Tilo Jung und eine Frau
Denke ich an Tilo Jung, denke ich immer an den freundlichen Ansager aus Die Sendung mit der Maus. An den, der immer das grüne Sweatshirt trägt. Tilo Jung ist ein Journalist, der es sich mit seinem Format Jung & Naiv auf die Fahnen geschrieben hat, möglichst harmlos zu sein und in aller Regel schwankt das Ergebnis daraus zwischen mäßig interessantem Polit-Geplänkel, in dem ordentlich geduzt wird, und eher kritisch zu sehenden Weichspül-Interviews mit Leuten, deren Anhänger schon naiv genug sind, und bei denen man durchaus mal etwas intensiver nachhaken könnte. Ken Jebsen zum Beispiel. Tilo Jung hat sehr volles Haar, ziemlich viele Twitter-Follower und sieht vor der Kamera irgendwie süß aus. Wäre die deutsche Medienlandschaft eine 90er-Jahre-Girl-Boy-Band, er wäre Nick Carter.
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Nicht ganz so süß war allerdings, was Tilo am gestrigen Weltfrauentag über seinen Instagram-Account gepostet hat. Eine Bilderreihe aus der Ego-Perspektive. Frau zieht nicht sichtbaren Mann Richtung Meer, Mann tritt ihr in de Rücken, Frau fällt ins Wasser. Es sieht ein bisschen lustig aus und wäre es vielleicht auch—so als Antithese zur allgemeinen Instagram-Romantik. Leider hat Tilo Jung das Ganze aber zum falschen Tag und mit der falschen Bildunterschrift („Woman’s Day”) gepostet. Und zumindest die feministische Twitter-Community nimmt ihm den jungen, naiven, unbeleckten Typen, der einfach nur einen Witz machen wollte, nicht so ganz ab. Auch seine halbgare Entschuldigung, gefolgt von einer Art „Kreuzigt mich ruhig, ihr Femen-Schnepfen!”-Aussage hat die Situation nicht wirklich besser gemacht und mittlerweile meldete sich auch einer von Tilos Kollegen zu Wort, der sich von der Aktion des Krautreporter-Schreibers nicht sonderlich begeistert zeigt:
So weit ein ganz normaler Shitstorm im Zeitalter des Internets. Fast könnte einem Li-La-Launebär Jung auch leid tun, jetzt, wo die Krautreporter-Zukunft unsicher scheint und das Ansehen in der twitteraffinen Blogosphäre zumindest nicht mehr ganz so hoch ist. Tatsächlich sind es gerade Anlässe wie der Weltfrauentag, die mysogine Internetznutzer und ihre Meinung zur Rolle und Position der Frau in unserer Gesellschaft an die Oberfläche spülen. Nur: Jung hat lediglich einen dummen Witz gemacht. Die wahren Probleme und Kampfgräben liegen ganz woanders.
Die „WiTZIGEN” Sexisten
Aufreiben könnte man sich an dem Übermaß an blöden Haushaltsvergleichen, die scheinbar ähnlich zeitlos sind wie die Ausrutsch-Bananenschale in Cartoons. Einfach, weil es da draußen einen sehr großen Prozentsatz an Männern geben muss, die bei Frauen primär an Küchenschürze und Kochtopf denken, während sie sich lachend den Bauch reiben, das dritte Bier zur Sportschau leeren und mit dem großen Zeh nach den Latschen fischen. Und wer es noch irgendwie schafft, seinen Penis ins Statement miteinzubauen, bekommt einen virtuellen Handjob von der brünftigen Followerschaft.
Die „besorgten” Rechten
Empören sollte man sich über die Leute, die den Anlass nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben—oder dem Feiertag als solchen eine Agenda unterstellen. Dass politisch rechte Parteien schon in der Vergangenheit ein nahezu soziopathisches Verhalten bei der Propagierung der eigenen Inhalte an den Tag gelegt haben, dürfte jedem bekannt sein. Wie man es aber schafft, Vergewaltigung, den Weltfrauentag und Hetze gegen Ausländer in einem einzigen Facebook-Post zu packen, überrascht in seiner platten Dummheit dann aber doch.
Die eingeschnappten Männerrechtler
Aufregen muss man sich über all jene, die in Feiertagen wie dem Frauentag (für den es im übrigen auch ein männliches Äquivalent gibt, am 3. November nämlich) lediglich ein besonders perfides Instrument des Feminismus sehen, dessen angebliches Ziel es ist, den Mann als solchen auszurotten und unsere Gesellschaft totzugendern.
Im Allgemeinen scheint es eine Art innere Überzeugung vieler Internet-User und erklärter Anti-Feministen zu sein, dass einem der Weltfrauentag in irgendeiner Art und Weise weh tun kann. Als wäre ein Tag, der unter anderem Anlass dazu gibt, an die Gleichstellungsbestrebungen in unserer Gesellschaft zu erinnern, eine elementare Bedrohung des männlichen Geschlechtes. Und wenn die gepeinigten maskulinen Seelen da draußen nicht einmal für einen Tag mit ihrem peinlichen Selbstmitleid bei sich halten und allen Ernstes die Frage stellen müssen, was der Feminismus bisher eigentlich für MÄNNER getan hat, dann ist man versucht, sich lachend in den Kopf zu schießen.
Die Verschwörungstheoretiker
Es gibt viele Momente, in denen man sich als Frau—und allem voran als Mensch—fragen muss, was eigentlich in den Köpfen der Leute passiert, die in jeder Debatte, jeder Entscheidung, jedem noch so unschuldigen und von Grund auf positivem Anlass eine fehlgelenkte Ideologie vermuten. Wenn jemand ein Video ansieht und positiv bewertet, in dem der 8. März als „drecks Spiel um die Familien zu zerstören [sic!]” und als „zionistisches Spiel” bezeichnet wird, dann gibt es keine Diskussionsgrundlage mehr.
Dann zeigt das, wie absolut undenkbar es scheinbar für Teile der Bevölkerung ist, dass man für nur 24 Stunden mal nicht selbst im Fokus steht, sondern einem Teil der Gesellschaft gedacht wird, dem man nicht selbst angehört. Dass man über Ungerechtigkeiten und Alltagsprobleme spricht und die männliche Perspektive mal nicht an erster Stelle kommt. Dass man wohlwollend an die Leute zurückdenkt, die in der Vergangenheit die Gleichberechtigung der Frau vorangebracht haben und es nach wie vor tun. Wie viel Angst und Unsicherheit muss man in sich tragen, um das nicht ertragen zu können?
Wenn manchen Menschen zum Weltfrauentag, einem vom Grundsatz her ideologiefreien Feiertag, nichts Besseres einfällt, als auf sämtlichen Social-Media-Kanälen Hass, Verschwörungstheorien und Selbstmitleid zu streuen—dann wünsche ich mir einen „Schlag den Bastard, der im Internet Unsinn verbreitet”-Tag. Oder vielleicht gleich eine ganze Woche.
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