Eine Portion der Pasta Stroncatura, die früher verboten war
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Die früher verbotene Pasta, die jetzt sogar Sterne-Köche lieben

Wir haben die legendäre Stroncatura probiert, die früher wegen ihrer Zubereitung illegal war.
CR
Milan, IT

Für das ungeübte Auge sieht das Gericht vielleicht wie ganz normale Vollkornnudeln aus. Aber jeder, der aus der süditalienischen Region Kalabrien stammt, erkennt sie sofort: Stroncatura, die dunklen, schlanken Linguine mit der typischen rauen Oberfläche und der mythenumwobenen Geschichte. Die berüchtigte Pasta-Sorte hat sich zu einem gastronomischen Aushängeschild der Gegend gemausert und wird inzwischen sogar in mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Restaurants liebend gerne serviert. Ziemlich beeindruckend, denn früher war Stroncatura wegen der unhygienischen Zubereitung verboten.

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Eine Portion der Pasta Stroncatura

Stroncatura erkennt man vor allem an der rauen Oberfläche

In Kalabrien isst man viel Pasta. Dennoch ist Stroncatura noch mal etwas Besonderes, denn die Nudeln gibt es nur in der Küstenstadt Reggio Calabria und der unmittelbaren Umgebung. Die beste Pasta soll es in der Hafenstadt Gioia Tauro geben, jahrhundertealte Zitronen- und Olivenbäume schmücken diese Region. Nur leider ist sie mehr als Heimat der 'Ndrangheta-Mafia bekannt und weniger als kulinarischer Hotspot.

Es gibt aber eine Sache, die die 'Ndrangheta und Stroncatura zumindest früher gemeinsam hatten: die Illegalität. Der Nudelteig wurde anfangs aus den Überbleibseln des Getreidemahlens hergestellt, man klaubte die Zutaten am Ende des Arbeitstags wortwörtlich vom Fabrikboden auf und mischte sie in einem unhygienischen Potpourri zusammen. Das Endprodukt enthielt dann alles von Weizen über Roggen bis hin zu Grieß und schmeckte säuerlich. Weil die Nudeln aber so unglaublich günstig waren, war das den armen Bewohnern der Gegend egal. Sie überdeckten den säuerlichen Geschmack einfach mit würzigen Soßen und den starken Aromen von Sardinen und Anchovis. Wegen offensichtlicher Gesundheitsbedenken untersagten die Behörden allerdings bald den Verkauf der Pasta – und Stroncatura wechselte nur noch heimlich unter der Theke und ohne Markenetikett die Besitzerin.

Die Schwestern Stefania und Giovanna Torre, Besitzerinnen eines Pasta-Unternehmens, das Stroncatura herstellt und vertreibt

Stefania und Giovanna Torre

Heute ist die Herstellung natürlich hygienischer. Und weil ich die moderne Stroncatura-Version unbedingt probieren will, treffe ich mich mit Stefania und Giovanna Torre, den Besitzerinnen eines Pasta-Unternehmens in Gioia Tauro. "In Gioia gibt es Stroncatura seit 1919. Unser Opa Ferdinando ist für die Arbeit hierher gezogen und hat das Ganze aus Artani mitgebracht, einem Dorf an der Amalfiküste", sagen sie. Durch den neugewonnenen Kultstatus der besonderen Pasta-Sorte ist zwischen verschiedenen italienischen Kleinstädten eine Art Wettstreit darüber entbrannt, wer Stroncatura nun wirklich erfunden hat. Wo genau sie jetzt herkommt? Schwer zu sagen.

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Die Torre-Schwestern sind schon die dritte Generation im Familienbetrieb. Sie erinnern sich noch an die Zeit, in der Stroncatura verboten war. "Als wir noch klein waren, konnte man die Nudeln nur unter der Theke an Leute verkaufen, die man kannte", erzählen sie. Jetzt gehört die Pasta-Sorte neben verschiedenen lokalen Produkten wie Eingemachtem, Likören, Süßigkeiten und Extrakten zum normalen Sortiment ihres Ladens.

Stroncatura – früher nur in armen Haushalten, heute auch in Nobelrestaurants

Stroncatura – früher nur in armen Haushalten, heute auch in Nobelrestaurants

Die Stroncatura der Torre-Schwestern wird allerdings nicht in der Manufaktur in Gioia hergestellt, sondern in einem Dorf in der Region Kampanien, wo die Nudeln laut den Schwestern ursprünglich herkommen. "Wir haben dort lokale Pasta-Meister, die nur für uns arbeiten und dabei die traditionellen Methoden anwenden", sagen sie. OK, nicht alle traditionellen Methoden: Zwar sind die Zutaten mit Gerstenweizen, Grieß und Wasser im Grunde gleich geblieben, aber der Dreck vom Fabrikboden wird heute weggelassen. "Wir verwenden die Teile des Weizenkorns, die weniger Zucker und mehr Fasern beinhalten", sagen die Schwestern. So bekommt der Teig seine typische dunkle Farbe. Die Pasta wird zudem in einer traditionellen Bronzeform geformt, wodurch sie die raue Oberfläche erhält, an der die Soße besser kleben bleibt. Abschließend müssen die Nudeln sehr lange trocknen.

Früher wurde Stroncatura nur unter der Theke und ohne Etikett verkauft

Früher wurde Stroncatura nur unter der Theke und ohne Etikett verkauft

Die Nobel-Option interessiert mich weniger, ich will das Original, also gehe ich mit den Torre-Schwestern in die nahegelegene Trattoria Donna Nela. Das Restaurant ist für seine klassische Stroncatura-Version bekannt. Der Besitzer bereitet die Nudeln immer noch wie seine Mutter auf die "altmodische Art und Weise" zu. Für die Soße werden Anchovis in Olivenöl, Chili und einem Schuss Tomatenpüree so lange angebraten, bis sie fast schon zerfallen. Dann kommen Oliven und Semmelbrösel dazu, garniert wird das Ganze mit einer Handvoll Parmesan. Da die Stroncatura-Nudeln auch nach dem Kochen ihre Form behalten, eignet die grobe Oberfläche sich perfekt, um möglichst viel der schmackhaften Soße mit in den Mund zu bringen.

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Eine mundgerechte Portion Stroncatura

Schon bei meiner ersten Gabel entzückt mich die Geschmackssymphonie. Die Anchovis drängen sich kaum auf und die Chili kitzelt ein wenig am Gaumen. Dadurch wird den Oliven viel Raum zur perfekten Entfaltung gegeben. Und die Semmelbrösel verleihen dem Gericht den genau richtigen Crunch. Ich bestelle mir eine zweite Portion. Diese Pasta ist himmlisch. Ich bin froh, dass sie endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient.

Mit fünf Packungen Stroncatura im Gepäck geht es für mich schließlich zurück nach Hause. Aber ich bin mir sicher: Dieses Stück Kalabrien wird für immer einen Platz in meinem Magen haben.

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