt.
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„R.I.P” und „Wir werden für dich weiterkämpfen” steht neben dem Konterfei des Hundes auf Papierzetteln, die einige Frauen während der Demonstration hochhalten. Eine Gruppe rund um Melanie Dittmer, Organisatorin des Düsseldorfer Pegida-Ablegers, trägt ein Transparent mit der Aufschrift „Heute Hunde, morgen Menschen – Polizei NRW”.
Das Narrativ der Demonstration ist kein neues: Die Neonazis der Partei „Die Rechte” präsentieren sich als Opfer des Staates. Gleichzeitig legen sie den szenetypischen Größenwahn an den Tag. Knapp unter der Grenze zur Strafbarkeit drohen rechte Redner Verantwortungsträgern aus Politik und Polizei. Nach der anstehenden erneuten Machtübernahme durch die „Nationalen Sozialisten” würden sie vor Gericht gestellt und für ihre „Verbrechen” gegen die „aufrechten jungen Nationalisten” bestraft.
Das Gros der etwa 150 rechten Demonstranten ist durch ein einfaches „Ganz NRW hasst die Polizei” hingegen leichter zu begeistern. Oder durch das vielfach durcheinander gebrüllte „Dortmund-Dorstfeld, Nazi-Kiez”, das immer lauter wird, je näher die Demonstration dem Stadtteil kommt. (Auch da sind die Dortmunder deutlich unbefangener als die meisten Rechtsradikalen, die sich ungern selbst als „Nazis” oder „Neonazis” bezeichnen.) Im angeblichen „Nazi-Kiez” angekommen drehen ein paar Vortänzer der Neonazis nochmal kurz auf: Vermeintlich symbolträchtig versuchen sie, Journalisten zu attackieren, werden bei ihrer Reviermarkierung aber schnell durch Polizisten in die Schranken gewiesen. Dazu ertönt im leicht holprigen Chor: „Hier regiert nur einer, die Nazis und sonst keiner!”
Wie steht es um Dortmunds Neonaziszene?
Dabei regieren die Neonazis weder Dorstfeld, geschweige denn die mehr als 570.000 Einwohner zählende Stadt Dortmund in ihrer Gänze. Trotzdem gilt die rechte Szene der Stadt seit Langem als eine der aktivsten in Westdeutschland.
Im letzten Jahr demonstrierten die Anhänger der kleinen Neonazi-Partei „Die Rechte” etwa 50 mal—fast immer hetzten sie dabei gegen Flüchtlinge und Migranten. Nur selten kamen dabei jedoch mehr als 40 Personen zusammen, und noch seltener tauchten dort neue Gesichter auf. Bei der letzten Kommunalwahl konnte „Die Rechte” ein Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinen und einen Sitz im Kommunalparlament ergattern. Der harte Kern an tatsächlich aktiven Neonazis hingegen besteht aus nur wenigen Dutzend.
Dass sie es dennoch regelmäßig in die deutschen und zum Teil sogar internationalen Medien schaffen, hat vor allem mit gezielten Provokationen und geschickten PR-Kampagnen weniger Vollzeitaktivisten zu tun. Mehrmals berichteten die Medien im vergangenen Jahr über angebliche Patrouillen des „Rechten Stadtschutzes”, dem Versuch einer Bürgerwehr-Inszenierung mit gelben T-Shirts und brauner Ideologie. Was die Neonazis dafür tun mussten? Lediglich ein paar Fotos und ein absurd peinliches Video veröffentlichen. Wirkliche Präsenz einer rechten Bürgerwehr auf Dortmunds Straßen? Fehlanzeige—vielmehr eine mit einfach Mitteln geglückte PR-Kampagne.
Auch der bundesweite Aufschrei nach der infamen „Juden-Anfrage” der rechten Partei im Dortmunder Stadtrat folgte dem selben Muster. Im November 2014 wollte der rechte Ratsvertreter Dennis Giemsch in einer schriftlichen Anfrage an die Stadtverwaltung wissen, wie viele Juden in Dortmunds Bezirken leben. Über den kalkulierten „Tabubruch” hatten sogar englische, amerikanische und israelische Medien berichtet.
Abseits derartiger Provokationen und PR-Inszenierungen ist die rechte Szene Dortmunds jedoch keineswegs am Wachsen und Gedeihen—sie ist gesellschaftlich isoliert und marginal. Auch an Orten, an denen sie lange Zeit recht ungestört agieren konnten, wird den Neonazis nun schon seit Jahren vermehrt auf die Füße getreten. Lange war die Fanszene von Borussia Dortmund ein solcher Ort. Teile der Ultra- und Hooligangruppen galten zumindest als „rechtsoffen”, dem Verein selbst wurde häufig Untätigkeit vorgeworfen. In einer Stadt wie Dortmund, wo Fußball alles bedeutet, ein verheerendes Signal.
Seit einer Weile zeigt der Verein aber Konsequenz im Handeln gegen rechts. Bekannte Neonazis werden mit Stadionverboten belegt, die Fanabteilung investiert viel Zeit in die Arbeit gegen Rechtsextremismus und Diskriminierung. 2015 kam es dann sogar zu mehreren Schlägereien zwischen den Neonazis und Dortmunder Ultras, die bekennende Rechtsextreme in ihrem Block nicht länger tolerieren wollen.
Verurteilte Volksverhetzer und Gewalttäter
Die Hausdurchsuchungen der vergangenen Woche werfen vor allem ein Licht auf die Kriminalität und Gewaltbereitschaft der Dortmunder Rechten. Im vergangenen Jahr kam es zu mehreren gewalttätigen Angriffen durch Neonazis in Dortmund.
Erst im November wurde ein Bezirksvertreter der Partei „Die Rechte” zu 22 Monaten Haft verurteilt. Beim Sturm auf die Wahlparty im Dortmunder Rathaus hatte der Bezirksvertreter Daniel Grebe einen Mann mit einer Bierflasche verletzt.
Und auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Neonazi-Partei, Christoph Drewer (der sonst auch schon mal Flüchtlingshelfern wünscht, dass sie vergewaltigt werden), wurde vor Kurzem zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Der Dortmunder hatte sich bei einer Demonstration in Münster der Volksverhetzung schuldig gemacht.
Die nächsten Gerichtsverhandlungen gegen Dortmunder Neonazis stehen bereits in den kommenden Wochen an. Die Tatvorwürfe sind dabei unter anderem Körperverletzung und Landfriedensbruch.
Mehrere Vollzeitaktivisten aus dem harten Kern der Szene wird es daher vermutlich in Kürze hinter Gitter verschlagen. Das wird es nicht einfacher machen, relevant zu bleiben.