Illustration mit Schiffscontainern, Drogen, Smartphone und Bananenkisten, der Kryptohandy-Anbieter No. 1 Business Communication wird von teilweise vorbestraften Personen betrieben.
Illustration: Michelle Urra
Tech

Das ist das neue Lieblings-Kryptohandy der italienischen Mafia

Eine investigative Recherche zeigt, dass das organisierte Verbrechen auf einen neuen Anbieter umgestiegen ist. Dahinter steckt ein internationales Netzwerk von dubiosen Geschäftsmännern – mit einer Zweigstelle in Halle.

Bartolo Bruzzaniti hatte alles minutiös geplant: Zuerst verstecken die Kolumbianer das Kokain in einer Ladung Bananen, die aus der Hafenstadt Turbo nach Italien verschifft wird. Im Zielhafen Catania auf Sizilien winkt dann ein bestochener Hafenmitarbeiter die Ladung durch. Der hatte sogar noch Hinweise gegeben, wie man die Drogen am besten verpackt, damit sie auch dann nicht entdeckt werden, falls er den Container röntgen muss. Außerhalb des Hafens würde dann eine Gruppe Mafiosi warten und das Kokain abladen. 

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Bruzzaniti, ein mutmaßliches Mitglied der 'Ndrangheta, bat seinen Bruder Antonio im März 2021, eine weitere Sache für den reibungslosen Ablauf des Plans zu besorgen. "Geh jetzt sofort", schrieb Bruzzaniti seinem Bruder in einer Textnachricht. "Das wird dringend gebraucht."


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Wir kennen den Inhalt von Bruzzanitis Nachrichten, weil es europäischen Ermittlungsbehörden zuvor gelungen war, in das verschlüsselte Handynetzwerk von Sky Global einzudringen und an rund eine Milliarde Nachrichten von rund 70.000 Usern zu kommen. Sky Global gehörte bis dahin zu einer Reihe von Anbietern vermeintlich abhörsicherer Kryptohandys. Dabei handelt es sich um modifizierte Smartphones mit spezieller Software und Hardware, die in den vergangenen Jahren zur Standardmethode der Kommunikation im organisierten Verbrechen geworden sind.

Die Sache, die Antonio so dringend besorgen sollte, war dann auch ein Kryptohandy eines anderen Anbieters. An dieses Handy ging dann eine Hälfte der Seriennummer des Schiffscontainers.

15.000 Euro für acht Smartphones

In Zusammenarbeit mit den italienischen Medien lavialibera und IrpiMedia haben wir erfahren, dass es sich bei dem besagten Kryptohandy um ein Smartphone der Firma No. 1 Business Communication handelt, kurz: No. 1 BC. Unsere gemeinsame Recherche ergab, dass Mitglieder der Mafia und anderer Gruppen des organisierten Verbrechens zunehmend auf die Geräte dieses Anbieters zurückgreifen, während Strafverfolgungsbehörden weltweit weiter Kryptohandysysteme unterwandern, abschalten oder sogar selbst betreiben. Im Zuge unserer Nachforschungen konnten wir mehrere Schlüsselfiguren im Umfeld von No. 1 Business Communication identifizieren.

"Nimm sofort das bc1", schrieb Bruzzaniti in einer anderen Nachricht.

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Zwei Schwarz-Weiß-Bilder: Links eine Ladung Bananenkisten, rechts ein iPhone-Bildschirm mit Messenger

Fotos: VICE

Anfang Mai verhafteten europäische Behörden im Zuge der Operation Eureka 132 Mitglieder der 'Ndrangheta in Deutschland, Belgien und Italien. Der Mafia-Organisation, zu der auch Bruzzaniti gehört, wird Kokainhandel aus Südamerika, Waffenhandel aus Pakistan, Geldwäsche in Europa – insbesondere in Deutschland – und eine Reihe anderer Verbrechen zur Last gelegt. Eine Europol-Sprecherin sagte uns, dass der Einsatz das Ergebnis von Informationen gewesen sei, die die Ermittlerinnen und Ermittler durch die gehackten Kryptonetzwerke Sky Global und EncroChat gewonnen hatten.

Im Zuge dieser Verhaftungen machten italienische Gerichte Unterlagen zugänglich, aus denen hervorgeht, dass die über No. 1 BC versendeten Nachrichten der mutmaßlichen Mafiosi "nicht abgefangen" wurden.

Die Unterlagen zeigen außerdem, dass auch eine albanische Verbrechensorganisation an No. 1 BC interessiert war. Aus abgefangenen Sky-Global-Nachrichten geht hervor, dass sie rund 15.000 Euro für acht Kryptohandys bezahlten, also 1.875 Euro pro Smartphone. Laut einem ehemaligen No.-1-BC-Verkäufer, der anonym bleiben wollte, kosten die Geräte 1.450 Euro für ein halbes Jahr Benutzung. Auch in der albanischen Organisation ging man offenbar davon aus, dass No. 1 BC sicherer als Sky war.

Aber wer steckt hinter dem Kryptohandy-Anbieter, dem offenbar so viele Verbrechensorganisationen vertrauen? Unsere gemeinsame Recherche konnte einen umtriebigen US-Investor mit dem Unternehmen in Verbindung bringen, einen ukrainischen Technikexperten sowie einen verurteilten Drogenhändler und einen verurteilten Geldwäscher aus Halle an der Saale. Aus unseren Recherchen ergibt sich das Bild einer Organisation, die jahrelang ein Schattendasein fristete, aber zunehmend wichtiger wurde, als Behörden nach und nach mit Sky und EncroChat die Konkurrenz ausschalteten.

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Die Spur führt nach Halle an der Saale

"Die revolutionäre Lösung für absolut geschützte VoIP Kommunikation" hieß es 2009 auf der No.-1-BC-Website auf einem Banner mit lächelnd telefonierenden Businessmenschen. Damals war der Firmensitz des Unternehmens Innsbruck in Österreich. In einer deutschsprachigen Pressemitteilung sagte der damalige Geschäftsführer Anton Isser, man setze große Hoffnungen in das Produkt. Eine Anfrage von uns ließ Anton Isser unbeantwortet.

Viele Kryptohandy-Anbieter begannen als seriöse Unternehmen, bevor sie anfingen, ihren Service verstärkt auf kriminelle Kundschaft auszurichten. Andere wurden direkt vom und fürs organisierte Verbrechen geschaffen. Die Behörden werfen den Unternehmen häufig vor, selbst kriminelle Organisationen zu sein, die speziell darauf ausgerichtet seien, kriminelle Aktivitäten zu ermöglichen.

Auf seiner Website gibt No. 1 BC an, zu den Kunden würden Finanzunternehmen, Firmen, Prominente sowie Regierungs- und Militäreinrichtungen gehören. Namentlich wird auch das Verteidigungsministerium von Österreich genannt. Auf Anfrage bestritt man dort allerdings jegliche Geschäftsbeziehung mit No. 1 BC.

Üblicherweise bieten diese Kryptohandy-Firmen verschlüsselte Messenger-Apps an, die auf speziellen Handys vorinstalliert werden. Diese Geräte verfügen häufig auch über ein sogenanntes Wipe-Feature, über das sich Daten auch löschen lassen, wenn man das Handy selbst nicht in der Hand hat. Das ist besonders wertvoll für Kriminelle, wenn Behörden ihr Handy beschlagnahmen.

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Wie andere Unternehmen im Kryptohandy-Geschäft vertreibt auch No. 1 BC seine Geräte nicht im Laden, sondern über ein Netzwerk von Händlerinnen und Händlern. Auf der Website kann man sich über ein Formular als Händler bewerben. Dort gibt man persönliche Daten und eine Bankverbindung an.

Von Anfang an bewegten sich allerdings auch Menschen im No.-1-BC-Umfeld, die entweder bereits vorbestraft waren oder später verurteilt werden sollten. Der britische Ableger des Unternehmens wurde 2010 von Roy Livings gegründet, der zu dem Zeitpunkt bereits wegen Drogenhandels vorbestraft war. Ein Jahr später wurde er Leiter weiterer No.-1-BC-Ableger, deren Namen Verbindungen in die Niederlande, Belgien und Spanien suggerieren.

Ein App-Menü

Screenshot des No.-1-BC-Interfaces aus einem Video von der No.-1-BC-Homepage

In Halle an der Saale gründete 2013 Livings zusammen mit einem anderen Mann, Eli Gampel, einen deutschen Ableger von No. 1 BC. Gampel, der als Prokurist des Unternehmens eingetragen ist, ist ebenfalls vorbestraft. 2005 hatte ein Gericht den israelischen Staatsbürger und ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde von Halle wegen Geldwäsche zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Gampel hatte nachweislich um die Jahrtausendwende für südamerikanische Drogenhändler mehrere Millionen Euro gewaschen. Auch seine Zeit als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde ist nicht unumstritten. Nach nur einem Jahr musste er seinen Posten wieder räumen. Man warf ihm vor, über 100.000 Mark veruntreut zu haben. Verurteilt wurde er dafür allerdings nie. Unsere Anfragen ließ Gampel unbeantwortet. 

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Livings war anscheinend so sehr von No. 1 BC überzeugt, dass er persönlich Geräte seines Unternehmens benutzte, als er 2014 auf einer Jacht 168 Kilo Kokain von Bermuda nach Portugal schmuggelte. Die Kommunikation, die über mit No.-1-BC-Karten ausgestattete BlackBerrys erfolgte, konnte tatsächlich nicht abgefangen werden. Allerdings entdeckten die portugiesischen Behörden die Ladung bei der Ankunft des Segelboots in Europa. 2015 wurde Livings zu zehn Jahren Haft verurteilt. Livings ging in Berufung, aber 2016 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Urteil.

Nach seiner Festnahme wurden alle von Livings gegründeten No.-1-BC-Ableger geschlossen – nur der deutsche in Halle operiert weiter.

2020 berichtete der britische Mirror, dass die Kriminalpolizei ein "ukrainisches Technikgenie" hinter No. 1 BC vermute. Einen Namen nannte der Mirror aber nicht.

Unsere Recherchen ergaben, dass die Website von No. 1 BC auf Vyacheslav Zlatogursky registriert war. Auf LinkedIn gibt dieser an, bis Oktober 2020 technischer Leiter von No. 1 BC gewesen zu sein. Eine WHOIS-Abfrage für eine andere Domain des Unternehmens listete seinen Namen allerdings bis 2022. 

Zlatogursky scheint außerdem einige der Personen aus dem No.-1-BC-Umfeld zu kennen. So kommentierte der Ukrainer 2016 ein Facebook-Foto von Gampel. Gesprächsanfragen von uns ließ Zlatogursky unbeantwortet.

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Zwei Schwarzweißbilder, oben Paletten mit Drogenpaketen, unten eine Röntgenaufnahme von einem LKW-Anhänger

2016 wurde N.1 Business Communication Ltd. Malta gegründet und zum Hauptsitz des Unternehmens. Unter der angegebenen Adresse gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass No. 1 BC dort aktiv ist.

Seit November 2019 ist der US-amerikanische Investor und Bankier Jack D. Burstein als Direktor von No. 1 BC Malta eingetragen. Der in Florida lebende Burstein ist ein einflussreicher Finanzier und CEO des Unternehmens Strategica, laut Firmenwebseite eine "globale Handelsbank" und ein "Finanzdienstleister". Eli Gampel hatte 1999 als Repräsentant für Strategica gearbeitet.

Wir wissen nicht, ob Burstein sich bewusst ist, dass Geräte von No. 1 BC an organisierte Kriminelle verkauft wurden. Burstein hat auf mehrere Anfragen in Form von Voicemails, Textnachrichten und Briefen nicht geantwortet. 

Den deutschen Sitz von No. 1 BC leitet seit Dezember 2020 Larissa Gampel, einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung zufolge die Frau von Eli Gampel.

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Schwarz-Weiß-Vogelaufnahme von Stapeln und Reihen mit Schiffscontainern

Eine Abbildung aus den Gerichtsunterlagen zu Sky Global und No. 1 BC | Bilder: VICE

In anderen Ländern finden die Geräte aber auch ohne Firmensitz ihre Käufer. Ein Kenner der Kryptohandybranche sagte uns, dass sich zum Beispiel in den Niederlanden Hamid el Hamdi um den Verkauf der Handys kümmere. Laut LinkedIn arbeitet er seit 2011 für das Unternehmen. Auf eine Anfrage hat Hamdi nicht geantwortet. Eine andere Gruppe kümmere sich um den Verkauf in Großbritannien. Auch in Slowenien, Kroatien und Serbien sei No. 1 BC "groß".

Die steigende Beliebtheit von No. 1 BC hat auch maßgeblich mit dem verstärkten Vorgehen von Behörden gegen Kryptohandy-Anbieter zu tun. In den vergangenen paar Jahren konnten Ermittlerinnen und Ermittler aus den USA, Niederlanden, Frankreich und anderen Ländern mehrere dieser Systeme hacken und Millionen verschlüsselte Nachrichten mitlesen. Auch deutsche Strafverfolgungsbehörden haben massiv von diesen Ermittlungen profitiert.

2021 berichteten belgische Medien, dass zahlreiche User nach der Bekanntmachung der Infiltration von Sky Global zu No. 1 BC wechselten. Auch die Gerichtsunterlagen, die im Zuge dieser Recherche eingesehen werden konnten, zeigen, wie Menschen aus dem Umfeld der organisierten Kriminalität zu No. 1 BC wechselten, als Sky ihnen zu unsicher wurde.

Das FBI-Büro in San Diego, das heimlich 18 Monate lang das Kryptohandynetzwerk Anom betrieb und ein paar Jahre zuvor bereits den Anbieter Phantom Secure dichtgemacht hatte, wollte sich nicht dazu äußern, ob man gegen das No. 1 BC ermittle. Das Unternehmen sei allerdings bekannt. 

Momentan scheint No. 1 BC noch zu funktionieren, auch wenn es zunehmend unruhiger um das Unternehmen wird. Diesen Januar posteten die Administratoren von No. 1 BC eine bemerkenswerte Nachricht auf der Website des Unternehmens: No 1. BC würde seine Signierzertifikate updaten. Diese Zertifikate stellen sicher, dass ein Update der App wirklich vom App-Anbieter kommt und niemand anderem. In dem Eintrag hieß es weiter, dass man mit dem neuen Zertifikat die "neue und verbesserte No. 1 Live-Anwendung" ausspielen werde, "die die No. 1 BC Live-Anwendung ersetzen wird".

Jede Veränderung in der digitalen Infrastruktur eines Kryptohandy-Anbieters macht seine Nutzer skeptisch. So hatte die französische Polizei zum Beispiel zuvor EncroChat mithilfe eines Schad-Updates gehackt, das dann auf alle Handys ausgespielt wurde.

Eine unserer Quellen aus der Kryptohandybrance bezeichnete die Nachricht der No.-1-BC-Entwickler jedenfalls als "definitiv merkwürdig".

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